Zur Person
Alfred Lichtenschopf ist Ärztlicher Leiter der Sonderkrankenanstalt der PVA Weyer/Enns und Leiter des Arbeitskreises für Rehabilitation der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie (ÖGP)

Foto: Lichtenschopf
Beim Rauchen sind wir alle nur Menschen, meint Psychotherapeut Alfred Lichtenschopf, und macht allen Mut nach dem ersten Entwöhnungsversuch nicht gleich aufzugeben. Im Interview mit Marietta Türk erklärt er die Tücken des psychischen Entzugs und warum es so schwer ist die Finger von den Zigaretten zu lassen.

derStandard.at: Es gibt Studien, wonach maximal die Hälfte der Aufhörwilligen erfolgreich das Rauchen aufgeben. Oft ist es auch ein Wechsel zwischen Rückfall und Abstinenz - was macht es denn so schwer abstinent zu bleiben?

Lichtenschopf: Beim Rauchen wird unterschätzt, dass es für die meisten Menschen eine mittlere bis schwere Abhängigkeit bedeutet. Das Aufhören ist oft gar nicht so schwer, in einem 'schwachen Moment' ist der Griff zur Zigarette aber sehr schnell gemacht ist. Nach dem Motto 'Eine Zigarette ist keine Zigarette', aber aufgrund der Abhängigkeit kommt sofort wieder der alte Mechanismus zurückkommt, das Suchtverhalten schlägt zu und man greift zur zweiten oder dritten Zigarette.

derStandard.at: Wie viele sind es tatsächlich, die wieder rückfällig werden?

Lichtenschopf: Ich möchte korrigieren: Es gibt Studien, die untersucht haben wie hoch die Erfolgsrate bei Spontanentwöhnung ist, ohne therapeutische oder medikamentöse Hilfe. Das sind nur zwei bis maximal vier Prozent. Man muss sich vorstellen: zwei bis vier von hundert Rauchern bleiben nach einem Jahr noch rauchfrei. Mit dieser minimalen Erfolgsrate muss man alle Interventionen vergleichen, die angeboten werden.

derStandard.at: Wie sieht ein erfolgreicher Rauchentwöhungsversuch aus?

Lichtenschopf: Jede Rauchentwöhnung besteht aus dem therapeutischen Anteil, der Beratung, sonst ist sie unvollständig. Das Mutmachen, das gemeinsame Erarbeiten eines Stopptages und vor allem das Begleiten durch die schwierige Zeit des Entzugssyndroms und bei vielen Rauchern die Kombination mit einer medikamentösen Therapie.

derStandard.at: Was sind typische psychische Entzugserscheinungen?

Lichtenschopf: Das ist das so genannte Craving (Verlangen eines Suchtkranken nach seinem Suchtmittel, Anm.). Grundsätzlich unterscheidet man ja zwischen dem körperlichen Entzug und diesem psychischen, wobei das natürlich eine virtuelle Trennung ist, in Wirklichkeit mischt sich beides.

Die Symptome sind Unruhe, man fühlt sich einfach nicht so wohl, ist kurz angebunden, wird aggressiv, ist nicht so leistungsfähig. Aber auch der Griff zum Essen gehört da dazu. Ein Teil davon ist natürlich auch psychisch, diese Lust zur Zigarette, die sich bis zur Gier steigert und wo dann das wichtigste über allem Stehende der Drang ist eine Zigarette zu rauchen.

Es gibt Raucher, die eine latente Depression mit dem Rauchen behandeln, nach dem Rauchstop irgendwann wieder auftreten. Diese Menschen haben es natürlich besonders schwer, weil sie auf etwas stoßen, was sie mit den Rauchverhalten vorher eigentlich ganz gut im Griff gehabt haben.

derStandard.at: Dämmen diese Menschen die latente Depression vorher bewusst mit dem Rauchen ein?

Lichtenschopf: Das ist sicher keine bewusste Angelegenheit, sondern eher aus dem Leben heraus.

derStandard.at: Welche psychischen Abhängigkeitserscheinungen kommen noch hinzu?

Lichtenschopf: Zum Beispiel Ungeduld, man hört immer wieder, dass der Partner sagt bitte rauche wieder, ich halte dich nicht aus. Das eine ist die körperliche Abhängigkeit und wir wissen, dass es da eine Verschaltung im Gehirn im Belohnungszentrum gibt, die das Rauchen einer Zigarette mit Wohlbefinden verbindet und auch die auslösenden Rituale. Der eine genießt die Zigarette bei einem Glas Wein oder Bier oder in Gesellschaft und das sind schon eher aus dem Alltag oder aus Gewohnheiten heraus kommende psychische Abhängigkeiten.

derStandard.at: Zu den Ritualen: Gibt es Tipps, wie man solchen Gewohnheitssituationen ausweichen kann?

Lichtenschopf: Ich rate jedem Raucher, dass er sich von Beginn an einen triftigen Grund sucht das Rauchen zu beenden. Wir nehmen uns in unserem Rehabilitationzentrum sehr viel Zeit verschiedene triftige Gründe anzubieten. Wenn man einen triftigen Grund gefunden hat, für den es sich lohnt aufzuhören, wird der Raucher nicht bei der nächsten Versuchung schon wieder umfallen. Das ist ein entscheidender Punkt.

