Bunte Masken und prachtvolle Kostüme beim Karneval in Oruro.

>>> Zur Ansichtssache von Hanna Schwarz über den Karneval in Oruro.

Foto: Hanna Schwarz

Es hieß es gäbe keine Busickets mehr von der größten Stadt Boliviens La Paz in die kleine, unscheinbare Provinzstadt Oruro. Ein Städtchen, das nur einmal im Jahr berühmt und besucht wird – zum Karneval. Aber dann geht`s ab – mit 200.000 Besuchern aus La Paz, Santa Cruz, Cochabamba, ja sogar aus Brasilien kämen sie, um sich was abzuschauen, was zu lernen, von den Kostümen, den Tanzschritten und der Bierbraukunst, so das Gerücht. Und es gibt nur etwas, das sich besser verkaufen lässt, als die Bierdosen um 5 Bolivianos – 50 Eurocent: " globos de aqua" – Wasserbomben.

Nur keine Hektik!

Freunde hatten sich am Tag zuvor schon ihre Bustickets gesichert – für 4:30 Uhr des frühen morgens – die angeblich letzte Mitfahrgelegenheit, wie sie mir bei gegrillten Rinderherzen mit Papas (Erdäpfeln) am nächtlichen Markt und sechs Stunden vor ihrer Abfahrt glücklich erzählten. Ich hatte natürlich noch kein Ticket – aber das unerklärliche Vertrauen in die Kunst des Marktes (so ich dieses Phänomen richtig verstanden hatte), dass bei bedingter Nachfrage auch das Angebot steigen würde. Also schlief ich gemütlich in den Tag der Tage – denn kein Fest scheint größer, bekannter, "fun-versprechender" und deshalb wichtiger zu sein. Für keinen anderen Event wird fieberhafter darauf hin trainiert und gespart, um die schönsten Kostüme herzustellen und sich die Teilhabe am Tanz zu leisten (der Superlative seien hier keine Grenzen gesetzt!). Also marschierte ich zum Busbahnhof (denn auch die Taxifahrer hatten scheints beschlossen Karneval zu feiern und ihre Arbeit für die 4 Tage des Faschings ruhen zu lassen), kaufte draussen ein Busticket (juchee, wie gut dass es den Schwarzmarkt gibt) und sass im Bus nach Oruro!

Einstimmung im Bus

ORURO! Ist der Wortlaut selbst nicht schon vielversprechend, fragte ich mich? Der Bus – voll mit Leuten, ausgestattet mit Decken (Die Busfahrt wird kalt im Altiplano, der Hochebene. Da zieht der Wind ordentlich drüber und der Bus ist auch nicht so wie wir`s zu Hause gewohnt sind) und in erklärter Festivalstimmung – voller Begeisterung, die nichts verstören konnte (abgesehen von der verspäteten Abfahrt des Busses). Und so bekam ich auch meine erste Salteña (gefüllte leckere Teigtasche) von den Sitznachbarn 2 Reihen hinter mir und erleichterten Erfahrungsgenossen des Schwarzmarktes, die so ihrer positiven Stimmung Ausdruck verliehen. Und wie gut schmeckte es!

200 Kilometer nach Oruro in 3 Stunden entspricht einem guten Schnitt und ging vermutlich nur deshalb so schnell, weil auch der Lenker des Busses nichts vom Einzug der Tänzer versäumen wollte. Oruro also. Da waren wir. 1606 ins Leben berufen, mit Namen Uru-Uru, zu Ehren der präkolumbianischen Kultur (deren Nachfahren heute noch die schwimmenden Inseln am Lago Titicaca bewohnen), danach – man beachte – "Colonia Real des San Felipe de Austria. Phillip II hatte sich also auch über dem Ozean bemerkbar gemacht – und schließlich Oruro! Heutzutage nichts als graue, braune, niedere Häuser, aus Adobe und eng aneinander geschmiegt, gebeugt gegen den staubigen Wind der Hochebene, einst bekannt und anziehend für den Abbau von Zinn, Wolfram und Zink.

