Justizministerin Alma Zadić (Grüne) und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP)
Justizministerin Alma Zadić (Grüne) und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) wollen den Entscheid des Höchstgerichts rasch umsetzen.
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"Ein Kastl", so nannte Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) jenen Datenträger, der im Casinos-Verfahren eine regelrechte Flut an neuen Ermittlungen ausgelöst hatte. Auf der Festplatte, die 2019 im Zuge einer Hausdurchsuchung bei Thomas Schmid, dem einstigen Generalsekretär im Finanzministerium und Ex-Chef der Staatsholding Öbag, sichergestellt wurde, fanden Staatsanwältinnen und Staatsanwälte hunderttausende Chatnachrichten. Diese führten zu Ermittlungen gegen dutzende Beschuldigte in ÖVP und FPÖ.

Die "Causa prima" ist aber keineswegs das einzige Verfahren, in dem elektronische Beweismittel wie Handys oder Laptops eine zentrale Rolle spielen. Ganz im Gegenteil: Es passiert mittlerweile laufend, dass Ermittlerinnen und Ermittler nach der Beschlagnahmung von Datenträgern plötzlich einen unerwarteten Datenschatz in den Händen halten, der weitere mutmaßliche Kriminalfälle ans Licht bringt.

Über die Voraussetzungen zur Sicherstellung von Handys war seit Bekanntwerden einer Unmenge von Schmids Chatnachrichten eine politische Debatte entbrannt. Denn die Sicherstellung von Smartphones und Laptops ist derzeit aus mehreren Gründen rechtsstaatlich problematisch: Derzeit brauchen Behörden für Sicherstellungen weder eine richterliche Bewilligung, noch muss ein "dringender Tatverdacht" vorliegen, es reicht eine staatsanwaltschaftliche Anordnung. Zugute kommt den Staatsanwaltschaften, dass Handys und Laptops rechtlich als "Gegenstände" gelten und damit ähnlich einfach beschlagnahmt werden können wie etwa ein Notizbuch oder Kalender.

2004, als die entsprechende Gesetzesstelle zuletzt reformiert wurde, war noch nicht absehbar, dass auf Smartphones das gesamte digitale Leben gespeichert ist. Wenn Smartphones sichergestellt werden, kommt das zwar einer direkten Überwachung von Nachrichten oder Telefonaten nahe, allerdings ist nur Letztere unter strengen Bedingungen zulässig.

Politische Debatte entbrannt

Anwältinnen und Anwälte sehen das höchst problematisch und orten dringenden Reformbedarf. Die Anwaltskammer schlug daher im Vorjahr vor, die Hürden für Ermittlerinnen und Ermittler künftig anzuheben. Die Sicherstellung von Datenträgern soll nur dann möglich sein, wenn die Staatsanwaltschaft einen "dringenden Tatverdacht" hat und Straftaten verfolgt, die mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe belangt werden können. Auch Zufallsfunde, die bei der Sicherstellung von Handys laufend vorkommen, sollen nur noch unter diesen Voraussetzungen verwertet werden dürfen. Ähnlich sieht das auch die Strafrechtsprofessorin Ingeborg Zerbes.

Demgegenüber warnten Staatsanwältinnen und Staatsanwälte vor Einschränkungen. Sie wiesen darauf hin, dass durch strengere Regelungen viele Straftaten nicht aufgedeckt werden würden. Außerdem könnten Beschuldigte ohnehin Rechtsmittel gegen die Maßnahmen ergreifen.

Politisch brisant ist die Frage vor allem deshalb, weil ÖVP und Grüne im Zuge ihrer seit Jahren festgefahrenen Justizreform unter anderem über die Voraussetzungen für die Sicherstellung von Smartphones verhandeln. Die ÖVP lehnt die grünen Pläne für einen Bundesstaatsanwalt ab: Justizministerin Alma Zadić besteht auf einem Gremium, das gemeinsam die Spitze bildet. Die Grünen wiederum können mit den türkisen Wünschen für die Stärkung von Beschuldigtenrechten wenig anfangen. Konkret setzte sich vor allem Verfassungsministerin Karoline Edtstadler für einen besseren Schutz von Beschuldigtenrechten ein – etwa bei der Sicherstellung von Handys und Co. Zadić hingegen wollte offiziell die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) zu diesem Thema abwarten. Die gibt es nun.

Sicherstellung ohne Richter verfassungswidrig

Konkret liegt die Entscheidung seit Dienstag vor. Die Höchstrichterinnen und Höchstrichter befanden, dass eine Sicherstellung von Mobiltelefonen ohne davor erfolgte richterliche Genehmigung verfassungswidrig ist. Eine solche würde nämlich gegen das Recht auf Privatleben und das Datenschutzgesetz verstoßen.

Der Eingriff in das Privatleben und den Datenschutz sei besonders intensiv, weil eine Sicherstellung bereits bei einem Anfangsverdacht auf eine leichte Straftat möglich sei, betont der VfGH. Eine Sicherstellung könnte auch gegenüber einem nicht verdächtigen Dritten erfolgen. Auch seien sämtliche Personen betroffen, deren Daten auf dem sichergestellten Datenträger gespeichert sind.

