"Die Fraktionen sollten sich lieber um uns kümmern": Diş Züheyr

Foto: derStandard.at

"X Leute" hätten beim Nüsse-Stand um Wahlkarten gebeten, sagt Nasir Dis, der unerkannt bleiben möchte

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Die Marktschreier sind winterschläfrig. Hin und wieder ein leises "Falaaafel", und basta. Die wenigen Touristen, die sich durch die feucht-bissige Kälte am Naschmarkt bahnen, wissen längst, was sie wollen: Einen Döner und fünf Fotos von grell-bunten Dörrfrucht-Ensembles, dann hinüber zu Kaffee und Apfelstrudel. Die MarktverkäuferInnen frieren weiter. Während ihre Chefs "Spazieren" oder "unterwegs" sind, verscherbeln sie Kebab, Käse und Champagnerkraut.

Nur wenige Stand-InhaberInnen stehen heute Vormittag selbst hinter der Budel. Diş Züheyr ist einer von ihnen. Seit zehn Jahren verkauft er hier persisches, türkisches, ex-yugo- und globalisiertes Brot und presst frischen Fruchtsaft. Zwischen zwei Kundschaften findet er Zeit für ein bisschen Zorn.

Gier nach unangetasteten Karten

"Das ist wirklich eine Frechheit", sagt Züheyr. "Sie wollen demokratisch gewählt werden, also sollen sie sich auch an demokratische Regeln halten", ärgert sich der Selbstständige. Die Rede ist von den größeren wahlwerbenden Fraktionen der Wirtschaftskammer. Wie berichtet, hatte der Sozialdemokratische Wirtschaftsverband dem schwarzen Wirtschaftsbund unlautere Mittel vorgeworfen. Züheyr bestätigt das, nimmt aber auch die roten Wahlwerbenden nicht aus: "Beide Seiten" hätten ihm gerne seine Wahlkarte abgeknöpft. Nicht nur, um ihm den Weg zur Post, sondern auch den Griff zum Kugelschreiber zu ersparen. "Sie wollten einfach die unausgefüllte Karte mitnehmen", sagt Züheyr. Einen anderen Kollegen hätten die Fraktions-GesandtInnen gar bis zur Post-Filiale verfolgt.

Auch Nasir Dis hat seine Karte schon frankiert. Ob auch er von einem Wirtschaftskammer-Abgesandten heimgesucht wurde? Herr Dis macht große Augen: "Von einem? Von x-Leuten." Herr Dis hat nichts gegen Kammer-FunktionärInnen - solange sie bei ihm einkaufen. Aber ihnen die Wahlkarte anzuvertrauen - "wozu? Ich habe sie per Post bekommen, per Post schicke ich sie auch wieder ab."

"Erpressung"

Nicht alle bleiben so cool. Ein Stand-Inhaber, der anonym bleiben will, spricht derStandard.at gegenüber von "Erpressung": Mehrere Male seien Fraktionsleute gekommen, um ihm die Karte abzunehmen. Bis jetzt habe er abgelehnt, weiß aber nicht, ob er nicht besser nachgeben sollte: Gerade in kleineren Gremien werde "genau kontrolliert, wer gewählt hat und wer nicht." Sollte er sich enthalten, "dann könnte es sein, dass ich bei der nächsten Platzvergabe nicht mehr berücksichtigt werde", fürchtet der Mann mit deutlichem Akzent. "Wir werden richtig unter Druck gesetzt." Auch KollegInnen in anderen, kleinen Gremien seien betroffen.

Besonders den zugewanderten Markt-UnternehmerInnen mit geringen Deutschkenntnissen setze die aggressive Wahlwerbung im umkämpften Gremium zu, glaubt Obsthändler Mario Berber. "Die sind richtig unter Druck." Aus Angst vor negativen Konsequenzen "kreuzen die halt irgendwas an".

Unerfahren bei Wahlen

Die vehemente Wahlwerbung betrifft zwar auch nicht-zugewanderte StandlerInnen. Die MigrantInnen unter ihnen sind aber vor allem dann, wenn sie erst seit kurzem selbstständig oder österreichische StaatsbürgerInnen sind, besonders betroffen. Ihnen fehlt die Erfahrung in puncto Kammer-Wahlen. "Man kann ihnen dann relativ viel einreden", fürchtet Berber.

"Keine Angst"

Diş Züheyr ist lang genug dabei - er kennt das Geschäft und das G'riss um die Stimmen. Der Standler hat einen guten Tipp für die Fraktionen: "Wenn sie sich gut genug um uns kümmern, dann brauchen sie auch keine Angst haben, dass wir sie nicht wählen." (derStandard.at, 18.2.2010)