Zur Person

Stefan Puig ist Facharzt für Radiologie, Oberarzt am Thermenklinikum Neunkirchen und zertifizierter Qualitätsmanager im Gesundheitswesen. Außerdem ist er Leiter des Forschungsprogramms für evidenzbasierte medizinische Diagnostik am Institut für Public Health (an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität) in Salzburg.

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Jede fünfte CT in Österreich ist laut Stefan Puig von der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität in Salzburg überflüssig. Die Strahlung sei bezüglich ihrer physikalischen Natur mit der Gamma-Strahlung vergleichbar, weil sie den Körper durchdringen kann und das Krebsrisiko fördern. Aus diesem Grund plädiert er dafür, dass Mediziner ganz genau abschätzen sollten, wann ein bildgebendes Verfahren tatsächlich angebracht ist. Denn: in den richtigen Händen ist die CT eine "hervorragende Methode" Krankheiten zu erkennen. Mit dem Radiologen hat Marietta Türk gesprochen.

derStandard.at: Wieviel höher ist die Strahlenbelastung durch eine CT verglichen mit konventionellen Röntgenaufnahmen?

Puig: Diese Frage ist schwer seriös zu beantworten, da sie von zahlreichen Faktoren abhängig ist. Richtwerte können aber eine Vorstellung vermitteln: Die Effektivdosis einer Röntgenaufnahme der Lunge beträgt in etwa 0,01 – 0,1 mSv (Millisievert), für eine Computertomografie der Lunge sind es ungefähr 10 mSv. Laut deutschen Kollegen beträgt die Effektivdosis im Ganzkörper-CT ungefähr 20 mSv. Wichtig ist: dies ist wirklich nur ein ungefährer Richtwert, der ganz leicht unterschritten, aber deutlich überschritten werden kann.

derStandard.at: Hat jedes Gerät dieselbe Strahlung?

Puig: Nein. Das Problem ist: man kann bei zwei unterschiedlichen Geräten bei den exakt gleichen Einstellungen sehr unterschiedliche Dosiswerte erreichen. Das hat zu tun mit der Geometrie, Filtern und der Lage des Patienten im Gerät.

derStandard.at: Was können die gesundheitlichen Folgen sein?

Puig: Die Strahlung kann das Krebsrisiko erhöhen. Wenn Sie fünf Untersuchungen mit einer Effektivdosis von 7 mSv pro Untersuchung über sich ergehen lassen, beträgt die Effektivdosis und somit 35 mSv. Das Risiko steigert sich dementsprechend.

derStandard.at: Wie sieht das Krebssterblichkeitsrisiko nach einer einzigen Ganzkörper-CT aus?

Puig: Schätzungen basieren auf Kenntnissen, die man aus Hiroshima und Nagasaki gewonnen hat. Je nach Rechenmodell werden hier durchaus unterschiedliche Daten angegeben. Die amerikanische FDA (Food and Drug Administration) geht davon aus, dass bei einer Strahlenbelastung von 10 mSv ein Mensch von 2.000 ein strahlen-induziertes Malignom erleben wird. Andere, nicht minder seriöse Kalkulationen haben 1:1.000 ergeben. Der Rest ist eine simple Rechnung.

derStandard.at: Welche Patientengruppen sind besonders betroffen und warum?

Puig: Prinzipiell: Je jünger ein Patient, desto höher ist das Risiko. Als Faustregel kann gelten: Ein Kind ist ungefähr zehn Mal so strahlensensibel, wie ein Erwachsener. Viele der strahlenassoziierten Malignome (bösartige Tumore) mit einer Latenzzeit von zehn bis 20 Jahre auftreten: ein 80-jähriger hat kaum eine "Chance" ein strahleninduziertes Malignom zu "erleben". Bei Kindern sieht das anders aus.

derStandard.at: Laut US-Forschern im 'New England Journal of Medicine' ist in den USA jede dritte CT-Untersuchung überflüssig. Weiß man Zahlen für Österreich?

Puig: Die amerikanischen Verhältnisse können nicht direkt mit den österreichischen verglichen werden. In den USA besitzen auch Nicht-Radiologen Großgeräte, wie CT oder MRT. Daraus ergibt sich ein ökonomisches Interesse.

Das Anbieten von Ganzkörper-CTs in Österreich geschieht meines Wissens nach ausschließlich in Instituten, die auch über entsprechende Kassenverträge verfügen. Die Frage ist, ob es hier einen Ressourcenüberschuss gibt, den man mit medizinisch fragwürdigen Methoden versucht, betriebswirtschaftlich zu optimieren.

derStandard.at: Wie viele Untersuchungen in Österreich sind überflüssig?

Puig: Aus eigener Erfahrung meine ich, dass man mit rund 20 Prozent wahrscheinlich richtig liegt. Ursache ist zumeist Unwissenheit. Beeindruckend ist, mit welcher Beharrlichkeit an obsoleten Untersuchungen festgehalten wird – nach dem Motto: "das haben wir immer schon so gemacht" – und zielführende diagnostische Maßnahmen nicht wahrgenommen werden.

derStandard.at: Ein Beispiel?