Das Höchstgericht nennt in seinem Entscheid auch gleich mehrere Punkte, die bei einer Neuregelung zur Sicherstellung von Handys und anderen Datenträgern zu berücksichtigen sind. So muss künftig ein Richter nicht nur die Sicherstellung genehmigen, sondern auch festlegen, welche Daten aus welchem Zeitraum zu welchen Ermittlungszwecken ausgewertet werden dürfen. Weiters legt der VfGH fest, dass künftig bei Sicherstellungen von Handys das öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung und die Grundrechte des Betroffenen gegeneinander abgewogen und in Ausgleich gebracht werden müssen.

Reparatur bis Ende 2024

Bis Ende 2024 muss das Gesetz nun repariert werden. Die aktuelle Regelung tritt spätestens am 1. Jänner 2025 außer Kraft – diese Frist hat der VfGH gesetzt. Das Höchstgericht bringt jetzt Tempo in die von Türkis-Grün geplante Justizreform – zumindest in einen Teil davon.

Justizministerin Zadić kündigte jedenfalls in einer Stellungnahme eine "zeitnahe" Umsetzung an. Sie begrüße, "dass der Verfassungsgerichtshof mit seiner Entscheidung die grundrechtlichen Fragen und Abwägungen bei Handysicherstellungen verfassungsrechtlich geklärt hat". Wichtig sei laut Zadić, dass eine neue Regelung die Sicherheitsinteressen der Bevölkerung wahre und staatsanwaltschaftliche und polizeiliche Ermittlungen nicht gefährde.

Verfassungsministerin Edtstadler kann eine Gesetzesreparatur jedenfalls nicht schnell genug gehen. "Wir dürfen hier keine Zeit verlieren." Die aktuelle Gesetzeslage würde nicht berücksichtigen, "dass Handys umfassende Informationen zu unserem gesamten Leben enthalten". Es sei "unser gesetzlicher Auftrag, dies umgehend zu korrigieren".

Begrüßt wurde die Entscheidung von SPÖ-Justizsprecherin Selma Yildirim, Neos-Justizsprecher Johannes Margreiter verlangte eine Reparatur noch im ersten Halbjahr 2024, FPÖ-Justizsprecher Harald Stefan wiederum nannte das Erkenntnis "absolut nachvollziehbar". Gernot Kanduth, Präsident der Richtervereinigung, spricht von einer "aus grundrechtlicher Sicht sehr wichtigen Entscheidung". Armenak Utudjian, Präsident der Anwaltskammer, hatte eine Reform gefordert und fühlt sich in seiner Einschätzung bestätigt. Für Cornelia Koller, Präsidentin der Staatsanwälte-Vereinigung, ist nun wichtig, dass eine "klare, grundrechtskonforme und auch praxistaugliche Regelung gefunden wird".

Keine rückwirkenden Auswirkungen

Auch der Verfassungsjurist Heinz Mayer hält die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs für richtig. "Bisher konnten wegen jeder leichten Straftat Handys sichergestellt werden, und das ist angesichts der Datenvielfalt, die darauf gespeichert ist, doch ein herber Eingriff", sagt er im Gespräch mit dem STANDARD. Nun sei der Gesetzgeber am Zug, die höchstgerichtlichen Vorgaben auszugestalten. Hier habe der Verfassungsgerichtshof der Politik einen gewissen Spielraum gelassen.

Künftig werden sich die Staatsanwaltschaften jedenfalls mit einem Gericht abstimmen müssen, um ein Handy oder andere Datenträger zu beschlagnahmen. Werden die Staatsanwaltschaften damit in ihren Ermittlungen eingeschränkt? "Natürlich wird das eine Änderung darstellen, aber ich würde das auch nicht überschätzen", sagt Mayer. Schon heute sei es so, dass nur für das Verfahren relevante Erkenntnisse im Akt landen dürfen.

Der Verfassungsjurist betont auch: "Das Problem besteht schon lange, im Grunde seit es Handys gibt. Es hat nur niemanden gekratzt, bis die Auswertung von Handys ein politisches Thema wurde durch die Untersuchungen gegen die ÖVP."

Apropos ÖVP: Rückwirkend hat die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs jedenfalls keine Auswirkungen – für bereits laufende Ermittlungen und Verfahren ändert sich also nichts. Für die Sicherstellung der Festplatte von Schmid gab es damals übrigens eine richterliche Anordnung.

Nur für den Antragsteller, der den Fall vor den VfGH gebracht hat, gilt die Entscheidung sofort, sein Verfahren wurde beendet. Es handelt sich dabei um einen Kärntner Unternehmer, gegen den wegen Untreue ermittelt worden war. Er wehrte sich gegen seine Handysicherstellung durch die Staatsanwaltschaft Klagenfurt – und griff damit ein politisch heißes Eisen an. Für alle anderen Fälle gilt bis zur Gesetzesreparatur weiterhin die aktuelle Gesetzeslage. (Sandra Schieder, Katharina Mittelstaedt, 19.12.2023)