Zur Person:

MMaga. Heike Wagner ist Lektorin am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien. Sie forscht zu Gender und Migration mit Schwerpunkten auf Haushaltsarbeit, Illegalisierung sowie Geschlechteridentität und –gewalt im Migrationsprozess. Sie studierte Ethnologie, Philosophie, Theologie und Quichua in Tübingen und Quito und schreibt momentan an ihrer Dissertation zum Migrationsprozess ecuadorianischer Hausarbeiterinnen in Madrid.

Foto: Wagner
dieStandard.at: Vergangenes Jahr fand im Rathaus eine große Konferenz zum Thema "Gender in Migration" statt. Der Geschlechteraspekt in der Migration scheint an Bedeutung zu gewinnen. Woran liegt das?

Heike Wagner: Da gibt es zwei Aspekte: Zum einen wird das Thema qualitativ anders wahrgenommen, d.h. die Forschung hat ihren Blickwinkel verändert und auch in der Politik ist man zur Überzeugung gekommen, dass Frauen nicht mehr nur die Nachfolgenden sind, sondern eigenständige Motive haben zu migrieren. Es wurde auch erkannt, dass Migrantinnen oft in prekäreren Verhältnissen leben als Männer, was neue politische Maßnahmen fordert.

Zum anderen lässt sich eine quantitative Zunahme von Migrantinnen feststellen, in manchen Ländern mehr in anderen weniger. Auch hier hat sich der Kontext verändert: Migrantinnen werden in den Zielländern verstärkt nachgefragt, zum Beispiel in der Haus-, aber auch in der Sexarbeit.

dieStandard.at: Seit wann kann von einer 'Feminisierung' der Migration gesprochen werden?

Heike Wagner: Es lassen sich schwer Jahreszahlen nennen, aber grundsätzlich ist diese Entwicklung in den Prozessen der Globalisierung zu sehen. Dazu gehören beispielsweise die globalisierte Haushalts-, Pflege- und Erziehungsarbeit, welche heute immer mehr nachgefragt werden und den Hauptarbeitssektor von Migrantinnen weltweit darstellen: Migrantinnen als Haushaltsangestellte springen für einheimische Frauen ein, damit diese ihrer Lohnarbeit nachgehen können und füllen außerdem die Lücken, die der Abbau des Sozialstaates schafft, mit informeller Beschäftigung auf. Auch die hoch-qualifizierten Arbeitskräfte der New Economy in den globalen Zentren fragen private Dienstleistungen für ihre Haushalte und Freizeitansprüche nach, welche vornehmlich durch migrantische Frauen erfüllt werden. Migrantinnen sind als Arbeitskräfte u.a. deshalb so attraktiv, weil sie für die ArbeitgeberInnen sehr billig, hochflexibel und jederzeit abstoßbar sind.

Aber auch andere Aspekte wie z.B. die neuen Technologien, der Einfluss von Medien oder bestimmter Diskurse beeinflussen die Migration von Frauen. Dazu gehört auch der heute genderspezifische Entwicklungsdiskurs, welcher Frauen nicht nur ermutigt, Veränderungen anzustreben und ihre Projekte zu verwirklichen, sondern mit den westlichen EntwicklungshelferInnen die Möglichkeit dieser Ideale verkörpern. Die strukturellen Bedingungen in den jeweiligen Ländern sind jedoch oft sehr schwierig, weshalb eine 'Reise in den Westen' als bessere Form der Realisierung dieser Ideen erscheinen kann. Was die Entwicklungsdiskurse über 'Empowerment', 'Freiheit' und 'Gleichheit' in der Regel nicht vermitteln, ist, dass einerseits diese Ziele in den westlichen Gesellschaft nicht verwirklicht sind und dass andererseits die Rolle der migrantischen Frauen oft in der Befreiung der einheimischen Frauen durch die Übernahme derer Haushaltsarbeiten liegt und die eigenen Freiheiten und Möglichkeiten strukturell denen der 'Einheimischen' untergeordnet werden.

dieStandard.at: Was lässt sich unter frauenspezifischen Migrationsformen verstehen?

