Zur Person

Sipan Seedek ist nun seit fast einem Jahr in der Kurdistan Region im Handel und Marketing tätig und war zuvor Leiter des Informationsbüros der kurdischen Regionalregierung in Wien.

Foto: Regine Hendrich

Nachdem Massoud Barzani, der Präsident der autonomen Region Kurdistan, verordnete, dass die alte irakische Fahne in den Provinzen Suleimaniya, Dohuk und Erbil nicht mehr vor offiziellen Gebäuden gehisst werden darf, mahnte die US-Botschaft und zur Wahrung der territorialen Integrität des Landes.

Barzani sprach darauf von einer möglichen Abspaltung der Kurdengebiete. Präsident Talabani, selbst Kurde, hat sich dafür ausgesprochen, die Nationalflagge, die viele Iraker an die Saddam-Diktatur erinnert, so bald wie möglich zu ändern (derStandard.at berichtete). Sipan Sedeek berichtet im E-Mail-Interview mit Berthold Eder über die aktuellen Entwicklungen in der Autonomieregion im Nordirak.

derStandard.at: Was steckt hinter dem Fahnenstreit?

Sipan Sedeek: In Erbil wurde die irakische Fahne seit 1992, also auch unter Saddam Hussein, nicht mehr gehisst. Das IGC (Iraqi Governing Council) hatte 2004 dafür gestimmt, eine neue irakische Flagge zu schaffen, die das ganze irakische Volk repräsentiert. Daraufhin wurde die zuletzt gültige Fahne von 1958 bis zur Findung einer neuen Flagge anerkannt. In der Kurdistan Region wird zu offiziellen Anlässen, wie zum Beispiel bei der Iraq Rebuild Messe in Erbil diese alte irakische Flagge zusammen mit der Fahne der Kurdistan Region gehisst.

Massoud Barzani hält eine Pressekonferenz. Im Hintergrund die irakische Fahne von 1958, die kurdische Flagge und ein Porträt seines Vaters Mustafa Barzani, des Gründers der Kurdischen Demokratischen Partei.

derStandard.at: Sie haben im derStandard.at-Interview im April des Vorjahres die Möglichkeit eines Referendums über die Einbindung weiterer Kurdengebiete in die Autonomieregion erwähnt. Ist die Abhaltung dieses Referendums, das auch die Ölstadt Kirkuk betreffen würde, in absehbarer Zeit zu erwarten?

Sedeek: Das Kurdengebiet im Nordirak umfasst etwa 80,000 Quadratkilometer. Davon befindet sich etwa die Hälfte innerhalb der verfassungsmäßig anerkannten Grenzen der föderalen Kurdistan Region. Die kurdischen politischen Parteien im Irak haben nie verheimlicht, dass sie sich vehement dafür einsetzen werden, dass folgende Schritte realisiert werden:

  1. Rückgängigmachung der Zwangsumsiedlungen in den Kurdengebieten außerhalb der Kurdistan Region
  2. Die Abhaltung einer Volkszählung in diesen Gebieten, und
  3. schließlich ein Referendum, indem die Bevölkerung selbst entscheidet, ob sie an die Kurdistan Region angeschlossen werden oder in ihren jetzigen Bundesländern bleiben will.

Die Kurden verlangen also mit diesen Forderungen lediglich, was 2004 im Artikel 58 des TAL (Transitional Administration Law) verankert und in der neuen Verfassung des Iraks festgelegt wurde. Laut Verfassung müssen bis Ende 2007 diese drei Phasen abgeschlossen sein.

derStandard.at: Anfang September hat der Gemeinderatsvorsitzende von Khanaqin angekündigt, seine Stadt wolle sich der kurdischen Autonomieregion anschließen. Das Saddam-Regime hat in den 1970er Jahren in Kirkuk und Khanaqin Araber aus dem Süden angesiedelt und 100.000 Kurden vertrieben, um dadurch die Mehrheitsverhältnisse in der ölreichen Region zu verändern. Gibt es Probleme zwischen der kurdischen Bevölkerungsmehrheit und den unter Saddam angesiedelten Arabern?

Sedeek: Die Städte Khanaqin, Schechan, Makhmur (die letzteren zwei gehören zu Mosul Governorate) sind quasi problemfrei. Obwohl sie offiziell nicht zur Kurdistan Region gehören arbeitet man in jeder Hinsicht (Wirtschaft, Sicherheit, Administration) eng mit Erbil zusammen. Man wartet praktisch wirklich nur noch auf die gesetzlichen Schritte, um an die KR angeschlossen zu werden. Die meisten angesiedelten Araber wollen auch selbst zurück in ihre Heimat, weil viele auch Opfer der ethnischen Säuberungen Saddam Husseins waren.

derStandard.at: Wie ist das Verhältnis zwischen der kurdischen Bevölkerung und den in letzter Zeit zugewanderten Irakern?

Sedeek: Viele Araber aus den anderen Teilen des Iraks sind in die Kurdistan Region geflüchtet (wer hätte noch vor 3 Jahren an so ein Szenario geglaubt?), um dort vom relativen Wohlstand, dem Boom, der relativen Freiheit und vor allem der Sicherheit zu profitieren bzw. zu genießen. Kurden waren und bleiben ein gastfreundliches Volk und die Region ist offen für alle Iraker.

