Für KuliMa – "Kulinarisches Mittelalter" an der Universität Graz – ist die Küchenpraxis ein wesentlicher Teil der Vereinsarbeit. Die Grundlage bilden dabei historische Rezepttexte: Es wird in (digitalisierten/faksimilierten) Handschriften und (Früh-)Drucken, parallel dazu auch in Editionen, also bereits für den wissenschaftlichen Gebrauch aufbereiteten historischen Texten, recherchiert. Bei der praktischen Umsetzung geht es nicht um Reenactment, also das Nachstellen von historischen Bedingungen, sondern um die Überführung der alten Rezepte in eine moderne Küche. 

Diverses Gebäck nach historischen Rezepten
Foto: Edith Hochegger

Am Anfang war die Idee 

Mit der Grundidee "Rezepte von um 1600" und durch das Wissen in Bezug auf die "Kochbuchgeschichte" rückte ein Kochbuch aus der Frühen Neuzeit ins Zentrum des Interesses: Das "New Kochbuch" des Marx Rumpolt, dem "Churf. Meintzischen Mundtkoch", erschien erstmals 1581 in "Frankfort am Mayn". Es ist "zwar beileibe nicht das erste gedruckte Kochbuch in deutscher Sprache, aber es behauptet unter den Wiegen- und Frühdrucken auf dem Felde der Kulinaria zweifellos den ersten Rang". Manfred Lemmer begründet diese Vorrangstellung im Nachwort zum Faksimile damit, dass Rumpolt sich als erster Küchenmeister bereit fand, "die Geheimnisse [seiner] Kunst öffentlich zu verbreiten". Als Küchenmeister war er also ein Fachmann, und zwar "Mundkoch" des Mainzer Kurfürsten, wahrscheinlich Daniel Brendel von Homburg, 1555-1582.

"Von allerley Gebackens / wie man es zurichten sol." (Marx Rumpolt, "New Kochbuch", Blatt CLXVb).
Foto: Public Domain

Auf zu den Rezepten ...

Passend für eine kleine Kostprobe, die man auch an ein interessiertes Publikum verteilen kann, scheint das auf Blatt CLXVb (Rückseite von Blatt 165) beginnende Kapitel "Von allerley Gebackens / wie man es zurichten sol." Die Auswahl ist groß, aber dennoch für viele Zwecke gar nicht immer so geeignet. Ist das erste Rezept wohl ein Brandteig (mit Milch), folgen darauf diverse Backteige. Viele dieser Rezepte klingen zwar sehr interessant, das "gebacken" bezieht sich dabei aber oft auf das Herausbacken in Fett, was die Haltbarkeit einschränken würde. Sehr oft sollten die Speisen laut Angabe im Rezept auch warm serviert werden. Im Ofen gebacken wird hingegen ab Rezept Nummer 49 – ins Auge stechen – schon allein namentlich – "Precedella" (Nummer 55), "Piscoten" (Nummer 52) und "Gänßfüß" (Nummer 50).

Marx Rumpolt, "New Kochbuch", Blatt CLXIXb.
Foto: Public Domain

"Und man nennet es Precedella"  
55. Nimb ein schönes Mehl/ lauter Eyerdotter/ unnd ein wenig Wein/
Zucker und Aniß/ mach ein Teig damit an/ walg jn fein länglicht und rundt mit saubern Händen/ unnd mach kleine Bretzel darauß/ scheubs in ein warmen  Ofen/ und backs/ daß du es nit verbrennest/ sondern fein außtrucknet/ so werden sie auch mürb und gut. Du magst auch Zimmet darunter nemmen oder nicht. Und man nennet es Precedella.

Der Selbstversuch

Ein typisches Merkmal von historischen Rezepttexten ist das Fehlen jeglicher Mengenangaben, ebenso fehlt oft sogar eine genaue Auflistung der Zutaten. Für die Praxis, das Umsetzen eines solchen alten Rezepts, heißt das: lesen, durchdenken und ausprobieren, auf vorhandenes Wissen und Intuition zurückgreifen. Die genannten Zutaten helfen aber schon weiter, denn Mehl, Eidotter und Wein sind die klassischen Zutaten beispielsweise für steirische Weinstrauben, wenn auch die "Precedella" im Rohr und nicht in Fett schwimmend gebacken werden.