Der nächste Schritt ist, sich durch den Kopf gehen zu lassen welche Risikosituationen man hat: das Glas Wein, die Gesellschaft von Rauchern ect. Dann sollte man sich überlegen wie man in der ersten Zeit, wo man am meisten verführbar ist - in der ersten, zweiten, dritten Woche, damit optimal umgehen kann: zum Beispiel zwei Wochen keinen Alkohol trinken und wenn man den Rauchstopp gut im Griff hat, kann man das ja wieder riskieren und sich dem „Härtetest“ aussetzen. Das sind so verhaltenstherapeutische Möglichkeiten.

derStandard.at: Wenn jemand drauf und dran ist sich wieder eine Zigarette anzuzünden, was kann man ad hoc tun um die Versuchung zu vermeiden?

Lichtenschopf: Das sind wichtige Momente, in denen es hilft eine zeitliche oder räumliche Distanz einzulegen um dem Rauchverlangen nachkommen zu können. Das heißt alle Zigaretten in der Wohnung oder im Auto wegräumen, die Zigaretten nicht erreichbar machen. Oder man sucht sich einen persönlichen Gegenstand der Kraft. Das ist für jeden etwas anderes: von einem Stein bis zu einem Lieblingstier, das man fest in die Hand nehmen kann, oder statt der Zigarette ein Stück Obst essen.

derStandard.at: Der körperliche Entzug ist ja innerhalb weniger Tage beziehungsweise Wochen vorbei. Wie lange hat man aber psychisch zu kämpfen?

Lichtenschopf: Das kann man im Einzelfall nicht generell sagen. Ein Raucher, der 60 Zigaretten am Tag geraucht hat, kann zum Beispiel mit einem Schlag aufhören und hat die Sache erledigt. Ein anderer, der nur zehn Zigaretten täglich geraucht hat, kann Wochen und Monate brauchen. Es scheint schon so zu sein, dass es wie beim Alkohol verschieden starke Abhängigkeiten gibt. Der eine hat das in zwei, drei Wochen erledigt, den andere kann diese Lust noch nach einem halben Jahr oder Jahr verspüren und raubtierartig überfallen. Man kann sich nie sicher sein, dass man nicht wieder einmal zur Zigarette greift.

derStandard.at: Welche Methoden unterstützen die psychische Seite des Entzugs?

Lichtenschopf: Es gibt etliche Psychotherapeuten, die sich einsetzen, im Wesentlichen ist es die mehrsitzige Rauchentwöhnung, die dem Raucher in der vulnerablen Phase begleitet. Es scheint ein optimales Angebot von etwa fünf bis sieben Sitzungen zu sein. Wobei die erste Kontrolle in der ersten Woche angeboten werden soll, nach dem ersten Rauchstopptag, danach sollen in einwöchigen Abständen verhaltenstherapeutische Maßnahmen vermitteln werden.

Das Wichtigste und das kann ich nicht oft genug betonen ist das Mitfühlen mit dem Raucher, das Mutmachen, das Vermitteln, dass es zu schaffen ist, auch in schwierigen Situationen. Das Vertrauensverhältnis zwischen Raucher und Therapeut muss so groß sein, dass sich der Betroffene wirklich auszusprechen traut, welche unmöglichen Einflüsterungen sein innerer Schweinhund weitergibt. Der Betroffene schämt sich vielleicht ja auch, dass er an diese Dinge denkt.

derStandard.at: Welche Rolle spielt Unterstützung aus dem sozialen Umfeld?

Lichtenschopf: Der Freund, der gute Unterstützer ist eine sehr wesentliche Hilfe. Wir versuchen in unseren Rauchentwöhnungskursen die guten Buddys zu finden. Der gute Freund lebt und fühlt mit. Der schlechte sagt: „Wahnsinn, jetzt hast du schon wieder geraucht, du hast doch versprochen…“ Das sind natürlich kontraproduktive schuldzuweisende Maßnahmen.

derStandard.at: Was tun bei einem Rückfall?

Lichtenschopf: Das ist ein Phänomen, vor dem keine Hochschulprofessoren gefeit sind und keine Mediziner - da sind alle Raucher Menschen und laufen Gefahr in dieselben Fallgruben zu fallen. Es ist wichtig den Rückfall nicht als komplette Niederlage aufzufassen oder als Schwäche. Das Potenzial abhängig zu machen ist bei Zigaretten gleichzusetzen mit Heroin oder Kokain - ist in der Bevölkerung noch nicht ausreichend bekannt. 80 Prozent der Raucher wird mehr oder weniger stark abhängig, die meisten kommen daher nicht schon beim ersten Versuch von der Zigarette weg.

Man sollte die Situation analysieren, was beim ersten Versuch alles geholfen hat, oder wo der Raucher wieder zur Zigarette gegriffen hat und dann ist man schon mitten drin eine neue Strategie zu entwickeln für den nächsten Versuch aufzuhören. Ich habe sicher mehr als 1000 Raucher begleitet beim Aufhören und kenne keine 50, die es beim ersten Versuch geschafft haben. Die meisten müssen eben damit rechnen, mehrer Anläufe zu brauchen. Ich kann aber Mut machen: bei jedem Anlauf ist die Erfolgschance größer.