Der palästinensische Scheich Adnan Ibrahim hat seine Predigt für das Freitagsgebet in der Leopoldstädter Schura-Moschee schon fast im Kopf. Der Imam, dessen Gotteshaus jede Woche vor allem arabische Gläubige aufsuchen, hat für seine Diplomarbeit nämlich das wahre Alter der Gattin des islamischen Propheten Mohammed mittels komplizierter Zeitrechnungen erforscht, wie Omar al Rawi, Integrationsbeauftragter der muslimischen Gemeinschaft Österreichs versichert: „Aischa war bei ihrer Verehelichung mindestens zwanzig Jahre alt – diese Erkenntnis kann Adnan Ibrahim mit religiösen wie historischen Quellen belegen.“ Und noch etwas will der Scheich am Freitag seinen muslimischen Mitbrüdern mit auf den Weg geben: „Dass das Verheiraten von Kindern im Islam absolut nichtig und inakzeptabel ist.“

Seit die Grazer FP-Spitzenkandidatin Susanne Winter beim blauen Neujahrstreffen am Sonntag den Begründer des Islam als „Kinderschänder“ verunglimpfte, weil sich dieser ein sechsjähriges Mädchen zur Frau genommen habe, sind Österreichs Muslime höchst beunruhigt. Auch die Staatsanwaltschaft wurde aktiv und prüft den Verdacht der Verhetzung. Jetzt muss Winter zu ihren Aussagen Stellung nehmen. Sollte es zu einer Anklageerhebung und Verurteilung kommen, drohen bis zu zwei Jahren Haft.

Besorgte Muslime

In der Islamischen Glaubensgemeinschaft ist man alarmiert: Obwohl die Glaubensgemeinschaft zuerst noch die Grazer Gemeinderatswahl am Sonntag abwarten wollte, um auf Winters Islam-Attacken angemessen zu reagieren, treten Vertreter und Vereine nun doch schon Dienstagabend zusammen, um über die jüngsten politischen Entgleisungen zu beraten. Präsident Anas Schakfeh will die „zornigen“ Muslime beruhigen, um Ausschreitungen und Krawalle zu verhindern. Er erhalte laufend Anrufe und E-Mails von besorgten Muslimen, versuche auf sie einzuwirken, könne allerdings mögliche Auseinandersetzungen nicht ausschließen, sagt er. Für die Islamische Glaubensgemeinschaft steht jedenfalls fest: „Man kann diese ungeheuerlichen Dinge nicht einfach totschweigen“, erklärt Sprecherin Carla Amina Baghajati. „Wir brauchen zu den Aussagen eine vernünftige, konstruktive Diskussion.“

Auf letzteres hofft auch Imam Mouhanad Khorchide. Er will beim Freitagsgebet in seiner Wiener Gemeinde „deeskalierend wirken“. Man dürfe der FPÖ „nicht den Gefallen machen, sich aufzuregen“. Klar sei, dass die Freiheitlichen „mit dem Feuer spielen“. Für Khorchide ist das alles vor allem nur eines: Kalkül und Inszenierung. „Die Frau Winter hat eine Woche zuvor wahrscheinlich gar nicht gewusst, was sie da sagen wird. Die FPÖ hat da abgetestet, wie weit sie gehen kann.“ Früher seien es die Ausländer, dann die Muslime gewesen, jetzt gebe es aber eine „extreme Steigerung: Nun wird der Prophet direkt beleidigt.“

Für den Politikwissenschafter Peter Filzmaier ist das „strategische Kalkül“ der FPÖ aber längst aufgegangen. Schließlich habe es sich um eine Veranstaltung der lokal fünftstärksten Partei gehandelt, und trotzdem habe diese es zur bundesweiten Top-Meldung geschafft. Einen Rücktritt Winters wäre daher „unlogisch“.

Geplante „Charmeoffensive“

Der Sprecher der Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen, Tarafa Baghajati, sieht die Latte für islamfeindliche Aussagen dank ÖVP-Politikern wie dem niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll, der Minarette als „artfremd“ bezeichnet hat, sozusagen hochgelegt: „Da muss die FPÖ jetzt natürlich noch eines draufsetzen.“ Baghajati will die Aussagen Winters nicht überbewerten, sieht jedoch die Gefahr, dass damit für Österreich eine „Rufschädigung“ entsteht. Er erwartet sich daher vom Bundespräsidenten abwärts „ganz klare Aussagen, dass diese Herabwürdigungen in keinster Weise eine österreichische Meinung“ ist. Baghajati regt eine „Charmeoffensive“ an, im Zuge derer die Moscheen vor allem Nichtmuslimen für Debatten über strittige Fragen den Islam betreffend offenstehen sollen.

Im Grazer Rathaus kam der Interreligiöse Beirat der Stadt am Montag zu einer außerordentlichen Tagung zusammen. In einer gemeinsamen Stellungnahme kritisierten die Religionsvertreter die „Pauschaldiffamierungen und Generalbeschuldigungen“ Winters. Der Vorsitzende des Grazer Menschenrechtsbeirates, Völkerrechtler Wolfgang Benedek, der den Wahlkampf monatelang analysierte und mit einem Ampelsystem bewertete, fordert Winter zum Rücktritt auf und sieht „einen Schaden und eine ernste Gefährdung“ für Graz: „Wie ernst die Lage ist, sehen Sie, wenn Sie türkische Zeitungen lesen, die bereits davon berichten.“

Der Präsident der ägyptischen Gemeinde, Soleiman Ali, der für die SPÖ bei den Gemeinderatswahlen kandidiert, erstattete zudem Anzeige gegen Winter wegen Herabwürdigung von Religionsgemeinschaften (§188 Strafgesetzbuch) und Verhetzung (§283). Was die Verhetzung anlangt, rechnet Robert Kert, Strafrechtsexperte an der Universität Wien, nicht mit einer Verurteilung.

Seit Montag gibt es aber nun auch in Winters eigenen Reihen einen Islamverteidiger: Der freiheitliche EU-Abgeordnete Andreas Mölzer forderte eine differenzierte Sichtweise: „Den Islam als solchen als Übel anzusehen halte ich nicht wirklich für angebracht.“

Selbst die Noch-Klubobfrau der FPÖ im Grazer Gemeinderat, Margit Uray-Frick, ist empört über ihre Parteikollegin. Sie steht kurz vor dem Parteiaustritt. "Das ist nicht mehr meine Partei", sagte Uray-Frick. "Mir stellt's die Gänsehaut auf. Jetzt ist Schluss mit lustig." (cms, kmo, nw, pm/DER STANDARD, Printausgabe, 15.1.2008/APA)