Heimische Justizanstalt: blinde Flecken, wie es sie in der Republik nicht geben sollte.
Heimische Justizanstalt: blinde Flecken, wie es sie in der Republik nicht geben sollte.
Regine Hendrich

Baufällige Zellen, dreckige Sanitäranlagen und ein dramatischer Mangel an gesundheitlicher Betreuung: Wer in Österreich in Haft gerät, muss sich mitunter mit derartigen Zuständen abfinden. Nachzulesen ist das im neuen Bericht des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, kurz CPT. Im Jahr 2021 hat die Europarats-Institution verschiedene heimische Gefängnisse und Polizeieinrichtungen besucht. Die Erkenntnisse liegen nun vor.

Justizanstalten

Inspiziert hat die Delegation die Gefängnisse in Leoben, Innsbruck und Wien-Josefstadt. Vorwürfe wegen körperlicher Misshandlungen durch das Personal kamen den Besuchern nicht zu Ohren. Sehr wohl aber war zu hören, dass es in Innsbruck und Wien Beschimpfungen gegeben habe, auch fremdenfeindlicher und rassistischer Natur. Gewalt unter Häftlingen schien an allen drei Standorten kein maßgebliches Problem zu sein.

Abgesehen von Abnutzungserscheinungen in Wien registrierte das CPT in diesen Einrichtungen solide, saubere Bedingungen und ausreichend große Zellen. In Innsbruck und Leoben stachen überdies die den arbeitenden Strafgefangenen angebotenen Aktivitäten positiv hervor.

In krassem Gegensatz dazu seien die Bedingungen für Untersuchungshäftlinge sowie in Innsbruck und Leoben auch für die nicht arbeitenden männlichen Gefangenen jedoch "äußerst schlecht": Als "nicht hinnehmbar" bezeichnet der Bericht, dass diese Häftlinge bis zu 23 Stunden am Tag in ihren Zellen eingeschlossen blieben.

Als eine Ursache dafür identifizieren die Berichterstatter Personalnot, die sich in vielerlei Hinsicht negativ niederschlage: Die grundsätzlich "unzureichende" Ausstattung mit Ärzten und Pflegefachkräften sei durch unbesetzt bleibende Stellen noch verschärft worden; in Leoben und Wien würden Vollzugsbedienstete mit medizinischen Grundkenntnissen Tätigkeiten übernehmen, die normalerweise diplomierten Pflegern vorbehalten sind. Die psychiatrische Betreuung sei der hohen Zahl an Häftlingen mit derartigen Störungen ebenso wenig angemessen.

Psychiatrische Hafteinrichtungen

Auch in diesen drei besuchten Institutionen – Abteilungen der Justizanstalten Göllersdorf und Stein sowie des Landesklinikums Mauer – wurden keine Vorwürfe wegen vorsätzlicher Misshandlung laut. Viele Patientinnen und Patienten hätten sich, besonders in Mauer, vielmehr positiv über das Personal geäußert.

Doch auch hier ist fehlendes Personal ein großes Problem. Geradezu "dramatisch" sei der Mangel an Psychiaterinnen und Psychiatern in Stein: Für 800 Insassen standen zum Zeitpunkt des Besuchs lediglich drei Kräfte für 22 Wochenstunden zur Verfügung.  Pflegefachpersonal war überhaupt nicht im Einsatz.

Schubhaft

Auch im Polizeianhaltezentrum Hernalser Gürtel, wo Menschen ohne legalen Aufenthaltstitel in Schubhaft untergebracht sind, gilt: Vorwürfe wegen Misshandlung tauchten nicht auf. Allerdings hätten sich die Bedingungen seit dem Besuch im Jahr 2014 "erheblich verschlechtert". Abgesehen von sanierten Gemeinschaftsduschen sei "der größte Teil des Zellen- und Gemeinschaftsbereiches in einem erschreckenden baulichen Zustand" angetroffen worden: Die Gäste fanden Gänge, Zellen und deren sanitäre Anlagen "baufällig und schmutzig" vor.

Außerdem sorgten schwere Eisentüren, vergitterte Fenster und Gittertore für eine "äußerst gefängnisartige und bedrückende" Atmosphäre – ungeeignet, um ausländische Staatsangehörige für längere Zeiträume in Schubhaft zu halten, hält der Bericht fest.

