Patrick Wolf: "The Magic Position" (Loog Records/Polydor/Import 2007)


Coverfoto: Loog
Foto: Polydor
Give me the worst and then again / I'm feeling braver than I've ever been ... - zeitweise hatte man das Gefühl, dass sich das Jahr nach Patrick Wolfs 2005er Album "Wind in the Wires" und der anschließenden Tour zu einem annus horribilis entwickeln könnte. Erst sorgte für Wellen, dass die Polizei einen alten Einbruchsfall bei Patricks Nachbar neu aufrollte - am gleichen Tag war der Musiker die Haustreppe hinuntergestürzt, und dass beides nichts miteinander zu tun hatte, wurde den Ermittlern erst später klar. Und dann führten gesundheitliche Probleme noch zu einer mehrmonatigen Verschiebung des fast fertigen dritten Albums "The Magic Position". Jetzt aber ist es hier, die Schwierigkeiten sind überwunden, und die im Herbst vorveröffentlichte erste Single "Accident & Emergency" klang wie die Antwort auf den ganzen ausgestandenen Mist: Accident and emergency / keep bringing out the best in me .

Wie überhaupt der Drittling spürbar fröhlicher gestimmt ist als seine Vorgänger "Lycanthropy" - eine phantasmagorische Aufarbeitung der eigenen Kindheit und Jugend - und "Wind in the Wires", die musikalische (wie auch reale) Landflucht als Reaktion auf den beginnenden öffentlichen Rummel um Patricks Pop-Persona. Biografische Rückschlüsse haben sich früher förmlich aufgedrängt, diesmal geht's auch ohne.

Kurzer Einschub noch für NeueinsteigerInnen: Patrick Wolf, 23-jähriger Sänger und Multi-Instrumentalist aus London mit Vorliebe für - in dieser Reihenfolge - Ukulele, Geige und Klavier. Markenzeichen: Die Verschmelzung von Folk und Electronica; beides auch in reiner Form gespielt, zumeist aber auf unwahrscheinliche Weise gemischt. Alte Instrumente bis hin zur Dulcimer werden verknüpft mit Beats und Samples.

Ein großer Wurf von der Overture ...

Das Eröffnungsstück von "The Magic Position" heißt schlicht "Overture", ist aber ein atemberaubend rhythmischer Track und zugleich eines der Highlights des neuen Albums: Percussions hämmern los, Elektronik und Kontrabass steigen in tiefste Tiefen hinab, weit darüber jubilieren die Geigen. Das Streichquartett stammt übrigens aus Wien, wo Patrick mit Namensvetter Pulsinger einen Teil des Albums aufnahm.

Es folgt das ausgelassene Titelstück "The Magic Position" als erstes Liebeslied: Mit seinem Ballroom-Feeling irgendwie an die Dexys Midnight Runners erinnernd und ebenso wie das verwandte "Get Lost" unmittelbar ins Ohr gehend ... die beiden werden dafür auch die Songs mit der geringsten Halbwertszeit sein (glückliche Liebe hat außer für die unmittelbar Beteiligten eben immer etwas leicht Banales). In "The Magic Position" sind's noch mal die Geigen, die für Fröhlichkeit sorgen, bei "Get Lost" übernehmen dies dann Synthesizer und Posaunen - dito bei Nummer 4, dem schon erwähnten "Accident & Emergency".

Eingeleitet vom als eigener Track geführten Piano-Prolog "The Bluebell" folgt dann der Höhepunkt des Albums: "Bluebells" nimmt eine ähnlich herausragende Rolle ein wie "Teignmouth" auf "Wind in the Wires". Schlagzeug, Bass, Beats und Tastenanschläge produzieren einen rumpelnden Grundrhythmus, eingesampelte Feuerwerkskörper schwirren darüber und explodieren im Takt. Lange Zeit verweigert sich der Song einer erlösenden Klimax, um schließlich doch noch in einen Refrain zu münden: Your love has come too late ..., wozu der Synthesizer aus mehrfacher Oktavenhöhe Akkorde wie Lichtstrahlen nach unten schickt. Ekstase!

Überhaupt ist es endlos faszinierend, aus wie vielen Schichten die einzelnen Songs zusammengesetzt sind (bloß wie steuert man seine Anlage dafür am besten aus?): Jedes Anhören mit verändertem Kopfhörer oder Abspielgerät legt neue frei. Oft überlässt die Stimme Instrumentalparts den melodischen Vortritt - und diese sind nicht nur ergänzend, sondern gerne auch mal überlappend angelegt. Eingebaute Chaos-Elemente - hier die Feuerwerkskörper, dort ein Voice-Sample oder Aufnahmen antiker Spielautomaten - gehören zum Wolfschen Harmonieverständnis ebenso dazu wie gezielt gesetzte Dissonanzen: das Intermezzo "X" zum Beispiel oder das einmal mehr an Kate Bush erinnernde Stück "Secret Garden", das in wildes statisches Rauschen übergeht. Nicht leicht verdaulich, für die Ausgewogenheit des Albums aber unbedingt erforderlich. Perfektion à la Wolf sieht nicht rund aus, sondern eckig und kantig.

... bis zum Finale

Die zweite Albumhälfte ist deutlich langsamer gehalten als der ausgelassene Beginn, eingeläutet vom Klagelied "Magpie". Und wenn Patricks Stimme seit seinem Debüt auch bemerkenswert gereift ist, relativiert sich das doch angesichts einer Duett-Partnerin wie Marianne Faithfull, die sich wie eine akustische Botschaft aus einem anderen Erdzeitalter in "Magpie" einfügt und die spröde Schönheit des Songs wunderbar ergänzt (der Inhalt des Duetts scheint einige Rezensenten etwas verstört zu haben - aber ein Schelm, wer Böses dabei denkt ...).

Zwei Balladen erinnern mit ihrer Konzentration auf Piano und Gesang an die weitgehend akustisch gehaltene "Wind in the Wires"-Tour, wobei "Augustine" mit allerlei Zusatzinstrumentarium noch sehr Wolf-typisch ist und das Zeug zu einer weiteren Single hat. "Enchanted" hingegen stellt eine komplette Überraschung dar: ein sanft swingendes, sehr klassisch gehaltenes Stück wie direkt aus den 40er Jahren importiert. Und leicht ist es eben nicht noch überrascht zu werden, weil ja gerade die enorme Stilvielfalt und -vermischung eines der Markenzeichen von Patrick Wolf ist: Alles schon im Debüt "Lycanthropy" angelegt gewesen ... als eines der besten Alben des neuen Jahrtausends (meiner Meinung nach: das beste) keine schlechte Ausgangsbasis.

Interessanter als "Enchanted" aber der letzte vollentwickelte Song des Albums: "The Stars", ein leises und langsames Stück - ätherisch funkelnd voller elektronischer Blieps und Geigenzirper. Zwischendurch brausen noch einmal heftige Beats auf, dann kehrt wieder himmlischer Frieden ein - mit gesanglicher Unterstützung von Patricks Schwester Jo zum Familienstück gerundet: Mama, Papa, the stars burning bright.

Das "Finale" ist dann im Gegensatz zur "Overture" wirklich nur ein Finale, und wenn die letzten Töne des Wiener Streichquartetts verklungen sind und das Album nach 40 Minuten vorbei ist, steht man belämmert da und sagt sich: Bumm. Er hat's schon wieder geschafft. Das muss man erst mal verdauen. (Josefson)