Damit kann die praktische Umsetzung gleich starten: Zu den beiden Eidottern kommen zwei Esslöffel Weißwein. Ganz hinten im Keller steht ein Sizilianischer Chardonnay von 2006 – einen Versuch ist es wert: erstaunlich wenig Süße, aber ein leicht harziger Geschmack – könnte geschmacklich passen. Dazu kommt ein gehäufter Teelöffel Anis, im Mörser leicht zerstoßen, ebenso werden circa 20 Gramm Staubzucker hinzugegeben.

Dieses Gemisch wird mit circa zehn Deka glattem Weizenmehl zu einem eher festen Teig geknetet und für ein, zwei Stunden kühl gestellt – eine heutzutage übliche Praxis bei Straubenteig. Hier weiche ich also von Rumpolts Anleitung ab, der den Teig gleich weiterverarbeitet.

Auf das Auswalken mit dem Nudelwalker verzichte ich gleich und rolle – "mit saubern Händen" – circa 20 Zentimeter lange Würstchen, aus denen kleine Brezeln geformt werden.

Brezel, fertig zum Backen, nach einem Rezept von Marx Rumpolt.
Foto: Edith Hochegger

Der Brotbackofen mit Schamottsteinboden ist bereits heiß, und das Gebäck wird dort hineingeschoben und bei 110 Grad Unterhitze und 190 Grad Oberhitze für circa 25 Minuten gebacken. Erfahrungsgemäß entspricht diese Hitze im Brotofen etwa 200 Grad im normalen Backrohr – bei Ober- und Unterhitze.

Die Verkostung der noch lauwarmen Brezeln überzeugt: Die Menge von Anis passt, der harzige Weingeschmack ist andeutungsweise noch zu merken, mürb sind sie auch. Optisch lässt sich noch nachjustieren: Manche Brezeln schauen eher wie Knoten aus. Zu hinterfragen ist, wie sie eigentlich aussehen: Liegen die Enden oben auf oder werden sie unterhalb reingeschoben? Auf jeden Fall sollten die Stränge dünner ausgerollt werden, die Größe passt. Die zweite optische Nachbesserung betrifft die recht matte Oberfläche: Einpinseln mit Ei oder Zuckerwasser oder etwas ganz anderem? Das muss im nächsten Versuch ausprobiert werden. Und wie sieht es mit der Haltbarkeit aus? Ein Probenaschen nach zwei Tagen scheint okay zu sein, nach drei Tagen fällt die Reaktion von Vereinskolleginnen eher gedämpft aus: Geschmacklich irgendwo zwischen gut und fad, auf jeden Fall zu trocken.

Ein bekannter Name taucht auf

52. Nimb weiß von Eyern/ und nimb ein schönen neuwen Hafen darzu/ und schön weiß Mehl/ mach ein Teig in dem Hafen ab/ und schlag jn wol mit einem höltzern Löffel/ nimb Aniß und Coriander darunter/ machs mit weissem Zucker wol süß/ geuß ein wenig Rosenwasser darunter/ unnd ein wenig Saltz/ du kanst auch wol ein Eydotter oder zween/ die frisch seyn/ darunter nemmen. Nimb ein Oblat/ der fein breit und länglicht ist/ thu den Teig auß dem Hafen darauff mit einem höltzern Löffel/ scheubs geschwindt in einen
Ofen/ daß der Teig nicht voneinander fleußt/ so wirdt er fein in die höh aufflauffen/ wenns gebacken ist/ so thu es herauß/ und laß ein weil uberschlagen/ schneidts nach der läng etwan eins halben Fingers dick/ legs widerumb auff ein saubers Papier/ oder auff ein Oblat/ und scheubs wider in Ofen/ der uberschlagen ist/ kehrs offt umb auff beyden seiten/ daß fein außtrucknet/ so werden sie gut unnd mürb. Unnd man nennets Piscoten von lauter Eyerweiß.