Heike Wagner: Das sind Migrationsformen, die Frauen betreffen. Zum einen ist hier die Nachfolge im Zuge der Familienzusammenführung zu beachten. Dazu gehört auch die Heiratsmigration, als Liebesheirat aber auch als Form der legalen Einwanderung, man könnte sie auch ‚legalisierende Ehe’ nennen. Dann gibt es die direkte Anwerbung von Haushaltsarbeiterinnen, wo in einzelnen Industrieländern wie zum Beispiel Spanien eigene Quotenregelungen bestehen. In Österreich wurde das ja auch im Rahmen der Pflege-Debatte angedacht.

Relevant ist auch noch die 'Au pair'-Variante, die sich immer mehr vom Konzept des interkulturellen Austausches mit dazugehörigen Rechten wie Sprachkursen und Freizeit zu einem Hausangestellten-Verhältnis verändert hat. Und es gibt die Anwerbung unter Vorspiegelung falscher Tatsachen, die sich sehr stark mit Frauenhandel in die Sex- und Hausarbeit überlappt.

Alle diese Migrationsformen haben gemeinsam, dass sie Frauen in ein strukturelles Abhängigkeitsverhältnis bringen. Sie sind mehr oder weniger schutzlos Ausbeutung und Gewalt ausgesetzt.

dieStandard.at: Welche Gründe haben Frauen, allein oder mit ihren Familien zu migrieren? Unterscheiden sich diese von denen der Männer?

Heike Wagner: Es sind ja meistens ein Bündel von Gründen, warum Menschen migrieren, das nur als Vorbemerkung. Viele Frauen verbinden mit ihrer Migration neben anderen Aspekten auch die Überwindung sozialer Ausgrenzung und Gewalt, was in meiner Forschung zu ecuadorianischen Migrantinnen in Madrid erstaunlich oft als Migrationsgrund angegeben wurde. Sie wird als Neuanfang, als Chance aus gewalttätigen Beziehungen, aus einschränkenden Familienverhältnissen gesehen. Auch das Bedürfnis, die eigene sexuelle Orientierung leben zu können, kann ein Grund sein.

Auf einer makrostrukturellen Ebene lässt sich feststellen, dass auch Wirtschaftspolitiken wie z.B. Strukturanpassungsmaßnahmen in den Herkunftsländern zu einer Verarmung geführt haben, die Frauen stärker trifft als Männer. Das drängt Frauen in die Lohnarbeit, forciert aber auch Migration.

dieStandard.at: Das Modell der klassischen Arbeitsmigration auf Zeit wird immer seltener. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der Feminisierung und der Irregularisierung von Migration?

Heike Wagner: Ja, weil beide ihre Ursachen u.a. in der neoliberalen Globalisierung haben und insofern eine gemeinsame Logik aufweisen. Der Abbau des Sozialstaates wird beispielsweise durch die Privatisierung und Informalisierung von Kinderbetreuung und Altenpflege durch Migrantinnen aufgefangen, mit allen Nachteilen, die Frauen durch diese meist irregulären Arbeitsverhältnisse haben.

dieStandard.at: Wenn Frauen zunehmend allein migrieren, könnte dies ja auch auf einen Autonomiegewinn von Frauen hinweisen. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Heike Wagner: Für viele Frauen ist die Migration tatsächlich ein Autonomie-Projekt. Aber dieses Projekt ist sehr stark durch die nachteiligen Strukturen begrenzt, wie sie in den Zielländern vorherrschen. Dies bezieht sich sowohl auf die Arbeitsmöglichkeiten als auch auf die Bedingungen derselben. So beinhalten die ihnen zugeschriebenen Tätigkeiten, nämlich Haushaltsarbeiten, teilweise Gastronomie und Sexarbeit, Arbeitsbedingungen und Rollenzuschreibungen, die viele von ihnen gerade überwinden wollten. Die Tatsache, dass ihre Ausbildungen hier nicht anerkannt werden, verschärft das Problem zusätzlich.

