Sie ist einer der zentralen Knoten in der Justiz: Alle wichtigen Ermittlungsverfahren im Osten Österreichs durchlaufen den prüfenden Blick der Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien. Das betrifft die Staatsanwaltschaft Wien ebenso wie die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) mit ihren politisch aufgeladenen Verfahren.

Wer an der Spitze der OStA Wien steht, hat also viel Macht. Informell und faktisch in Form von Weisungen.

Brandstetter
Ex-Justizminister Wolfgang Brandstetter im ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss.
Heribert Corn

Auftritt Wolfgang Brandstetter: Im Jahr 2013 war der Rechtswissenschafter Justizminister geworden. Politisch stand er der ÖVP nahe, beruflich Kanzler Werner Faymann (SPÖ), den er in der Inseratenaffäre verteidigt hatte.

Durch den Wechsel von Werner Pleischl zur Generalprokuratur hatte Brandstetter im Jahr 2014 plötzlich die Chance, den Chefposten bei der OStA Wien neu zu besetzen. Das Interesse war groß: Sowohl StA-Wien-Leiterin Marie-Luise Nittel als auch WKStA-Chefin Ilse-Maria Vrabl-Sanda bewarben sich – und, "in letzter Minute", wie es damals hieß, Eva Marek, jüngste Richterin am Obersten Gerichtshof (OGH). Sie bekam den Job.

Verdacht auf Hintergrunddeal

Ob sie ihn tatsächlich wollte, wurde jedoch viele Jahre später durch Chats infrage gestellt. "Du hast mich zur Bewerbung aufgefordert", schrieb Marek im Jahr 2016 an Brandstetter. Und: "DANKE für das Einhalten unserer Gespräche und dass ich Dir aus einer ausweglosen Situation helfen durfte. SPRICH Nittel und Vrabl verhindert werden mussten (...)". Gab es also einen Hintergrunddeal zwischen Marek und Brandstetter? Beide bestreiten das.

Eva Marek 
OGH-Vizepräsidentin Eva Marek im ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss.
APA/HELMUT FOHRINGER

Laut STANDARD-Informationen hat die Staatsanwaltschaft Innsbruck in der Sache allerdings ein Ermittlungsverfahren gegen Brandstetter geführt. Er wird des Missbrauchs der Amtsgewalt verdächtigt; die Ernennung von Marek soll aus unsachlichen Gründen erfolgt sein. Zu der Causa wurde Brandstetter bereits einvernommen. Wie der "Kurier" berichtet hat, wurden alle Ermittlungen gegen Brandstetter bereits abgeschlossen, nun liegen Vorhabensberichte bei der OStA Innsbruck. Nicht bekannt war, dass auch wegen der Bestellung Mareks ermittelt wurde.

"Lachnummer der Justiz"

Ein Knackpunkt im Verfahren ist die Empfehlung der Personalkommission, die sich damals mit den Kandidatinnen beschäftigt hat. Sie präferierte Vrabl-Sanda als künftige OStA-Chefin; Brandstetter drehte den Personalvorschlag um und ernannte Marek. Ein Vorgang, der zwar unüblich, aber nicht ganz unbekannt ist. Auch die aktuelle Justizministerin Alma Zadić (Grüne) folgte selten nicht dem Vorschlag der Personalkommission, zuletzt etwa bei der Besetzung der Spitze der Generalprokuratur.

Juristisch heikel wird die Angelegenheit jedoch in Kombination mit den Chats, die Brandstetter bei seiner Einvernahme vorgehalten wurden. Für die Ermittler besteht der Verdacht, dass der damalige Minister seine Wunschkandidatin erst zur Bewerbung aufgefordert, ihr als eine Art Belohnung einen späteren anderen Spitzenjob versprochen habe und dann der Empfehlung der Personalkommission nicht gefolgt sei. So zeigte sich Marek in Chats enorm verärgert darüber, dass sie 2016 nicht Leiterin der Generalprokuratur wurde: Sie fühle sich als "Lachnummer der Justiz", schrieb sie etwa Johanna Mikl-Leitner (ÖVP); Brandstetter warf sie eine "unfassbare Demütigung" vor.

Erinnerungslücken

In einer seiner letzten Amtshandlungen als Justizminister ernannte er Marek dann 2017 zur Vizepräsidentin des OGH – ein Vorgang, den Brandstetter bei seiner Befragung im U-Ausschuss zunächst abstritt. "Ich war in den Entscheidungsprozess sicher nicht mehr eingebunden. Das kann nicht sein. Ich habe keine Erinnerung daran", sagte Brandstetter, gegen den unter anderem deshalb nun auch wegen des Vorwurfs der Falschaussage ermittelt wird.

Nach Auftauchen der Chats im Frühjahr 2022 wurden Marek ihre Leitungsfunktionen beim OGH entzogen; mittlerweile ist sie aber wieder vollumfänglich dort tätig. Gegen Marek selbst, die innerhalb von ÖVP und Ministerien bestens vernetzt ist, wird nicht ermittelt. Sie gab im U-Ausschuss an, ihre Chats seien "absolut unpassend, extrem zynisch und aus meiner Sicht respektlos" gewesen. Auf diese Aussagen verwies Marek auch nach einer aktuellen Anfrage des STANDARD. Brandstetter reagierte auf Fragen nicht.

Dem Verfahren gegen Brandstetter hat sich auch WKStA-Chefin Vrabl-Sanda als Privatbeteiligte angeschlossen. Sie habe durch den vermuteten Postenschacher "finanzielle Einbußen" erlitten.

Nach Marek wurde dann Johann Fuchs zum Chef der OStA Wien, wie Marek galt er als Weggefährte des langjährigen Justiz-Sektionschefs Christian Pilnacek, der im Herbst des Vorjahres verstorben ist. Auch gegen Fuchs wurde in Innsbruck ermittelt, auch er soll im U-Ausschuss falsch ausgesagt haben. Das Verfahren endete mit einem Freispruch wegen Aussagenotstands; Fuchs durfte vereinfacht gesagt also lügen, um sich nicht selbst zu belasten. Er bleibt OStA-Chef, die Aufsicht über die Verfahren der WKStA wurde ihm jedoch entzogen. Ein bisschen weniger Macht also. (Fabian Schmid, Michael Nikbakhsh, 11.1.2024)