Zur Person

Heinz Loquai, Brigadegeneral a.D., leitete von 1990 bis 1994 das Zentrum für Verifikation, das die mit dem früheren Warschauer Pakt geschlossenen Abrüstungsverträge überprüfte und war bis 2000 als militärischer Berater bei der deutschen OSZE-Vertretung in Wien für das Kosovo zuständig.

Er verfasste zwei Bücher über die Hintergründe der Jugoslawien-Kriege: "Der Kosovo-Konflikt. Wege in einen vermeidbaren Krieg" (2000) sowie "Weichenstellungen für einen Krieg" (2003). Beides sind Studien aus dem Inneren des Militärapparates. Sie beschäftigten sich unter anderem mit dem sogenannten "Hufeisenplan", der als Legitimation der NATO- Bombardements diente.

Foto: derStandard.at/hager

Am 9. Juli hat in der Demokratischen Republik Kongo die Stationierung von 1.500 europäischer Soldaten begonnen, die für die Sicherheit der Präsidentschaftswahlen sorgen sollen. Zusätzlich dazu werden in Gabun 500 Verstärkungskräfte abgestellt. Das Aufgebot umfasst neben 780 deutschen und 850 französischen Soldaten auch Militärs aus Polen, Spanien, Portugal und Österreich.

Der deutsche Brigadegeneral a.D, Heinz Loquai, sieht diesem Einsatz weniger neokoloniale Aspirationen sondern vielmehr eine wichtige politische Rolle im Aufbau der Demokratie. Im Interview mit Christa Hager betont Loquai unter anderem die Begrenzung sowie den Abschreckungscharakter des Einsatzes, die Notwendigkeit einer gegenseitigen Wertschätzung sowie die klaren Regeln, die bestimmen, wann die Truppe befugt ist, zur Waffe zu greifen.

derStandard.at: Ist der Einsatz der Europäischen Union in der Demokratischen Republik Kongo als Anfang einer Militarisierung der EU-Afrika Politik zu sehen oder als die Erweiterung einer schon bestehenden?

Heinz Loquai: Ich finde nicht, dass dieser Einsatz die Afrika-Politik der Europäischen Union militarisiert. Der Zweck des Einsatzes ist es ja, die demokratischen Wahlen abzusichern und ich glaube, dass es legitim ist, einem Land, das nach langer Zeit wieder demokratische Wahlen organisiert, auf dessen Bitte hin Militär zu schicken, um mögliche Störer zu verhindern.

Es handelt sich um ein politisches Ziel, das mit militärischen Mitteln realisiert werden soll. Hier spielt die Europäischen Union eine wichtige Rolle und der Militäreinsatz ist so begrenzt, dass man nicht von einer Militarisierung der EU- Politik sprechen kann.

derStandard.at: Er soll ja auf vier Monate begrenzt sein. Ist das realistisch?

Loquai: Der Einsatz ist in vielerlei Hinsicht begrenzt, nicht nur zeitlich: durch die Anzahl der Soldaten, der Mittel der Soldaten, und regional. Das Militär arbeitet auch nicht allein, denn es sind ja auch noch Polizeibeamte dort, mit denen es zusammenarbeiten muss.

derStandard.at: Einerseits heißt es, dass Präsident Joseph Kabila nicht die EU-Truppe, sondern traditionelle Partner wie Angola oder Namibia als Helfer gewünscht hätte. Auch Südafrikas Verteidigungsminister betonte, dass die SADC sehr wohl für Sicherheit während der Wahlen sorgen könnte. Darauf bezieht sich eine oft genannte Kritik: dass an die koloniale Vergangenheit vieler am Einsatz beteiligter Länder angeknüpft wird, um gewisse Interessen zu wahren, um Einflusssphären zu schützen.

Loquai: Die Europäische Union hat sich nicht aufgedrängt. Wenn andere afrikanische Staaten bereit gewesen wären, in einem befriedigenden Ausmaß die Absicherung der Wahlen zu garantieren, würde die Europäische Union sicherlich keine Soldaten entsenden. Alles was ich gehört und gelesen habe zeigt, dass der jetzige Präsident sehr wohl damit einverstanden ist, dass die Europäische Union dort tätig wird.

Zudem ist es wichtig, dass die europäischen Soldaten eine gewisse Wertschätzung erfahren. Sie kommen nicht als Kampfmaschinen dorthin, sondern von ihrem äußeren Erscheinungsbild her eher als Beobachter, die nur im äußersten Fall eingreifen. Die Anwesenheit dieser EU-Soldaten soll vor Gewalt abschrecken. Diese Kombination zwischen Anerkennung und Wertschätzung aber auch Überzeugung, dass sie ihren Auftrag erfüllen werden, ist die richtige Mischung.

derStandard.at: Einerseits Abschreckung, andererseits hat der Einsatzleiter des europäischen Expeditionskorps, General Viereck, auch mit "tödlicher Gewalt" gedroht, wenn es Widerstand gegen die EU-Truppe geben sollte, Kindersoldaten mit eingeschlossen. Solche Aussagen sind für eine Wertschätzung nicht gerade förderlich.