In meiner Forschung mit Frauen aus Ecuador, die nach Spanien migrierten, zeigte sich, dass die Migration Auswirkungen auf die Geschlechterbeziehungen hat. Oft heißt die Formel 'hier ist alles anders' und bezieht sich darauf, dass beide Partner arbeiten und die Arbeits- wie Lebensbedingungen in Bezug zu Ecuador sehr verschieden sind. So muss, u.a. bedingt durch die Arbeitszeiten, in den meisten Paaren die Haushaltsarbeit und die Kinderbetreuung anders organisiert werden, was oft auch eine größere Einbeziehung der Männer bedeutet. Viele Männer geben an, dass sie ihre Beziehung in der Migration neu im Sinne von positiver erleben, wobei jedoch nicht vergessen werden darf, dass viele Paare bereits vor der Migration eine eher egalitäre Beziehung lebten.

Beobachtbar ist aber auch, dass Frauen, die zuerst allein kommen und dann ihren Mann nachholen, besonders von Gendergewalt betroffen sein können, wenn nämlich in einer hierarchisch verstandenen Beziehung der Autonomie-Gewinn ihrer Frauen bei den nachkommenden Männern zu einer Identitätskrise führt, die sich dann gewalttätig, sowohl physisch als auch psychisch äußern kann.

dieStandard.at: Die Pflegedebatte im letzten Jahr machte deutlich, dass in Österreich inzwischen ganze Arbeitsfelder von Migrantinnen in prekären Arbeitsformen erledigt werden. Welchen Ratschlag haben Sie an die Politik?

Heike Wagner: Das Thema Migration knüpft an viele Bereiche, insofern stellt sich die Frage, auf welchen Annahmen wir zukünftige Politiken begründen wollen. Da wäre einmal der populistische Zugang von Politik und Medien zum Thema: Es mangelt an einer 'objektiven', auf empirischen Studien basierenden Debatte, die z.B. anerkennt, dass in den Zielländern ein Bedarf nach migrantischen Arbeitskräften besteht. Die Vorstellung vom passiven Zielland, das sich gegen 'Migrationswellen' zur Wehr setzen muss, entspricht nicht der Realität. Es muss also ein Perspektivenwechsel in der öffentlichen Diskussion stattfinden.

Berücksichtigt werden muss auch, dass viele Migrantinnen in einem Arbeitsbereich tätig sind, der nicht als Arbeit anerkannt wird, wie z.B. Haus-, Pflege- und Sexarbeit. Diese Bereiche sind stark mit Gendercodes belastet, d.h. sie sind sehr davon bestimmt, was sich eine Gesellschaft unter richtigem 'Frau sein' und 'Mann sein' vorstellt. Hinzu kommt der Opferdiskurs über migrantische Frauen, der aber zu kurz greift.

Eine zentrale Forderung ist die Legalisierung von migrantischen Arbeitskräften. Aber auch illegalisierte Migrantinnen müssen vor Ausbeutung geschützt werden, indem man ihnen die Möglichkeit bietet, ihre (Arbeits-)Rechte einklagen zu können - auch ohne gültigen Aufenthaltstitel. Diese Maßnahmen würden die Einhaltung von arbeitsrechtlichen Mindeststandards garantieren. Nötig ist auch eine stärkere Kontrolle der 'Au Pair'-Arbeitsformen.

Es gibt übrigens auch die 'Internationale UN-Konvention zum Schutz aller migrantischer Arbeiter und ihrer Familien', welche Grundlage einer politischen Debatte sein sollte. Bezeichnenderweise wurde diese aber noch von keinem Industrieland ratifiziert. (Die Fragen stellte Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 9.1.2007)