Puig: Fast ein Klassiker ist das Kind mit Kopfschmerzen, das bei manchen Kollegen fast reflexartig eine Zuweisung zur Bildgebung erhält, nicht selten leider zur CT. Ein Kind mit Kopfschmerzen gehört zum Neurologen, besser zum Facharzt für Neuropsychiatrie des Kindes- und Jugendalters. Erst wenn dort die Indikation gestellt wurde, ist eine Bildgebung gerechtfertigt. Und das wird dann eine MRT sein und keine CT.

derStandard.at: Wann machen (Ganzkörper)-CTs tatsächlich Sinn?

Puig: Onkologische Patienten werden nach international akkordierten Nachsorgeprogrammen betreut. Hier muss man im Allgemeinen davon ausgehen, dass der zu erwartende Nutzen durch ein frühzeitig entdecktes Rezidiv oder bösartige Absiedelung und der daraus resultierenden Therapie größer ist, als der Nachteil der Untersuchung. In der Traumatologie, also bei Unfallopfern, bei denen zur weiteren Therapie rasch Klarheit über das Ausmaß der Verletzungen bestehen muss oder bei bestimmten onkologischen Erkrankungen sind Ganzkörper-CTs sinnvoll.

derStandard.at: Wie können Nutzen und Risiko am besten abgewogen werden?

Puig: Prinzipiell ist jede Untersuchung nur dann sinnvoll, wenn der zu erwartende Benefit größer ist als ein möglicherweise eintretender Schaden. Der Gewinn an Lebenserwartung und/oder Lebensqualität, durch eine aus dem Ergebnis der Untersuchung resultierende Therapie, muss größer sein, als der mögliche Schaden.

Um dies Abschätzen zu können bedarf es einer hohen Fachkompetenz, sowohl seitens der Zuweiser als auch aus Seiten der durchführenden Radiologen. Die Computertomografie ist eine hervorragende Methode, aber in den Händen von verantwortungsvollen Ärzten, die auch um die potenziellen Risken wissen.

derStandard.at: Sind Ganzkörper-CTs zur Vorsorge sinnvoll?

Puig: Nein, nein und nochmals nein! Ganz im Gegenteil: durch die biologische Wirkung der Strahlen, sowie auch aus der CT-Untersuchung resultierende Folgeuntersuchungen, entstehen individuelle gesundheitliche Beeinträchtigungen und auch gesundheits-ökonomische Belastungen.

Zur individuellen Beeinträchtigung: Abgesehen von der Strahlenbelastung und den möglichen Folgen wird es in einem hohen Prozentsatz an Folgeuntersuchungen kommen, teilweise wiederum strahlenbelastende.

derStandard.at: Und der gesundheitsökonomische Aspekt?

Puig: In dem Moment, wo es darum geht eine Veränderung weiter abzuklären, die in einer privat finanzierten "Screening-Untersuchung" entdeckt wurde, springt das öffentliche Gesundwesen an. Alle Folgeuntersuchungen werden (natürlich) von der Kasse bezahlt. So lange, bis eindeutig klar ist, dass weitere therapeutische Maßnahmen nicht notwendig sind. Erfahrungsgemäß ist mit einer hohen Anzahl solcher irrelevanter Befunde zu rechnen.

derStandard.at: In den USA werben Anbieter für "einfache und schmerzfreie" Vorsorge-Untersuchungen. Nehmen Sie das auch in Österreich wahr?

Puig: Bei uns sehe ich das Problem noch nicht so krass. Allerdings gibt es hier Institute die Ganzkörper-Screening-Programme (auch Manager-Checks genannt) anbieten, die partiell aus CT und partiell aus MRT Untersuchungen bestehen. Wenngleich die fragliche medizinische Sinnhaftigkeit auch bei einer MR-Untersuchung bestehen bleibt, so ist hier zumindest keine Strahlenbelastung gegeben.

Verantwortungslos und skandalös finde ich in diesem Zusammenhang, dass der Radiosender Ö3 vergangene Woche einen ganzen Tag Werbung für die Vorsorge per CT gemacht hat. Auf der Homepage wurden zwei Institute in Wien und Graz genannt, die diese Art der Untersuchung anbieten.

derStandard.at: Ist Patienten bewusst, dass sie es quasi mit radioaktiver Strahlung zu tun haben?

Puig: Wir wissen aus Studien, dass auch viele Ärzte nicht um die Strahlenbelastung in der diagnostischen Radiologie Bescheid wissen. Warum sollten es dann die Patienten tun? Röntgenstrahlung ist aber keine radioaktive Strahlung im eigentlichen Sinn. Das heißt, es handelt sich nicht um Strahlung, die durch Kernzerfall so genannter Radionuklide verursacht wird. Es handelt sich um ionisierende Strahlung.

derStandard.at: Warum wird die CT-Strahlung dann in Studien, wo es um die Wirkungen geht, mit der Strahlung von Atomkraftwerken verglichen?

Puig: Die physikalische Natur der Röntgenstrahlung kann mit jener der Gammastrahlung verglichen werden, also mit einem hohen Durchdringungsvermögen in Materie, bei Menschen also organischer Materie. Schützen kann man sich vor der Röntgen- wie vor der Gammastrahlung nur mit schweren Materialen, wie zum Beispiel Blei. (derStandard.at, 20.2.2008)