Stellten Konzept der Zukunftssicherung für eine soziale Krankenversicherung vor: Obmann der Wiener Gebietskrankenkasse Bittner, ÖGB-Präsident Hundstorfer, Wirtschaftskammerpräsident Leitl, Wirtschaftsbund-Generalsekretär Kopf.

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Die Gesundheitsausgaben in Österreich sind in den letzten Jahren trotz des steigenden Kassendefizits gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) nahezu unverändert geblieben.

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Die Sozialpartner werden am Donnerstag den Regierungsspitzen offiziell ihr Konzept zur Gesundheitsreform überreichen. ÖGB-Präsident Rudolf Hundstorfer und Wirtschaftskammer-Präsident Chritoph Leitl werden im Kanzleramt das von ihnen ausverhandelte Papier Bundeskanzler Alfred Gusenbauer und Vizekanzler Wilhelm Molterer übergeben.

Geplant ist dann in den nächsten Tagen eine erweiterte Runde der Regierungs- und der Sozialpartner-Spitzen mit den zuständigen Ressortchefs Andrea Kdolsky und Erwin Buchinger, um die Pläne einer ersten Diskussion zu unterziehen. Danach sollen dann die konkreten Verhandlungen zwischen der Gesundheitsministerin und dem Sozialminister folgen.

Vizekanzler Finanzminister Wilhelm Molterer will das Gesundheitskonzept der Sozialpartner erst studieren, ehe er dazu Stellung nimmt. Die Diskussion über die Reform des Gesundheitssystems habe gut begonnen, das Konzept sei "ein Baustein am Bauwerk Gesundheit", sagte Molterer am Dienstag am Rande der Pressekonferenz der Bundesregierung zum EU-Reformvertrag. Sozialminister Buchinger nennt das Papier eine "hervorragende Grundlage".

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Monatelang wurde hinter den Kulissen verhandelt, am Montag traten dann ÖGB-Präsident Rudolf Hundstorfer, Wirtschaftskammer-Chef Christoph Leitl und die beiden Chefverhandler Franz Bittner (Wiener Gebietskrankenkasse) und Karlheinz Kopf (Wirtschaftsbund) vor den Vorhang. In ihrem 24-seitigen Konzept für eine Gesundheitsreform beziffern sie das jährliche Einsparpotenzial mit 600 Millionen Euro, was in vollem Ausmaß erst 2012 realisierbar sei. Gleichzeitig fordern die Sozialpartner mehr Geld aus Steuermitteln. Die Mehrwertsteuer auf Medikamente soll den Kassen in voller Höhe rückerstattet werden. Zusätzlich soll es mehr Geld für die Krankenversicherung von Arbeitslosen und Pensionisten geben. In Summe könnten so 150 Millionen Euro vom Finanzministerium zu den Kassen fließen.

Damit aber noch nicht genug: Um das enorme Defizit der Krankenkassen zu reduzieren – bis 2012 soll es auf 626 Millionen anwachsen –, werden die Regierung und das Parlament aufgefordert, eine „Überbrückungshilfe“ zu beschließen. Diese soll 2008 150 Millionen Euro betragen und dann bis 2012 um jährlich 30 Millionen Euro abnehmen. Während Hundstorfer davon ausgeht, dass dieses Geld von der neuen Vermögenszuwachssteuer kommen wird, ist das für Leitl noch keine ausgemachte Sache.

Schwieriger als das Bereitstellen neuer Mittel dürfte die inhaltliche Reform werden. Die Sozialpartner schlagen nämlich nicht mehr und nicht weniger als einen Kulturbruch im Gesundheitswesen vor.

  • Spitäler Die Krankenkassen wollen die Zuständigkeit für die Spitäler haben. Derzeit fallen diese in Länderkompetenz, die Kassen zahlen aber einen Pauschalbetrag dafür. Von einer „Finanzierung aus einer Hand“ erwarten sich die Experten eine bessere Abstimmung zwischen Spitälern und Fachärzten. Außerdem habe man in Österreich zu viele Akutbetten, argumentierte Kopf.

    Vertrag bis 2013

    Der Haken: Die Kompetenzübertragung ist nur mit Zustimmung der Länder möglich, die bereits Widerstand angekündigt haben. Außerdem ist die Finanzierung der Spitäler zwischen Bund und Ländern bis 2013 paktiert. Finanzminister Wilhelm Molterer (ÖVP) ließ noch am Montag ausrichten, dass ein Aufschnüren des Finanzausgleiches nicht gedacht sei.

  • Ärzte Rund 160 Millionen Euro sollen bei den Ärzten gespart werden. Kopf und Bittner meinen, dass die Krankenkassen bei den Honorarverhandlungen eine zu schlechte Verhandlungsposition hätten, denn die Verträge müssen mit den Ärztekammern des jeweiligen Bundeslandes als Gesamtes geschlossen werden. Das wird infrage gestellt: Einigt man sich nicht auf Einsparungen, sollen Honorarverhandlungen auch mit den Fachgruppen möglich sein.

    Überarbeiten wollen die Sozialpartner auch die Stellenpläne, nicht jeder frei werdene Posten soll nachbesetzt werden. Legen sich die Ärzte quer, soll auch hier gesetzlich fixiert werden, dass Einzelverträge mit Ärzten geschlossen werden können. Und schließlich soll auch strenger kontrolliert werden, ob Ärzte gut arbeiten, sich fortbilden und Medikamente wirtschaftlich verschreiben. Ist das nicht gegeben, sollen Verträge kündbar sein.

  • Medikamente Bei den Heilmitteln sollen weitere 160 Millionen gespart werden. Ärzte sollen nicht mehr Medikamente verschreiben, sondern nur mehr Wirkstoffe. Die Medikamentenwahl läge dann bei den Apothekern. Bittner geht davon aus, dass die Kosten bei ihnen leichter kontrollierbar sind als bei den Ärzten. Gleichzeitig sollen per Verordnung die Gewinnspannen gesenkt werden.

  • Labor Bei den Labors und Instituten will man die Kostensteigerungen bremsen. Erwartet wird ein zweistelliger Millionenbetrag. Die Zahl der Computer- und Magnetresonanztomografen soll reduziert werden, weil hier eine Überversorgung gegeben sei, meinen die Sozialpartner. Einsparungspotenzial gebe es auch im Bereich der Krankentransporte.

    Für „grundsätzlich gut“ hält Thomas Czypionka, Gesundheitsökonom am Institut für Höhere Studien (IHS), das Sozialpartner-Papier. Vor allem die Finanzierung aus einer Hand der Spitäler und des niedergelassenen Bereichs sei dringend notwendig, derzeit würde man „die strukturellen Probleme fortschreiben“. Auch den flexibleren Ärzteverträgen kann Czypionka etwas abgewinnen, derzeit gebe es hier ein „bilaterales Monopol“.

    Man müsse aber auch die Ärzte ins Boot holen und für sie Anreize schaffen, um „kostendämpfend zu arbeiten“, wie der IHS-Experte sagt. Etwa durch ein moderneres Abrechnungsmodell: Die Ärzte werden nicht für jede einzelne Leistung entlohnt, sondern für den Auftrag, einen Patienten zu kurieren – mit einer entsprechenden Qualitätskontrolle. Modernere Ansätze wie diesen vermisst Czypionka im Sozialpartner-Papier. (APA/Günther Oswald und Andrea Heigl/DER STANDARD, Printausgabe, 8.4.2008)