Diskussion über autonome Kulturen und kulturelle Vielfalt: Gabriele Eschig, Marlene Streeruwitz, Gerfried Sperl (Moderation), Rüdiger Wischenbart und Wolfgang Zinggl (v. li.).

Foto: Regine Hendrich
Wien - Hoffnungsverheißend startete die Autorin Marlene Streeruwitz Montagabend im Haus der Musik die Diskussion über "Recht auf autonome Kulturen": "Es sieht so als, als könnte die Stunde null einer immer verweigerten Kulturdiskussion ausbrechen." Anlass zum Montagsgespräch, moderiert von der Standard-Chefredakteur Gerfried Sperl, gab das Unesco-Abkommen zur kulturellen Vielfalt, das am 18. März dieses Jahres in Kraft getreten ist.

Gabriele Eschig, Generalsekretärin der österreichischen Unesco-Kommission, hatte die wichtigsten Punkte der Konvention dargelegt. Kern ist demnach eine Loslösung der Kultur von Zielen der Marktwirtschaft; mit dem Recht der einzelnen Staaten auf eine eigene Kulturpolitik soll einer globalen Vereinheitlichung entgegengesteuert werden.

Das Abkommen ist das Ergebnis knapp 20-jähriger Bemühungen, kulturelle Güter nicht den wirtschaftsliberalen Aktionen der Welthandelsorganisaton WTO auszusetzen. Österreich hatte das Abkommen als eines der ersten Länder ratifiziert. Damit werde, so Eschig, "Kultur wieder als öffentliche Aufgabe gesehen".

Was, so gut es klingt, so simpel allerdings nicht ist. Weil zwar eine Reihe wohlklingender Anregungen und Einigungen getroffen wurden, es an konkreten Maßnahmen aber fehlt. Zuallererst an einem klar gefassten Kulturbegriff. Streeruwitz kann diesen "nicht weit genug fassen", Wolfgang Zinggl, Kultursprecher der Grünen, hält fest, dass Kultur nun "wesentlich weiter als Kunst gefasst wird und es nicht ums Nationale, Ethnische und Religiöse geht", sondern um Gemeinschaft.

Machtverhältnisse

Das seien Ideale, meint der Kulturwissenschafter Rüdiger Wischenbart. "Real spiegeln kulturelle Verhältnisse Machtverhältnisse wider." Beginnend beim Kern der Konvention, der "Einheiten des 19. Jahrhunderts, festgefügte homogene Gesellschaften" als Ausgangspunkt nimmt.

Die Vielfalt, die in der Konvention propagiert wird, sei "wesentlich fortschrittlicher, als ihre Schöpfer das wissen". Als fraglich sieht Zinggl das Bewusstsein der unterzeichnenden Staaten. "Ich habe den Eindruck, dass diese Konvention den Staaten passiert ist, und ich befürchte, dass es darum ging, die nationalen Hausmärkte zu stärken und gegen eine möglicherweise übermächtige Kulturindustrie der USA anzutreten."

Keine Fixpunkte

Festgelegt sind in der Unesco-Konvention die territorialen als vorrangig auch kulturelle Grenzen. Was sich nicht auf das Hoheitsgebiet eines Vertragspartners festlegen lässt, fällt in das Kapitel "Kulturaustausch" - für den es jeweils zahlreiche Vorsehungen, allerdings keine feststehenden Fixpunkte gibt.

In der Praxis ist für Streeruwitz die wichtigste Frage, wie sehr die österreichische Politik an der Lebensform freier Künstler interessiert ist. Dass hier nun in erster Linie Handlungsbedarf vonseiten der Politik gefragt ist, darin sind sich die Diskutanten einig: "Bis vor Kurzem haben die Politiker in Österreich die kulturelle Vielfalt nicht als Thema erachtet", sagt Eschig. Die Staaten haben sich mit der Ratifizierung bereit erklärt, die Zivilgesellschaft einzubinden, "wir warten nur noch auf die Ermutigung".

Vor der Ratifizierung wurde im Auftrag des Bundeskanzleramts ein Rechtsgutachten erstellt: Es soll festgestellt haben, dass für die Umsetzung des Abkommens keine Verfassungsänderungen notwendig wären. Dieses Gutachten wird nach wie vor unter Verschluss gehalten - weil es eben nicht mehr relevant sei, heißt es dazu auf Anfrage beim Bundeskanzleramt.

Mängel und Unwille hin oder her: "Ich habe jetzt zum ersten Mal in diesem Land das Gefühl, dass ich eine Berechtigung habe", sagt Streeruwitz. "Das ist kein Sonnenuntergang, in den wir hineinreiten können, aber es ist eine ganz andere Tonart, die nun weit entfernt, aber durchaus vorhanden ist." (Isabella Hager / DER STANDARD, Printausgabe, 23.05.2007)