Nur wenn Araber systematisch angesiedelt werden um die Demographie zur Gunsten der Araber zu ändern, dann sind die Kurden und ihre Führer verständlicherweise vorsichtig und stellen sich dagegen. Die rund 4000 arabischen Familien, die bis jetzt aufgenommen wurden, viele von ihnen Ärzte, die Gemeinschaftskliniken in Erbil oder Dohuk aufmachen, oder Ingenieure, die in Regionalministerien Arbeit finden, haben sprichwörtlich einen "Safe Haven" für sich gefunden.

derStandard.at: Die iranische Armee hat im August kurdische Ortschaften im Norden des Iraks mit Artillerie und Katjuscha-Raketen beschossen. Teheran begründet die Angriffe mit Angriffen kurdischer Rebellen vom Irak aus auf iranisches Territorium. Auch die türkische Regierung bezeichnet die nordirakischen Kurdengebiete immer wieder als Rückzugsgebiet der PKK. Schafft es kurdische Regionalregierung, sich aus den Konflikten in den Nachbarländern herauszuhalten?

Sedeek: Bis jetzt ja. Die erwähnten Zwischenfälle wurden in den westlichen Medien wie so oft sehr übertrieben und die kurdische Führung hat lange Erfahrung mit diesen beiden Ländern und kennt die ganze Problematik. Eine Gefahr besteht dann, wenn die Türkei oder der Iran unbedachte Aktionen setzten und große militärische Operationen auf irakischem Gebiet (innerhalb der Kurdistan Region) durchführen. Dann wird die kurdische Regionalregierung höchstwahrscheinlich nicht mehr nur zuschauen.

derStandard.at: Während die Wirtschaft in weiten Teilen Iraks nicht recht in Schwung kommt, erleben die kurdischen Städte einen regelrechten Boom. Wie entwickeln sich die Auslandsinvestitionen?

Sedeek: Kürzlich (vonm 14.-17.September 2006) fand die dritte Iraq Rebuild Konferenz und die zweite Erbil international Fair in der Kurdistan Region statt. Über 200 Firmen aus mehr als 25 Ländern sind vertreten und es werden doppelt so viele Teilnehmer für die DBX fair in Suleymanieh im November dieses Jahres erwartet.

Eine südkoreanische Wirtschaftsdelegation war auf Einladung eines Wirtschaftsverbandes vor einer Woche in Erbil und hat zugesagt 120 koreanische Firmen für eine Ländermesse, noch vor Ende dieses Jahres, in die Region zu bringen. Eine 350 Millionen schwere Zementfabrik wird mit Weltbank Geldern und privaten Investoren aus den Golfstaaten gebaut. Weitere Großinvestoren haben nach Verabschiedung des neuen Investmentgesetzes durch das Regionalparlament Projekte in Erbil, Dohuk und Suleymanieh gestartet.

derStandard.at: Viele ausländische Firmen wickeln ihre Geschäfte im Irak über Niederlassungen in der Autonomieregion ab. In Erbil und Suleymanieh wurden neue Flughäfen eröffnet, um den Reisenden die Zwischenlandung in Bagdad zu ersparen. Wie entwickeln sich die internationalen Verbindungen?

Sedeek: Nach Erbil oder Suleymanieh kann man derzeit aus Beirut, Amman, Damaskus, Istanbul, Teheran, Dubai, Stockholm, Frankfurt und anderen Destinationen direkt fliegen.

Der neue Flughafen von Suelymanieh

Die AUA hat ein Büro in Erbil und wird hoffentlich bald die erste europäische Fluglinie sein, die den Irak wieder anfliegt. Seit Monaten ist der Begriff "The other Iraq" für die Kurdistan Region international im Gebrauch. Die Regionalregierung ist derzeit mit einer Kampagne im Ausland unterwegs um "the other Iraq" zu bewerben.

derStandard.at: Könnte man die Entwicklung in den Kurdengebieten als Musterbeispiel für einen demokratischen Irak bezeichnen?

Sedeek: Die Kurdistan Region hat durch ein Mehrparteiensystem, ein sekuläres Selbstverständnis und eine Form von freier Marktwirtschaft die Basis für eine Entwicklung gesetzt, die viele Beobachter zu der Einschätzung veranlasst, dass sie der Beweis dafür ist, dass es im "Middle East" noch Hoffnung gibt. Die Gegebenheiten hier sind allerdings wegen unterschiedlicher Kulturen, Mentalitäten, und Geschichte mit denen in den anderen Teilen des Irak nicht zu vergleichen.

Schon gar nicht kann man, meiner Meinung nach, von diesen Entwicklungen auf irgendeine Entwicklung im restlichen Irak schließen. Wir hoffen alle, dass der Rest des Iraks so schnell wie möglich befriedet wird und sich schnell nach Vorne entwickelt. Was sich politisch und wirtschaftlich in den letzten Jahren in der Kurdistan Region des Iraks abgespielt hat, ist in meinen Augen unvergleichlich.