Da geht er hin, der gute alte Brockhaus , und kommt als reine Online-Ausgabe wieder. Die vor eineinhalb Jahren herausgebrachte 21. ist auch die letzte Ausgabe des wichtigsten deutschsprachigen Lexikons. "Nostalgie rechnet sich nicht", begründete der Verlag seine Entscheidung, das Lexikon ab April online gratis zugänglich zu machen und damit von einer weiteren Print-Ausgabe abzusehen.

Wikipedisierung

199 Jahre Buch- und Lexikageschichte sind damit zu Ende. Man sollte meinen, dass diese Zäsur die üblichen Warnrufe zum Verfall der abendländischen Geisteskultur hervorbringen würde. Aber die Meldung der vergangenen Woche schien kaum jemand zu überraschen: Die Wikipedisierung ist offenbar weit fortgeschritten.

Das Ende des gedruckten Brockhaus ist aus zwei Gründen bemerkenswert: Einerseits, weil die Möglichkeiten des Internets zur "demokratischen" Zusammenarbeit vieler mit Wikipedia eine neue Form des enzyklopädischen Gedankens hervorbrachte. Andererseits, weil sich damit eine eherne Bastion des Mediums Buch nach relativ kurzer Schlacht dem digitalen Medium ergab.

Erfreulich

Für Konsumenten von Online-Wissen ist die Brockhaus-Entscheidung sehr erfreulich: Damit gibt es erstmals wirkliche Konkurrenz zum De-facto-Monopol, das sich Wikipedia in kürzester Zeit online gesichert hat. In der Theorie ist Wikipedia ein echtes Kind der Aufklärung: In offenem Diskurs soll der beste Wissensstand hervorgebracht werden. In der Praxis haben zwar Studien Wikipedia bescheinigt, dass es mit der Encyclopedia Britannica gut mithalten kann, und bei aktuellen Themen die Nase vorn hat. Aber es bleiben Probleme des offenen Modells: "Editing Wars" bei ideologisch besetzten Themen, keine Fokussierung auf das Wesentliche - wenn sich Liebhaber eines noch so unbedeutenden Themas finden, arten manche Einträge zu Fachbüchern aus.

Brockhaus kann jetzt zeigen, was eine professionelle Redaktion und Experten als Autoren wert sind. Das tut auch die Britannica online, aber da ihre Angebote großteils kostenpflichtig sind, läuft sie eigentlich außer Konkurrenz, während Brockhaus online werbefinanziert sein wird.

"Das Internet wird nie das Buch verdrängen"

Und die Niederlage des Buchs gegenüber dem Bildschirm? Das gängige Dogma, "das Internet wird nie das Buch verdrängen", hat damit einen Knacks erlitten. Natürlich sind Lexika wie gemacht für die Hypertext-Struktur des Internets, das "Blättern" in Querverweisen beschleunigt und bei Aktualisierungen kein Jahrzehnt warten muss. Und wer hat schon ein 30-bändiges Werk mit 1,7 Meter Regallänge stets verfügbar?

Aber der Brockhaus (und andere Lexika) war eben auch ein gewichtiges Kapitel der Buchgeschichte, und nicht nur reiner Zweck. Das zeigte der letzte, erfolglose Rettungsversuch, die 2007 herausgebrachte Künstleredition. Hochgelobt, wenig gekauft.

iPod

Bücher sind eben, neben oft wunderbaren handwerklichen Produkten, in erster Linie das Medium für ihren Inhalt, und wenn dieser in anderer Form praktischer zu konsumieren ist, ist Papier nebensächlich. Die Displaytechnik hat noch lange nicht den iPod für das gedruckte Wort hervorgebracht. Wenn dies eines Tages gelingt, wird auch so mancher Roman - Sachbücher sowieso - das Licht der Öffentlichkeit nicht mehr auf Papier erblicken. Im Gedenken an einen treuen Begleiter bürgerlicher Bildung dazu diese Fußnote zum bPapierverbrauch: Dieser ging in den reichen Ländern seit 2000 um sechs Prozent zurück. (helmut.spudich@derStandard.at, DER STANDARD Printausgabe, 21. Februar 2008)