Polizeigewahrsam

Die überwiegende Mehrheit der Befragten erhob keine Misshandlungsvorwürfe. Einige Beschwerden über das übermäßig enge Anlegen von Handschellen sowie Beschimpfungen durch Polizeibeamte wurden aber laut. Die Schutzmaßnahmen gegen derartige Vorfälle hinterließen jedoch einen positiven Eindruck, merkt der Bericht an.

Als "angemessen" stuft das CPT die Haftbedingungen ein, empfiehlt aber, dass allen Personen, die 24 Stunden oder länger in Polizeigewahrsam festgehalten werden, nach Möglichkeit täglich Bewegung im Freien angeboten wird.

Kritik von Amnesty International

Angesichts der mitunter "menschenunwürdigen Bedingungen" und "maroden Zustände" dürfe die Regierung nicht länger die Augen verschließen", bilanziert Stephan Handl von Amnesty International Österreich den Bericht. Die brennendsten Probleme sieht die NGO in der Schubhaft: "Ein Aufenthalt im Polizeianhaltezentrum Hernalser Gürtel gleicht einer Schikane. Es ist nicht hinnehmbar, dass Schubhäftlinge unter so schlechten Bedingungen festgehalten werden, zumal ihre Inhaftierung in vielen Fällen Wochen oder sogar mehrere Monate dauert."

Generell erhalte Amnesty aus Abschiebezentren immer wieder Berichte über "unverhältnismäßige Gewaltanwendung, willkürliche Disziplinierungsmaßnahmen und katastrophale hygienische Bedingungen", sagt Handl und weist darauf hin, dass die CPT-Delegation nicht alle Anstalten besucht hat. In den Schubhaftzentren im steirischen Vordernberg und an der Wiener Rossauer Lände gebe es sehr wohl Misshandlungsvorwürfe.

Endlich abgerissen gehöre das berüchtigte Haus am Hernalser Gürtel, fordert der grüne Sicherheitssprecher Georg Bürstmayr: Menschenrechtskonformer Vollzug von Schubhaft sei in diesem Relikt aus dem 19. Jahrhundert einfach nicht möglich.

Dem Erwachsenenschutzverein Vertretungsnetz bereiten nicht nur die unzulängliche psychiatrische Betreuung und die langen Einschlusszeiten der Zelleninsassen Sorgen. Laut Bericht soll einigen Patientinnen und Patienten der psychiatrischen Abteilungen Konsequenzen angedroht worden sein, falls sie Behandlungen ablehnen. Das decke sich mit bisherigen Erfahrungen, so das Vertretungsnetz: Wer nicht einlenke, habe keine Aussicht auf Lockerungen im Vollzug.

Ruf nach mehr Geld für Personal

Vor Veröffentlichung des Berichts hatten bereits heimische Volksanwälte ein kritisches Urteil abgegeben. In den heimischen Haftanstalten fehle es "an allen Ecken und Enden" an Personal, konstatierte die von der ÖVP nominierte Gaby Schwarz. Das betreffe nicht nur die Exekutive, sondern auch das Gesundheitspersonal – von den Psychotherapeuten bis zu den Ergotherapeuten. 

Wie Schwarz im Ö1-"Morgenjournal" am Dienstag erläuterte, werde der Staat mehr Geld für bessere Bezahlung in die Hand nehmen müssen: Jobanwärter könnten bei anderen Arbeitgebern einen besseren Verdienst erwarten, das führe zum "bedauerlichen Mangel" in den Justizanstalten.

Analog zum CPT-Bericht sieht Walter Rosenkranz, Volksanwalt auf dem Ticket der FPÖ, die nicht dem Justizressort, sondern dem Innenministerium unterstellten Schubhaftzentren als besondere Problemzone. Zwar habe sich die medizinische Versorgung in diesen Einrichtungen dank finanzieller Anreize und eines Teilzeitmodells für Amtsärzte verbessert. Doch immer noch existierten "blinde Flecken", wie es sie in der Republik nicht geben dürfte: Abgesehen von hygienisch bedenklichen Zuständen fehlten den Insassen Möglichkeiten wie die Videotelefonie, die das Innenministerium aus unverständlichen Gründen ablehne. (Gerald John, 27.6.2023)