Pflegebedürftig, aber aktiv im Leben. Die Hausgemeinschaften des Evangelischen Diakoniewerks als individueller Lichtblick in der heimischen Pflegemisere.

Foto: DER STANDARD/Rohrhofer
Dunkle Gänge, kleine Zimmer, kaum Ansprache und das Großküchen-Essen am Plastikteller - vom "Worst Case"- Pflegeheimszenario ist man im Haus für Senioren in Wels weit entfernt. Zwölf pflegebedürftige Menschen meistern den Alltag in einer kleinen Wohngemeinschaft.

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Linz - "Gott erhalte, Gott beschütze . . ." - Frau Maria ist hörbar zufrieden mit sich und ihrer Lebenssituation. Seit rund einem halben Jahr ist sie Teil einer ganz besonderen Familie. Mit zwölf "WG-Kollegen" lebt die 95-Jährige in einer Hausgemeinschaft im Haus für Senioren des Evangelischen Diakoniewerks in Wels.

Das Konzept der Hausgemeinschaften, realisiert wurde ein ähnliches Projekt auch in Graz, geht von einem eher ungewöhnlichen Pflegeansatz aus. "Pflege und Betreuung stehen bei uns an zweiter Stelle, in erster Linie sollen die Menschen bei uns gemeinsam leben", erläutert Hausleiter Peter Kumar-Gubo dem Standard.

Die Bewohner würden Unterstützung bei Bedürfnissen bekommen, die sie von sich aus äußern. "Alte Menschen wollen ihre Ruhe. Die haben alle ihr Leben nach eigenen Vorstellungen gelebt, und wenn sie krank sind, gibt es plötzlich tagtäglich lustige Trommelgruppen oder Seidenmalkurse - völlig absurd. Unsere Bewohner gestalten den Alltag selbst", so Kumar-Gubo. Dieses hohe Maß an Selbstbestimmung erstaunt beim ersten Blick auf die Klientel.

Begleitet werden nämlich in der Welser Senioren-WG vor allem Bewohner mit einem sehr hohen Pflegebedarf. Das Konzept scheint zu funktionieren, da der Status der Krankheit als gegeben hingenommen und in den Alltag eingebaut wird.

"Wir haben zum Beispiel eine Demenz-Patientin, die früher auf einem großen Bauernhof gelebt hat und viel Wäsche gewohnt war - krankheitsbedingt lebt sie jetzt wieder in dieser Zeit, blüht aber als unsere WG-Büglerin auf", freut sich der Leiter. Jeder der WGler habe so seine ganz individuelle Aufgabe bekommen. Ein WG-Platz koste im Übrigen nicht mehr als andere Heimplätze.

Alltagsmanager

Vom typischen Heimcharakter mit langen, dunklen Gängen hat man sich in Wels verabschiedet, kleine Wohneinheiten sichern ein WG-Gefühl. Zentraler Punkt ist die so genannte "Feuerstelle", wo gekocht und gespeist wird. "Bei uns sitzen die Bewohner nicht ab 9.00 Uhr mit Messer und Gabel stundenlang vor der Großküche.

Wir kochen jeden Tag gemeinsam", so Kumar-Gubo. Auch für pflegebedürftige Personen sei es noch "ein Erlebnis, wenn sie einen Knödelteig kneten oder der Duft vom frischen Apfelstrudel durch die WG zieht". Geschaffen wurde mit der neuen WG auch ein völlig neues Berufsbild: Statt der Pfleger begleiten "Alltagsmanager" die Senioren durch ihren Lebensabend. (Markus Rohrhofer/DER STANDARD, Printausgabe, 12./13. August 2006)