Standard-Redakteurin Irene Brickner (Mi.) diskutierte mit Wissenschafter Gerd Sammer, SP-Stadtrat Rudi Schicker, dem für VP-Umweltminister Josef Pröll eingesprungenen Werner Wutscher und Georg Rebernig vom Umweltbundesamt (v. li.).

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Wien - "Visionäre Politiker braucht das Land," stellte eine sichtlich desillusionierte Dame aus dem Publikum gegen Ende der dienstagabendlichen Standard-Debatte zum Thema "Autohölle Ost" im Wiener Haus der Musik fest.

Gibt es Alternativen im Verkehr

Die Fragestellung, "Gibt es Alternativen im Verkehr?", war schließlich durchaus als Appell an das visionäre Vorstellungsvermögen der geladenen Diskutanten aus Wissenschaft, Politik und Verwaltung gedacht. Diese beschränkten sich aber hauptsächlich auf allgemein gefasste Wunschziele, das einhellige Bekenntnis zu einem besseren Öffi-Angebot und mehr Radverkehr als Alternativen zur Verkehrshölle - Maßnahmen, die angesichts der derzeitigen Prognosen ohnehin unumgänglich sind.

90-prozentiges Wachstum des Regionalverkehrs

Dem vom Wiener Verkehrsstadtrat Rudi Schicker (SP) angepeilten Ziel, den Anteil des motorisierten Individualverkehrs am Verkehrsaufkommen zu senken (siehe Wissen), stehen düstere Trends entgegen, wie Gerd Sammer, Leiter des Instituts für Verkehrswesen an der Universität für Bodenkultur prognostiziert: Aufgrund des Straßenausbaus und der Zersiedelung am Stadtrand sei künftig ein bis zu 90-prozentiges Wachstum des Regionalverkehrs in Richtung Wien zu erwarten, das bei Gegensteuerung auf 30 Prozent reduziert werden könnten. Wobei die Prognosen als Ausgangslage für die Planung "in den letzten 20 Jahren alle zu vorsichtig" gewesen seien.

Psychologie nach Technik

Auch die Umweltziele könnten ohne entsprechende Maßnahmen nicht erreicht werden, ergänzte Georg Rebernig, Geschäftsführer des Umweltbundesamtes, mit Verweis auf regelmäßige Grenzwertüberschreitungen bei Feinstaub und Stickoxiden.

"Wir haben uns zu wenig um den sozialen Kontext und Bewusstseinsbildung bei den Konsumenten gekümmert," gestand Werner Wutscher, Generalsekretär im Umweltministerium, der Minister Josef Pröll (VP), der kurzfristig absagte, vertrat. Rein technische Maßnahmen würden nicht ausreichen. "Erst muss die Technik funktionieren, dann kann man mit Psychologie kommen," hielt Schicker dagegen. Gerade Pendler würden sofort auf notorisch verspätete Regionalzüge oder Benzinpreissteigerungen reagieren.

Benzinpreisplus

"Autofahren ist viel zu billig," konstatierte Sammer: "Wenn wir Kostenwahrheit herstellen wollen, die auch die negativen Auswirkungen des Autoverkehrs auf Umwelt und Gesundheit berücksichtigt, müsste es einen Zuschlag von drei Euro pro Liter Treibstoff geben". Nur dann könnten auch Straßenprojekte wie der umstrittene Regionenring hinterfragt werden.

Kritik an Autobahnring

Der geplante Autobahnring und insbesondere der Abschnitt, der in einem Tunnel unter dem Naturschutzgebiet Lobau verlaufen soll, stieß bei den im Publikum stark vertretenen Bewohnern des Wiener Umlands auf heftige Kritik. "Warum lässt man die Bürger um jedes Stück Grün kämpfen?" fragte eine Frau aus Groß Enzersdorf, die in Sichtweite des Turms wohnt, aus dem die Abgase des Lobau-Tunnel an die Oberfläche geblasen werden sollen.

Geld für öffentlichen Nahverkehr

Vielmehr müsste mehr Geld in den öffentlichen Nahverkehr an den Stadtgrenzen gesteckt werden, plädierte ein anderer Groß Enzersdorfer für die Einrichtung einer "Öffinag", die analog zur Asfinag die Öffis aus einem Topf finanzieren sollte. Pendler seien mit wenigen heillos überfüllten Bussen konfrontiert, die einen Verzicht aufs Auto nicht gerade schmackhaft machen.

Konkurrenzkampf zwischen Speckgürtel und Zentrum

Der Konkurrenzkampf zwischen Speckgürtel und Zentrum spielt auch eine Rolle in der unendlichen Debatte um eine City-Maut. Eine auf das Zentrum beschränkte Maut wäre für das Umland nicht optimal, erklärte Wissenschafter Sammer. Eine flächendeckende, kilometerabhängige PKW-Maut wäre hingegen zu empfehlen. Das ging City Maut-Gegner Schicker dann doch zu weit. "Wir werden in zehn Jahren genauso dasitzen, weil keiner der Handelnden den Mumm hat, eine Richtungsänderung durchzuführen," lautete das Fazit aus dem Publikum. (Karin Krichmayr, DER STANDARD Printausgabe 21.9.2006)