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STANDARD: Klimaforscher haben mittlerweile die letzten Skeptiker überzeugt, dass der Mensch nachhaltig für die Erderwärmung verantwortlich ist und fatale Folgen drohen. Was bleibt Ihnen und Ihren Kollegen noch zu tun?

Kirchengast: Da bleibt noch mehr als genug Forschung zu leisten. Bei uns am Wegener Zentrum in Graz arbeiten Wissenschafterinnen und Wissenschafter aus verschiedenen Bereichen wie Meteorologie, Geophysik, Geografie und Volkswirtschaftslehre zusammen, um besser zu verstehen, welche Folgen der Klimawandel hat, wie wir uns - auch konkret in Österreich - darauf vorbereiten und was wir dagegen tun können. Wir spannen mit unseren Forschungen damit die Brücke zwischen dem, was in der Natur passiert, und dem, was das auf gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ebene bedeutet. Und diese interdisziplinäre Zusammenarbeit bewährt sich sehr.

STANDARD: Beginnen wir mit dem, was in der Natur passiert. Wie stark ist Österreich überhaupt vom Klimawandel und der Erderwärmung betroffen?

Kirchengast: Stark. Die Temperatur ist bei uns in den vergangenen Jahrzehnten um einiges mehr gestiegen als im globalen Durchschnitt. Das ist durch neue Untersuchungen ganz eindeutig belegt. Vor allem in Südösterreich ist der Temperaturanstieg besonders bemerkenswert. Und über die Jahreszeiten hinweg betrachtet sind insbesondere der Sommer und der Herbst stark betroffen.

STANDARD: Woran liegt das?

Kirchengast: Österreich befindet sich in einer klimatischen Übergangszone nördlich und südlich der Alpen. Hier treffen mediterrane und kontinentale Klimazonen aufeinander, und das macht unser Land klimatisch besonders verwundbar. Wir sind anfällig für extreme Wetter- und Klimaereignisse, und die werden in den nächsten Jahrzehnten sicher zunehmen.

STANDARD: Welche volkswirtschaftlichen Folgen wird der Klimawandel in Österreich haben?

Kirchengast: Zum einen wird das Schadenspotenzial durch diese Extremereignisse weiter steigen. Zum anderen wird die weitere Erwärmung zu zahlreichen Veränderungen in den natürlichen Gegebenheiten des Landes führen: Mehr Dürreperioden und Rückgang der Bodenfeuchtigkeit, Abschmelzen der Gletscher und Auftauen von Permafrost, geringere Dauer der Schneedecken und vieles mehr. Volkswirtschaftlich wird sich das insbesondere auf die Land- und Forstwirtschaft, auf den Tourismus, die Energiewirtschaft und die Versicherungsbranche auswirken. Aber auch die Infrastruktur des Landes und unser Gesundheitssystem sind mitbetroffen.

STANDARD: Können wir dagegen überhaupt etwas tun?

Kirchengast: Jede Menge. Es gibt genügend Möglichkeiten, sich darauf einzustellen. Auf der einen Seite geht es darum, sich auf die veränderten klimatischen Bedingungen vorzubereiten und auch z. B. Infrastrukturen entsprechend anzupassen. Was einiges kosten wird, aber Nichtstun kostet viel mehr. Auf der anderen Seite bietet der Klimawandel Herausforderungen und Chancen durch die Reduzierung der Treibhausgasemissionen, von denen Österreich wirtschaftlich und technologisch sogar stark profitieren könnte.

STANDARD: Wie ist das zu verstehen?

Kirchengast: Ganz einfach: Der globale Klimawandel verlangt auch nach neuen technologischen Lösungen, etwa im Bereich der Energieerzeugung, der Energieeffizienz oder des Verkehrs. Ein Beispiel: Zurzeit beträgt das Verhältnis zwischen fossiler und erneuerbarer Energie in Österreich etwa vier zu eins. Das kann und sollte man bis zum Jahr 2025 oder 2030 umkehren - wozu es entsprechende Technologien braucht, die viel neue Wertschöpfung bringen.

In den vergangenen Jahren feierte die Atomkraft eine Renaissance, gerade als "saubere" Energieform, die uns noch dazu von Öl- und Gasimporten unabhängig machen würde. Sollte man diesbezüglich nicht auch in Österreich umdenken?

Kirchengast: Nein. Und dieses "Nein" hängt in erster Linie damit zusammen, dass Energie aus Kernkraftwerken neben den bekannten Risiken wahnsinnig unökonomisch ist. Kernenergie ist hoch subventioniert und bindet sehr viel Kapital am Energiemarkt, das man viel besser nützen könnte. Man sollte daher europa- und auch weltweit beginnen, die Atomkraft langsam abzustellen und sich auf einen anderen Energiemix umzustellen. Wenn der Energiemarkt erst einmal fair aufgemischt ist, dann haben auch erneuerbare Energieformen eine echte Chance, die Weltmarktführer der Zukunft zu werden. Gerade da gibt es ein enormes wirtschaftliches Potenzial - und Österreich hätte hervorragende Voraussetzungen, das zu nützen.

STANDARD: Warum "hätte"?

Kirchengast: Weil Österreich bisher massiv unter seinen Möglichkeiten blieb. Wir sind in vielen Technologiebereichen wie den Bioenergien oder der Solarenergie grundsätzlich sehr gut aufgestellt. Aber die gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür waren und sind viel zu wenig beherzt - etwa im Vergleich zu Deutschland und zum Teil sogar zu China. Es gibt noch viel zu wenig Anreize aus der Wirtschafts- und Technologiepolitik, auch der Energie- und Verkehrspolitik, Klimaschutz als eine treibende Kraft für zukünftiges Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum zu nützen. Die könnte er aber sein.

STANDARD: Warum passiert da so wenig?

Kirchengast: An der Bevölkerung liegt es nicht. Bei zahlreichen Vorträgen und Diskussionen auf lokaler Ebene in Gemeinden erlebe ich, dass die Leute bereit und offen sind, die Herausforderung Klimawandel auch als Chance zu begreifen, etwas zu verändern. Und es gibt in Österreich viele vorbildliche Initiativen auf lokaler Ebene - wie zum Beispiel die Energiestadt Güssing, um nur eine willkürlich herauszugreifen.

STANDARD: Kann man mit solchen lokalen Maßnahmen überhaupt etwas - auch global - bewirken? Haben wir überhaupt Möglichkeiten zur Gegensteuerung, wenn sich in den anderen Ländern nichts ändert?

Kirchengast: Wichtig ist, dass man die verschiedenen Ebenen - also die lokale, nationale, europäische und die globale - auf keinen Fall gegeneinander ausspielt: Österreich ist uneingeschränkt handlungsfähig und kann zu Hause und international viel für den Klimaschutz tun, gerade in den Bereichen Energie und Verkehr. Und beherztes Handeln jetzt ist entscheidend. Denn das, was in den nächsten zwei, drei Jahrzehnten in Sachen Klimaschutz passiert oder eben nicht, entscheidet über das Klima der nächsten zwei, drei Jahrhunderte. (Klaus Taschwer, DER STANDARD Printausgabe, 18.11.2006)