In der Medizin drehen sich die Forschungsräder am schnellsten in der Onkologie. Zwischen 2009 und 2015 wurden durch die Europäische Arzneimittelagentur EMA insgesamt 70 neue Wirkstoffe zugelassen. Wie kompliziert die Nutzenbewertung sowie die nationalen Regelungen zur Finanzierung der Therapien sind, stellt jetzt eine Studie des Wiener Ludwig Boltzmann Instituts für Health Technology Assessment dar.

Die Situation rund um die Onkologika ist in den vergangenen Jahren durch die immer größer werdende Anzahl von Medikamenten der zielgerichteten Krebstherapie sowie der neuen Immuntherapeutika extrem komplex geworden.

Aktuell befinden sich allein in den USA rund 770 neue Krebsmedikamente und Vakzine in Entwicklung. Die Zulassungsbehörden (USA: FDA; EU: EMA) haben keine leichte Aufgabe bei ihren Entscheidungen. Die Fragen von Nutzen, Risiko und Kosten haben die Onkologie und die gesamte moderne Medizin immer schon begleitet.

Eine Frage der Lebenserwartung

Laut den Autoren der neuen Übersicht des Instituts ("Onkologika: Übersicht zu Nutzenbewertungen und Refundierungspolitiken in Europa") unter Leitung von Claudia Wild liegen allerdings bei der Registrierung nicht immer alle entscheidenden Informationen vor: "Zum Zeitpunkt der Zulassung durch die EMA ist bei vielen Medikamenten der tatsächliche Nutzen nicht bekannt: von den zwischen 2009 und 2015 zugelassenen Onkologika in 114 Indikationen (Anwendungsgebiete; Anm.) sind bei 26 (23 Prozent) weder Informationen zum Endpunkt Überleben (Steigerung der Lebenserwartung in klinischen Studien; Anm.) noch zum Endpunkt progressionsfreies Überleben verfügbar." Die in klinischen Studien für die Zulassung belegten Verbesserungen bei der durchschnittlichen Lebenserwartung betrage oft weniger als drei Monate.

Das macht die Bewertung schwierig, allerdings entwickeln sich die Anwendungsgebiete für neue Medikamente – nicht nur in der Krebsmedizin – oft erst mit der Zeit, der Anwendung und mit laufenden wissenschaftlichen Studien. Sowohl die weltweit einflussreichsten Krebs-Fachgesellschaften wie ASCO (American Society of Oncology) und ESMO (Europan Society of Medical Oncology) als auch einzelne Staaten haben unterschiedliche Bewertungs- und Klassifizierungssysteme für die Nutzenbewertung von Onkologika geschaffen.

Im Endeffekt stehen dabei immer auch finanzielle Fragen im Hintergrund. Ob nun ASCO, ESMO, das deutsche Institut für Qualitätsbewertungen im Gesundheitswesen (IQWiG) oder andere Einrichtungen – die Urteile zu den einzelnen Medikamenten und Therapien weichen teilweise von einander ab.

Transparenz bei Einschätzung

Eine möglichst transparente und adäquaten Einordnung der verschiedenen Krebsmedikamente ist auch ein Anliegen der Spezialisten. "Es ist sehr erfreulich dass das LBI für Health Technology Assessment die von der europäischen Onkologengesellschaft ESMO erarbeitete Skala für den klinischen Nutzen von Medikamenten zitiert. Es war das Bestreben der ESMO, in dieser Skala Medikamente zu identifizieren und aufzuzeigen, die im Sinn einer qualitätsvollen Versorgung von Patienten mit unterschiedlichen Krebsarten nicht fehlen und diesen Kranken nicht vorenthalten werden dürfen, wie es durchaus leidvoll in manchen Ländern Europas und sogar Mitgliedstaaten der EU zu beobachten ist", sagte der Koordinator des Comprehensive Cancer Center (CCC) in Wien, Christoph Zielinski.

Man bekenne sich mit Nachdruck zur Qualität in der medikamentösen Versorgung Krebskranker. Die Skala habe sich in einer ersten am CCC durchgeführten Feldstudie bewährt und werde in Zukunft ständig weiter entwickelt werden. Man sollte in allen diesen Fragen zumindest auf europäischer Ebene agieren.

Restriktionen machen mobil

Allerdings, national unterschiedlich sind auch die Kriterien und Verfahren, nach denen in den einzelnen Staaten entschieden wird, ob Therapien bezahlt werden. Während aufgrund massiver Proteste von Betroffenen in Großbritannien, in dem das nationale Gesundheitswesen viele Jahre lang sehr restriktiv agierte, ein eigener Cancer Drugs Fund mit einer Dotierung von umgerechnet 447 Millionen Euro pro Jahr geschaffen wurde, ist die Versorgung mit den neuen Krebsmedikamenten in anderen Staaten, zum Beispiel auch in Österreich, deutlich schneller.

In Österreich gelingt es laut Onkologen immer wieder, über groß angelegte klinische Studien am Fortschritt teilzuhaben und Erkenntnisse schnell in die tägliche Praxis umzusetzen. Bei zahlreichen Krebsarten liegt in Österreich die Überlebensrate der Patienten im internationalen Spitzenfeld. (APA, 15.7.2016)

Originalpublikation:

Onkologika: Übersicht zu Nutzenbewertungen und Refundierungspolitiken in Europa