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derStandard.at: Wie lässt sich das Phänomen Stress erklären? Woher kommt der Begriff?

Remmel: Der Stressbegriff kommt aus der Materialforschung. Stellt man auf eine Metallplatte, deren Qualität man überprüfen möchte eine Last, biegt sie sich durch. Wenn die Last noch größer wird, bricht sie irgendwann. Abhängig davon wie robust oder widerstandsfähig die Platte ist, hält sie dieser Belastung unterschiedlich lange stand. Dieses Konzept wurde von Hans Seyle 1947 in die Biowissenschaften übertragen und Stress wurde als Ungleichgewicht zwischen körperlichen oder seelischen Belastungen einerseits und der Widerstandsfähigkeit oder Robustheit andererseits definiert.

derStandard.at: Es gibt positiven und negativen Stress, so genannten Eu- und Dystress. Was ist der Unterschied?

Remmel: Bei psychischem Stress habe ich eine erhöhte Belastung und bin nicht in der Lage dieser standzuhalten. Diese Belastung kann entweder eine negative sein, verursacht durch Anspannung, Überforderung, Arbeitsbelastung, viele Termine, unterschiedliche Anforderungen oder Herausforderungen. Es kann aber auch sein, dass ich durch so genannte positive Ereignisse belastet bin. Zum Beispiel wenn ich heirate, kann es sein, dass das ein an sich fröhliches Ereignis ist, aber dass mich die besondere Situation überfordert. Oder wenn ich in den Urlaub fahre kann es sein, dass ich durch verschiedene Dinge überwältigt bin.

derStandard.at: Welche Stress-Symptome gibt es? Wie wirkt sich Stress in diesem Ungleichgewicht aus?

Remmel: Symptome können Müdigkeit, Depressivität, Unruhe, Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen oder vermehrte Infektanfälligkeit sein. Es gibt auch soziale Auswirkungen. Menschen ziehen sich zurück, vermeiden bestimmte Situationen, beteiligen sich nicht mehr an Einladungen oder sind nicht mehr bereit zusätzlich Verantwortung zu übernehmen.

derStandard.at:Welche Möglichkeiten gibt es mit Stress umzugehen?

Remmel: Erstens gibt es die so genannte Achtsamkeit basierte Stressreduktion, auch Monitoring genannt. Wenn ich unterschiedliche Bewusstseinsinhalte habe, Gedanken, Gefühle, körperliche Unruhe, körperliche Empfindungen, besteht häufig das Risiko, dass ich mich mit diesen Eindrücken identifiziere. Zum Beispiel ich bin depressiv und denke das hört nie wieder auf. Achtsamkeit bedeutet, dass ich in eine Haltung komme, wo ich sehe, das was im Moment ist, ist nur gegenwärtig und ich kann etwas daran ändern, mich auch innerlich davon distanzieren. Das kann man mit Hilfe von Techniken wie Meditation oder Atemübungen trainieren. Man merkt dabei, dass körperliche und seelische Anspannung modifiziert werden kann und nicht auf einem Niveau bleibt.

Als kognitive Technik kann man auch lernen, dass Stress etwas mit der Bewertung von Situationen zu tun hat. Das ist ein sehr wichtiger Punkt in der Stressforschung. Nicht die objektiven Belastungen sind wichtig, denn zwei Menschen erleben dieselbe Situation nicht identisch und auch nicht den Stress. Das hängt von subjektiven Wahrnehmungen und Bewertungen ab. Menschen in Stress-Situationen katastrophisieren häufig und sind nicht mehr in der Lage auf eine innere Distanz zu gehen, glauben nichts mehr beeinflussen zu können. Sie haben eigene Gedanken und Bewertungen, die den Stress noch verstärken. Wichtig ist, dass ich mir dieser Bewertung bewusst werde. Dann kann ich diese Gedanken auch entsprechend beeinflussen.

derStandard.at: Wie lernt man diese Bewertung von Situationen. Gibt es da eine Therapie?

Remmel: Wenn es sehr ausgeprägt ist, kann man eine so genannte kognitive Verhaltenstherapie machen. Diese ist darauf ausgerichtet, dass ich selber erkenne, mit welchen Grundannahmen, Denkmustern ich durch die Welt gehe. Zum Beispiel ich muss immer perfekt, der Beste sein, es allen recht machen, ich darf nie nein sagen, ich muss alle Aufgaben sofort übernehmen. Diese erlernten Denkmuster, die zusätzlich zu Stress führen können, lernt man zu identifizieren. Sind diese Grundannahmen realistisch? Helfen sie mir in meinem Leben glücklicher, zufriedener zu sein? Diese Muster überprüfe ich und kann sie durch geeignetere ersetzen.

derStandard.at: Was macht man im Urlaub, wenn man sich abrupt entspannen soll?

Remmel: Kurzfristig können verschiedene Dinge helfen: Eine wichtige Grundhaltung wäre: Urlaub ist zwar eine wichtige Zeit, aber man sollte nicht zu hohe Erwartungen haben. Man sollte versuchen andere Erfahrungen zu machen aber nicht das Gefühl haben das zu müssen. Der Urlaub sollte eine Zeit frei von äußeren Belastungen sein. Das heißt ich nehme kein Handy, keinen Laptop, keine Arbeit mit, sondern lasse mich auf eine neue Zeitstruktur ein. Ich versuche auszuschlafen, spazieren zu gehen, die Zeit anders zu gestalten.

Der Urlaub sollte nicht von der ersten bis zur letzten Stunde verplant sein. Ich versuche auch dem Anderen einmal zuzuhören, nicht nur Programm zu machen. Die freie Zeit bietet Möglichkeit zur Kommunikation mit der Familie. Wichtig ist eine dosierte Aktivität, nicht am Strand liegen und sich 14 Tage grillen lassen ist Erholung. Die Energie von Hundert auf Null herunterzufahren geht nicht. (Das Interview führte Marietta Türk)