Nicht nur ein bekannter Name, sondern auch eine gute Ergänzung zu den "Precedella", wo nur Eidotter benötigt werden, sind diese "Biskotten", für die man Eiklar braucht. Weiters angeführt sind weißes Mehl, Anis, Koriander, weißer Zucker, Rosenwasser, Salz, möglich sind auch – endlich gibt es hier erstmals eine Mengenangabe, und zwar bei einer optionalen Zutat – ein, zwei Eidotter. Die Zubereitungsbeschreibung ist nicht ganz eindeutig, aber die Zutaten selbst weisen, wie auch der Name, in Richtung Zwieback: Eiklar mit einer kleinen Prise Salz zu Schnee schlagen – in einer sauberen Schüssel – "nimb ein schönen neuwen Hafen darzu". Zucker mit aufschlagen sowie das mit den Gewürzen vermischte Mehl unterheben. Optional noch vor dem Mehl die ein, zwei Eidotter darunter mischen. 

Fraglich ist allerdings – wie immer – die Menge: Wie ist es mit dem Verhältnis der Zutaten zueinander? Die eigene Erfahrung in Bezug auf (Nuss-)Zwieback beziehungsweise auch online recherchierbare Rezepte geben Gewichtsverhältnisse an: circa ein Teil Eiklar zu einem Teil Zucker zu 1,5 Teile Mehl. Bei 64 Gramm Eiklar (zwei Stück) ebenso viel Zucker und circa 96 Gramm Mehl. Im ersten Versuch kommen ein Teelöffel leicht im Mörser zerstoßene Aniskörner und ein Viertel Teelöffel gemahlener Koriander – weil dieser gerade verfügbar ist – dazu, auf die Zugabe der Eidotter wird (notgedrungen) verzichtet – diese wurden ja für die "Precedella" gebraucht. In der Aufregung vergesse ich auf das Rosenwasser. Anleitungsgemäß "thu" ich den Teig auf längliche Oblaten, rein ins Backrohr – vorgeheizt auf 175 Grad bei Ober-/Unterhitze in einem normalen Backrohr –, nach circa 40 Minuten ist die Farbe schön, also raus damit.

"Piscoten von lauter Eyerweiß" nach Marx Rumpolt: Teig auf Oblaten.
Foto: Edith Hochegger

Was ist "uberschlagen"?

Die Anweisung "und laß ein weil uberschlagen" ist zwar intuitiv verständlich – auskühlen lassen –, das Wort an sich interessiert nun aber doch: Kein Ergebnis liefert die Suche im Frühneuhochdeutschen und dem Mittelhochdeutschen Wörterbuch. Wie schon oft erweist sich aber auch hier das Grimm'sche Wörterbuch als wunderbare Quelle: Unter dem Begriff "überschlagen" lässt sich bei Punkt B. 1) lesen: "von flüssigkeiten gesagt: die temperatur verändern […], seit dem 16. Jahrh. nachzuweisen, besonders verkehrssprachlich und in mundarten, von da ins schriftdeutsch gedrungen. a) kalt werden". Also liege ich richtig – und lasse das Gebackene kalt werden.

Nach dem Auskühlen folgt Schritt zwei: Rumpolt schreibt zwar "schneidts nach der läng etwan eins halben Fingers dick", ich schneide es aber nach der Breite und circa 0,6 Zentimeter dick – also eher viertel-fingerdick – und lege es wieder aufs Backblech. Dieses kommt ins Rohr, das "uberschlagen" ist, also jetzt nur noch circa 100 Grad hat. Etwa 20 Minuten lang werden die Scheiben nun getrocknet – Backrohrtür etwas offen lassen, die Scheiben immer wieder umdrehen, "daß fein außtrucknet/ so werden sie gut unnd mürb".

Die "Piscoten von lauter Eyerweiß" sind laut Testessen gelungen – allein: mürb sind sie nicht. Beim nächsten Versuch wird das glatte Mehl gegen griffiges getauscht. Und: 0,6 Zentimeter sind zu dick – also noch dünner schneiden. Was sonst noch auffällt: Spätestens nach dem Trocknen – wenn nicht schon beim Schneiden – lösen sich die Oblaten – diese waren wohl schlicht als Unterlage gedacht, damit der Teig nicht auf dem Ofenboden beziehungsweise dem Blech festklebt. Beim nächsten Versuch wird der Teig eventuell in eine kleine Kastenform oder Ähnliches geben. Die "Piscoten" sind über Wochen hinweg haltbar – allerdings eingepackt, damit der Zwieback keine Feuchtigkeit aufnehmen kann.

