Die Hände, die das 14-jährige Model in ihrer Gewalt haben, sollen auch Betrachter "packen", wünscht man sich bei der "möwe". Plakatstreit wie im Juli soll es keinen geben.

Foto: STANDASRD/ Die Möwe
Nach dem Streit um die "Love Doll"-Plakate im Juli versucht man bei der Kinderschutzorganisation "die möwe" einen neuen Anlauf. In Linz findet man zu ganz anderen Werbeideen.

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Wien/Linz – Die "Watschen" für nicht gewünschtes Verhalten, die auffallend gründliche Körperreinigung bei der jungen Nichte:_Gewalt gegen Kinder, vor allem sexueller Missbrauch, passiert täglich – und wird oft ignoriert. Weil man sie nicht sehen will oder nicht weiß, wie man damit umgehen soll, obwohl es mehrere Stellen gibt, die sich für den Kinderschutz einsetzen und Betroffene betreuen.

Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit

Die Frage, wie man die Öffentlichkeit am besten auf die Thematik aufmerksam macht, hat im Juli für heftige Kontroversen gesorgt. Das geplante "Love Doll"-Plakat der Kinderschutzorganisation "die möwe" wurde nach Protesten von Experten schließlich nicht veröffentlicht. Am Mittwoch präsentierte "möwe"-Präsidentin Martina Fasslabend in Wien das neue Sujet:wieder von der Werbeagentur Publicis kreiert, diesmal aber "ein guter Mittelweg", wie Fasslabend befand.

Die Aufregung um die erste Kampagne versteht die ehrenamtliche Kinderschützerin noch immer nicht ganz, hatte jene doch durchaus auch viel Zustimmung hervorgerufen. Um mögliche Expertenstreitigkeiten zu vermeiden, wurde diesmal aber schon im Vorfeld mit Kritikern der verhinderten Kampagne gesprochen.

Werbung nötig

Nötig sei Werbung aber, schließlich sei Kindesmissbrauch das "letzte Tabuthema", meint Fasslabend. Von den rund 2700 Klientinnen jährlich werden 46 Prozent (also 1242 Menschen) wegen sexueller Übergriffe beraten und betreut.

Wie viele Kinder tatsächlich missbraucht werden, ist schwer einzuschätzen. Einerseits aufgrund unterschiedlicher Missbrauchsdefinitionen, andererseits aufgrund der Schwierigkeiten bei der Datenerfassung. Während man bei der "möwe" schätzt, dass bis zu 20 Prozent aller Kinder bis zum 14. Lebensjahr Opfer von sexuellen Übergriffen sind, geht die Weltgesundheitsorganisation WHO von 10,5 Prozent aus, bei der Wiener Kinder- und Jugendanwaltschaft schätzt man gut sechs Prozent. Selbst diese Schätzung würde aber über 79.000 Betroffene bedeuten – angezeigt werden im Schnitt nur 700 Fälle und nur 300 Menschen werden wegen einschlägiger Delikte verurteilt.

Wegschauen entgegenwirken

Beim Linzer Kinderschutzzentrum geht man mit der neuen Kampagne "Das Unsichtbare wahrnehmen" einen weitaus subtileren Weg. Verpackte Autos, verdeckte Schaufenster und vor allem ungewöhnlich verpackte Waren sollen von 23. bis 25. November dem Wegschauen bei Gewalt an Kindern entgegenwirken.

So wird etwa manches Kleidungsstück mit dem "Mantel des Schweigens" verhüllt, oder beim Friseur klebt ein Button mit der Aufschrift: "Sie sehen aber heute gut aus, schlecht sieht es hingegen mit der Gewalt gegen Kinder aus." Die "Möwe"-Sujets will man nicht beurteilen. "Dass wir es anders machen, zeigt aber, dass wir nichts von emotionsgeladenen Kampagnen halten", so Kinderzentrum-Leiterin Barbara Küschner dem Standard gegenüber. (moe, mro, DER STANDARD Printausgabe 23.11.2006)