Alter Glanz, der in kolonialen Mauern der schönen Häuser des Zentrums, die in gepflegten Baumalleen stehen, kann erahnt werden. Den Stolz aus dieser Zeit hat nur das weiss-leuchtende Wahrzeichen am Hügel, welcher die Stadt überblickt, herübergerettet. Eintauchen kann man trotzdem, ins Zentrum des Geschehens, dort, wo die Tänzer nach dem 4 Kilometer langen Umzug und dem letzten steilen Anstieg auf groben Pflastersteinen, vor der grossen weißen Kirche stehen und deren Stufen traditionsgemäß auf Knien erklimmen (war um 3 Uhr nachts für viele kein einfaches Unterfangen mehr!).

Auf dem Trockenen bleiben

Ich näherte mich dem Ganzen vom Busbahnhof aus (also schön langsam) und kaufte mir zu allererst einen leuchtgelben Plastikumhang (weil das alle anderen auch taten!) – um gegen unerwartete Angriffe mit Wasserbomben geschützt zu sein (achja, ich hatte davon gehört). Und auch die abgefeimten Sprühattacken mit Schaum aus der Aludose waren mir geschildert worden, die allerdings nur halb so nass vor sich gehen und fast mit Stolz ertragen werden. Schon am Bahnhof gingen diese berühmten Kämpfe auf alle und jeden los – und ich flüchtete zu einer schützenden Hausecke, wo ich wartend von meinem Orureño-Freund gefunden wurde (wie schön!).

Erwartungsvoll und stolz wurde ich zur "Avenida" geführt, dort wo normalerweise die Eisenbahnschienen durch die kleine Stadt führen, die jedoch einmal im Jahr mit Aspahlt überdeckt werden und so Platz für die Präsentation der einziehenden Tänzer bilden. Und was für eine Stimmung. Sitzreihen, die von der Begeisterung der klatschenden, stampfenden, anfeuernden Zuschauern gefährlich ins Schwanken geraten, Musik, die laut und jubelnd ins Ohr geht, Kostüme - blitzend, glitzernd und hübsch kurz für die Damen, schellend und furchteinflößend die der Männer und schließlich wiederum die Wasserbomben, die klatschend von einer Seite zur anderen fliegen (und die erhitzten Gemüter ein bisserl abkühlen).

Sinnesrausch und weitere Attacken

Kampfpause. Sich nähernde Musik – einziehende Tänzer, vorüberziehende Verkäufer, die beflissentlich den Biervorrat der durstigen Zuschauer aufstocken, sowie die Wasserbombenwerfer mit den ach so wichtigen "globos" beliefern (fast flehentlich hört man immer wieder den Ruf nach "globos" aus den Zuschauerreihen tönen!). Eine Augenweide an bunten Farben, Gerüchen (der Hunger ist groß!), Melodien und Stimmen, voller Phantasie, die Ausdruck in den Melodien und Kostümen der Tänzerinnen findet. Hat man in der Menschenmenge einmal einen Sitzplatz gefunden, bleibt der Mund vor Staunen offen – solange, bis die nächsten Wasserbomben fliegen.

Foto: Hanna Schwarz

Aber nicht nur wegen der erfrischenden Partizipation des Publikums wage ich die Anmassung, den Karneval in Oruro mit jenem in Rio zu vergleichen. Jeder einzelne Tanz, jedes Kostüm, jede Musik trägt ein Stückchen der Folklore, der Geschichte und der Philosophie Boliviens (dem ärmsten Land Südamerikas) und jedes seiner unterschiedlichen Departamientos (Bundesländer) mit sich. Besonders eindrucksvoll die "Diablada" – der Tanz der Mineros (Minenarbeiter), die ihn zu Ehren des Diablos darbieten, dem Herrscher der Unterwelt, in welcher sie arbeiten. Mit ihrem Tanz bitten sie ihn um Verzeihung der Explotation seiner Erde. Und noch ein Grund, warum der Karneval in Oruro besser ist als der in Rio: In Bolivien sind die Tage des Karnevals (Samstag bis Dienstag) zu staatlichen Feiertagen erklärt – damit die Leute in aller Ruhe ihre Wasserbomben schießen können. (Hanna Schwarz)