STANDARD: Die RAF-Terroristin Brigitte Mohnhaupt kommt am 26. März vorzeitig frei. Christian Klar bittet den Bundespräsidenten um Gnade. Soll sie ihm gewährt werden?

Bommi Baumann: Ja. Denn in Deutschland hat kein Nazi so lange gesessen wie die RAF-Terroristen. Ich verstehe vollkommen, dass sich die Angehörigen der Opfer dagegen wehren. Das ist total menschlich. Aber deren emotionale Verwicklung darf sich der Staat nicht in seiner Rechtsausübung zu eigen machen. Und warum überhaupt dieses Geschrei um die zwei, drei Leutchen da im Knast? Viele tun ja so, als ob nicht die Frühjahrsoffensive der Taliban, sondern die der RAF bevorsteht. Außerdem: So lange die sitzen, kann das Kapitel RAF auch nicht abgeschlossen werden.

STANDARD: Kann es das jemals? Sie merken ja auch, wie sehr das Thema Deutschland derzeit wieder bewegt.

Baumann: Die Debatte muss anders geführt werden. Seit den Kaufhausbränden von 1968 (in Frankfurt/Main, die zur Gründung der RAF führten, Anm.) geht es immer nur darum, ob irgendwelche gerade einsitzenden Terroristen frei kommen sollen oder nicht. Wir sollten lieber einmal über die Ursachen dieses Terrorismus reden. Und was falsch und richtig war.

STANDARD: Was war richtig?

Baumann: Die gesamte 68er-Jahre-Revolte. Wir waren wirklich überzeugt, wir könnten jetzt und sofort die Welt komplett verändern. Natürlich haben sich einzelne Ausprägungen im Nachhinein als grober Schwachsinn erwiesen. Aber zunächst kamen viele Fakten zusammen, die für einen kurzen Augenblick bewaffnete Gruppen notwendig gemacht haben.

STANDARD: Warum haben Demonstrationen und Flugblätter eines Tages nicht mehr gereicht?

Baumann: Denken wir einmal an Paris im Mai 1968. Da lag die Macht für eine Nacht auf der Straße. De Gaulle war nach Deutschland zu General Massu geflüchtet, und uns war nicht klar, ob er nicht mit Panzern wiederkommt. Das heißt: Selbst wenn wir mit friedlichen Mitteln erfolgreich sein wollten, heißt das ja noch lange nicht, dass die Gegenseite das einfach so hinnimmt. Es wurden ja Studenten und Demonstranten erschossen.

STANDARD: Wollten Sie auf den Staat schießen?

Baumann: Nein, wir wollten nicht unbedingt schießen. Für uns waren Waffen ein Instrument der legitimen Selbstverteidigung. Vertrauen in die Veränderbarkeit des Systems durch systemimmanente Mittel war einfach nicht mehr vorhanden. Denken Sie an Benno Ohnesorg, der von der Polizei erschossen wurde. Da war ich schon persönlich getroffen, den hatte ich gerade kennen gelernt. Davor hat man ja immer noch an das demokratische System geglaubt.

STANDARD: Es fällt schwer, sich Terroristen vorzustellen, die an der Eskalation ganz unschuldig sind.

Baumann: Der tiefe Sinn einer Zivilgesellschaft ist doch, dass man alle Konflikte ohne Gewalt löst. Wenn es sich dann aber immer weiter hochschaukelt, haben alle Seiten versagt. Dann kann man die Schuld nicht einseitig zuweisen. Aber das wollen viele heute immer noch nicht sehen.

STANDARD: Die ehemalige RAF-Terroristin Inge Viett sagt heute, sie wundere sich, dass damals nicht mehr zu den Waffen gegriffen haben.

Baumann: Da wundere ich mich aber über Inge Viett. Die war doch dabei und wusste, was läuft. Wir hätten 1972 bei der Verhaftung von Andreas Baader das Projekt bewaffneter Kampf auf Eis legen sollen. Da war der Zug historisch abgefahren. Die Bevölkerung stand nicht mehr hinter uns und schlug uns die Türen zu. Es war unser Fehler, nicht zu diskutieren, wie man radikale Politik weiterführen könnte, aber ohne diese Illegalität der RAF. Aber die linke Szene war damals schon so zersplittert.

STANDARD: Haben Sie selbst auch zwischen „Mensch“ oder „Schwein“ unterschieden?

Baumann: Nein, das war typischer RAF-Jargon. Einmal die Woche haben wir uns vom 2. Juni an ja mit denen getroffen, mit Herrn Baader, Frau Ensslin. Wir haben ja auch zusammen Banken überfallen. Und dann kam uns der Gedanke: Wir machen eine große Sache miteinander und entführen gemeinsam alle drei Berliner Stadtkommandanten.

STANDARD: Warum wurde nichts daraus?

Baumann: Die Diskussionen vorher waren schon der Wahnsinn. Der Baader tobte oft stundenlang, erst nachher konnte man halbwegs mit ihm reden. Ich habe ja auch nie verstanden, warum Ulrike Meinhof da mitgemacht hat. Die passte gar nicht in diese Landschaft, war sehr ruhig und überlegt. Und spätestens seit der Landshut-Entführung wurde es bei der RAF richtig irre. Da hatten die ja jede Berechtigung verloren, sich noch über irgendwas zu beschweren. Ab da hieß es nur noch: Die fünf RAF-Hanseln gegen den Rest der Welt. Das hatte nichts mehr mit den Bedürfnissen der Bevölkerung zu tun.

STANDARD: Was hat Sie dazu gebracht, den bewaffneten Kampf aufzugeben?

Baumann: Menschen starben unnötig. Man wollte ja nicht Leute töten. Ganz am Anfang gab es ja noch keine Toten. Man war unerfahren und blauäugig. Und dann dachte man halt eines Tages: Okay, dann machen wir halt mal einen Bombenanschlag. Es war ja nicht so, dass da alle mit einer Knarre rumrennen und man von Anfang an wusste: Da sterben Leute. Erst als es passiert ist, wurde einem klar, was da abläuft. Als ich 1974 im Spiegel dazu aufgerufen habe, die Waffen niederzulegen, bin ich von vielen als Verräter beschimpft worden.

STANDARD: Wie ist Ihr Verhältnis heute zum Staat? p>Baumann: Hartz IV, die mediengeile und korrupte Politikerkaste und Privatisierungen gehen mir tierisch auf den Keks. Aber ich gehe nicht mehr gerne auf Demonstrationen und bringe mich nicht mehr ein. Aus gesundheitlichen Gründen und weil man nach 40 Jahren ohnehin weiß, wie es endet. Es gibt heute dieses Gefühl nicht mehr, dass man etwas verändern kann – dieses Gefühl, das wir damals hatten.

STANDARD: Bereuen Sie etwas?

Baumann: Sicher war da eine Enttäuschung, dass die Dinge nicht so aufgehen, wie man es sich vorgestellt hat. Mir wäre natürlich auch lieber gewesen, es wäre niemand gestorben. Aber sonst? Wo wären die Alternativen gewesen? Ich hätte gearbeitet und hätte irgendeine Frau geheiratet, wäre inzwischen geschieden. So habe ich die halbe Welt kennen gelernt und tausend interessant Leute. Meine Gesundheit ist natürlich kaputt, durch Heroin, Alkohol und Tabletten. Davon hätte ich weniger nehmen sollen. Aber ich habe mein Leben gelebt und habe keine Angst vorm Sterben mehr. (Birgit Baumann/DER STANDARD, ALBUM, 17./18.3.2007)