Schwarze Zahlen können auch am Pool geschrieben werden

Foto: Therme Geinberg/Weissenbrunner
Es ist Dienstag, ein ganz normaler Arbeitstag, doch Jennifer P. arbeitet heute nicht, zumindest nicht vor 17 Uhr, weil sie den Sommertag lieber im Freibad verbringt. Dafür wird sie den Abend wohl bis weit nach Mitternacht zuhause am Laptop verbringen, weil sie bis Mittwoch ihr Teilprojekt fertig haben muss. Morgen wird sie wieder viel unterwegs sein und ihr Bürosessel wohl wieder leer bleiben. Zwischendurch wird sie sich ins Internet einklinken um die wichtigsten E-mails zu bearbeiten. Das Team-Meeting am Nachmittag wird sie deswegen verpassen. Wissen, was dabei besprochen wurde, muss sie trotzdem. Ihren Chef wundert das alles nicht weiter.

Wie der Rest der Arbeitswoche aussehen wird, steht noch nicht fest, nur so viel, dass am Wochenende einige Stunden dafür einkalkuliert sind, weil die Kinder sowieso in den Ferien sind. Jennifer P. ist eine fiktive Mitarbeiterin des US-amerikanischen Elektrokonzerns Best Buy, wo solche Arbeitsmethoden seit einiger Zeit an der Tagesordnung stehen.

Nur Ergebnisse zählen

ROWE – Results-Only Work Environment heißt das außergewöhnliche Arbeitsmodell, das zwei Amerikanerinnen entwickelt haben und das Best Buy nun praktiziert. Das Prinzip: Die Mitarbeiter organisieren ihre Arbeit völlig autonom, haben eine hohe Eigenverantwortung, arbeiten wo und wann sie wollen. Ausreden, wenn etwas nicht rechtzeitig gemacht wurde, gelten dafür nicht. "Work is not a place you go, it's something you do", bringen Cali Ressler und Judy Thompson ihr Konzept auf den Punkt.

Der Fokus liegt nicht darauf wie viele Stunden man arbeitet, sondern was dabei heraus kommt, das Ergebnis zählt. Laut den Amerikanerinnen ist das Modell ein großer Erfolg: die Mitarbeiter arbeiten effizienter und produktiver, Best Buy´s Erfolg gibt ihnen Recht.

Für die Manager bedeutet ROWE, ein Stück Kontrolle abzugeben, sie müssen oft mit halbleeren Büros vorlieb nehmen. "Das verlangt Managern die Fähigkeit ab, Ziele und Erwartungen klar und deutlich zu artikulieren", betonen Ressler und Thompson im E-Mail-Interview mit derStandard.at/Karriere. Führungskräfte müssten sich davon verabschieden, die Zeit ihrer Mitarbeiter zu "besitzen", erklären die Amerikanerinnen. Scott Jauman, Senior Manager Sourcing and Procurement stimmt ihnen auf einem Video der ROWE-Website zu: "Man beginnt sich viel weniger auf Zeitplan, Zeit, Uhren zu konzentrieren und darauf wo die Mitarbeiter sind, sondern viel mehr darauf, was produziert wurde und ob es den Kundenwünschen entspricht." Der Gesamttenor auf Managementlevel bei Best Buy: es geht darum den Mitarbeitern zu vertrauen und sie zu motivieren. Das Engagement der Mitarbeiter steige so an, dass sie im Endeffekt mehr arbeiten, weil sie es lieber tun und bessere Resultate sehen.

Arbeiten und Privatleben

Für die Mitarbeiter bedeutet ein solches Arbeitsmodell neben größtmöglicher Freiheit aber gleichzeitig auch einen fließenden Übergang von Berufs- und Privatleben. Wer von zuhause aus, im Urlaub oder am Wochenende arbeitet, gibt ein Stück Privatleben her, kann möglicherweise nicht mehr so einfach abschalten.

Frage der Selbstorganisation

Arbeitssoziologe Paul Kellermann von der Uni Klagenfurt sieht das nicht als Problem: "Dass die Grenze zwischen Arbeit und Privatleben mehr verschwimmt, ist nur gut. Es ist eine Möglichkeit die Schwierigkeiten, die beide mit sich bringen, besser zu koordinieren." Sein Argument: "Man ist ja nicht abrufbereit, es liegt nur an einem selbst sich zu organisieren." Durch die Verpflichtung den Leuten gegenüber, mit denen man unmittelbar zusammen arbeite, sowohl in der Familie als auch im Betrieb, werde alles tendenziell wieder ausgeglichen, glaubt er. Aber die Gefahr bestehe natürlich, dass man weniger schläft, wenn man mehr Verantwortung hat.

Trendumkehr

Für Kellermann ist das ROWE-Modell keineswegs neu, schon vor Jahrzehnten hätten Firmen Ähnliches mit Erfolg ausprobiert. Das Modell in Minneapolis ist für ihn aber eine Trendumkehr in die richtige Richtung. "Ich sehe eigentlich nur Vorteile darin: eine höhere Identifikation mit der Arbeit durch höhere Selbstorganisation und höhere Selbstverantwortung. Und - wichtig - die Orientierung ist mehr an der Erfüllung der übernommenen Aufgabe, dem Output, weniger am Geld."

Allerdings sollten die Mitarbeiter dennoch am Erfolg beteiligt sein. Jedenfalls sei das Arbeitsergebnis potenziell höher oder besser. Ein Problem sieht der Soziologe bei älteren Mitarbeitern, die das bisherige System gewohnt sind, da könne Unruhe entstehen, aber auch dafür könne man Lösungen finden.

Heimisches Beispiel

Der Arbeitssoziologe nennt noch ein anderes Beispiel von Selbstorganisation „im Kleinen“ bei einem Pharmahersteller in Spittal an der Drau: "Dort arbeiten vorwiegend Frauen am Fließband. Sie organisieren sich selbst und das funktioniert ganz klaglos, wird von der Betriebsleitung als sehr positiv angesehen." Ist zum Beispiel ein Kind krank oder gibt es einen anderen Grund, warum eine Kollegin verhindert ist, machen sich das die Mitarbeiterinnen untereinander aus.

Dürfen statt müssen

Kellermanns generelle Erkenntnis: "Wir arbeiten gerne, wo wir arbeiten dürfen und wir entziehen uns der Arbeit, wo wir arbeiten müssen." Diese einfach klingende Phrase scheint nicht nur im Alltag aufzugehen sondern auch in der Arbeitswelt – zumindest, wenn es nach der Überzeugung der ROWE-Gründerinnen geht. (Marietta Türk, derStandard.at, 9.9.2007)