Und was hat es nun mit dem Namen auf sich? Wie der "Zwieback" werden die Biskotten zweimal gebacken: Der Name geht auf die lateinischen Wörter "bis" (zweimal) und "coctum" (gekocht) zurück.

„Piscoten von lauter Eyerweiß“ nach Marx Rumpolt
Edith Hochegger

"Unnd man nennet es Gänßfüß"

Probiert wird jetzt Rezept Nummer 50: Laut Rezepttext soll man "wiederum einen solchen Teig machen" – also braucht es einen Blick zurück in das vorherige Rezept, die Nummer 49. Dort steht: "Mach ein Teig von lauter Eyern/ doch nicht gar zu dick/ spreng Saltz darein". In diesem Fall ist die Anleitung wirklich dürftig. Weiter steht in Rezept 50: "treibs fein voneinander", das meint sinngemäß wohl "auswalken" – andernfalls könnte man es nicht "vierecket oder rundt" ausschneiden. Aber um einen Teig zu erhalten, der sich auswalken lässt, braucht es zumindest noch Mehl – damit wären wir bei Eierstrauben. Meine Vereinskollegin testet das auch: Das erste Ergebnis – der Teig wird aus Eiern und Mehl zubereitet – ist nicht ganz zufriedenstellend. Ab Versuch zwei gibt sie Butter dazu, womit es eine Art Mürbteig wird. Geschmacklich überzeugend ist es noch nicht – es fehlt das Gewürz. Versuch drei mit demselben Teig, aber etwas mehr Gewürz, schaut sehr gut aus: 18 Deka Mehl, zehn Deka Butter, ein Ei, Salz, je eine gute Messerspitze Anis und Koriander. Gebacken wird bei 170 Grad Umluft für circa 15 Minuten. Der Zucker ist noch gut zu sehen, und auch wenn noch mehr Gewürz rein könnte, sind die leicht bräunlichen Gänsefüße gelungen – geschmacklich und vor allem optisch.

Die Optik ist der zentrale Punkt: Schon vor den Überlegungen zu den Zutaten standen Überlegungen zur Form des Gebäcks, das so schön "Gänßfüß" genannt wird. Folgt man der Anleitung von Rumpolt, wären es schlichte Kekse geworden, "vierecket oder rundt" geschnitten. Geholfen hat hier die schnöde Bilder-Recherche über eine Suchmaschine zu den Begriffen "Gänsefüße" und "Gebäck". Damit war der Weg zur Realisierung klar, denn umfangreich sind die Suchergebnisse zu "Gusinije lapki", einem ursprünglich wohl russischen Rezept, auch zu finden unter "Goose Feet Cookies": süße Kekse aus einer Art Topfenteig, die wie Gänsefüße geformt werden. So verfährt auch die Kollegin: Sie formt kleine Teigplatten von circa zehn Zentimeter Durchmesser, die zu einem Halbkreis zusammengeklappt und dann durchgeschnitten werden, womit man zwei Viertel hat. Diese werden dann jeweils an der Rundung zweimal eingeschnitten, mit Rosenwasser bestrichen, mit Zucker bestreut – und dann ab ins Rohr.

Links beginnend, gegen den Uhrzeigersinn: "Gänsfüß", Versuch eins, zwei und drei.
Foto: Edith Hochegger

Was kommt auf den Tisch?

Historische Kulinarik lässt sich auf vielfache Art und in unterschiedlichsten Rahmen vermitteln. Bei der "Langen Nacht der Kirche" am 25. Mai wird der Verein KuliMa unter anderem kleine kulinarische Kostproben aus der Zeit der Gründung der Antoniuskirche in Graz anbieten. Welche der hier vorgestellten Rezepte wirklich den Weg in die Öffentlichkeit finden, ist noch ungewiss. So viel sei aber verraten: Getestet wird noch immer. (Edith Hochegger, 27.4.2018)

Links

Literatur

  • Marx Rumpolt: Ein new kochbuch … Franckfort am Mayn 1581. Digitalisat: Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel: 
  • Marx Rumpolt: Ein new Kochbuch. Mit einem Nachwort von Manfred Lemmer. 3. Nachdruck der Ausg. Frankfurt am Main 1581. Hildesheim, Zürich, New York: Olms 2002.

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