Loquai: Die Aussage von General Viereck wird viel zu sehr in den Vordergrund gestellt. Diese Truppe wird klare „Rules of Engagement“ haben. Das heißt, klare Regeln, die bestimmen, wann sie befugt ist, zur Waffe zu greifen. Und wenn jemand auf der anderen Seite ein Gewehr auf jemanden richtet, und man annehmen muss, dass er schießen wird, dann ist das eine Sache der Notwehr, dass man es nicht dazukommen lässt. Diese Regeln sind ganz klar definiert.

Es muss deutlich sein, wenn von wem auch immer ein lebensbedrohender Angriff auf die EU-Soldaten kommt, dass jene sich zu wehren wissen. Aber das müssen nicht nur Kindersoldaten, es können genauso gut Frauen oder alte Leute sein. Ich messe dieser extremen Regel eine gewisse Bedeutung bei, aber sie ist sicherlich nicht das allgemeine Problem. Außer, es werden bewusst Kindersoldaten von interessierten Gruppen vorne weggeschickt. Aber ich denke, dass Viereck hier missverstanden wurde.

derStandard.at: Kann eine relativ geringe Anzahl an Soldaten im Vergleich zur Größe des Landes ausreichen, falls es zu Problemen kommen sollte. Die wirklichen Auseinandersetzungen finden ja im rohstoffreichen Osten statt, wo die UN-Truppen stationiert sind. Geht es nur um Wahlsicherung, oder stecken nicht auch andere Interessen dahinter, wie die der Ressourcen?

Loquai: Ich würde das eher so interpretieren: Natürlich will die Europäische Union zeigen, dass sie mit militärischen Mitteln zur Stabilisierung eines solchen Landes beitragen kann, indem sie demokratische Wahlen absichert. Das ist legitim. Was die Anzahl der Soldaten in Kinshasa betrifft, so spielt es keine Rolle, ob es zwei oder dreihundert mehr oder weniger sind. Soweit ich die Lage kenne, ist Kinshasa der kritische Punkt: wenn dort die Wahlen ordnungsgemäß durchgeführt, und auch die Wahlergebnisse durchgesetzt werden können, hat das eine große Bedeutung weit über Kinshasa hinaus.

derStandard.at: Es gab in der Republik Kongo bereits im Vorfeld der Entsendung Widerstand gegen diesen Einsatz.

Loquai: Das ist ein gefährlicher Einsatz. Die Soldaten wissen auch, dass wenn von interessierter Seite die Absicht besteht, Ärger zu machen und Menschen gegen diese Truppe zu mobilisieren, es dann sehr schwierig wird. Ich bin überzeugt, dass es für die Europäische Union ein notwendiger Einsatz ist. Wenn eine afrikanische Regierung in dieser Situation Europa bittet, die ersten freien Wahlen nach so langer Zeit abzusichern, darf die Europäische Union nicht Nein sagen. So kann man Afrika nicht behandeln.

Auch handelt es sich dabei um einen von den Vereinten Nationen mandatierten Einsatz. Es gibt keine völkerrechtlichen Probleme, es ist alles richtig gelaufen. Nicht nur die Republik Kongo hat darum gebeten, sondern auch die UNO.

derStandard.at: Wie erklärt sich, dass Deutschland und Frankreich die größte Anzahl der Soldaten stellen?

Loquai: Es ist einigermaßen logisch, dass bei diesen kleinen Operationen die größten Länder ihren Beitrag leisten. Hinzu kommt, dass Deutschland und Frankreich innerhalb der Europäischen Union Kooperationen schon gewöhnt sind. Zudem haben beide Länder gemeinsame militärische Verbände und sind in der Zusammenarbeit schon eingespielt.

derStandard.at: Ist die Bundeswehr ausreichend ausgerüstet?

Loquai: Ich habe gehört, dass man kurze Hosen haben müsste und so weiter. Das mag schon sein.

derStandard.at: Wie erklären Sie sich die Ablehnung eines Großteils der Deutschen gegen die Entsendung dieser Truppe?

Loquai: Die deutsche Bevölkerung ist generell recht skeptisch, was den Einsatz deutscher Soldaten im Ausland betrifft. Das ist auch gut so. Man muss von der Politik verlangen, dass sie den Zweck klar begründet. Im Laufe der Zeit wurden unterschiedliche Aussagen vom Verteidigungsminister gemacht, weshalb deutsche Soldaten im Ausland eingesetzt werden. Nachdem das jetzt klar gestellt ist, hat sich die Skepsis unter der Bevölkerung sowie im Bundestag verringert.

derStandard.at: Und unter den Soldaten? Wie nehmen jene den Einsatz auf?

Loquai: Ich persönlich würde nicht in Jubel ausbrechen, wenn ich in eine Tropenregion zum Einsatz müsste. Auf der anderen Seite kann es auch ein gewisser Reiz sein, aus dem normalen Truppenalltag im Inland auf einen für manche Soldaten sicherlich interessanten Einsatz zu gehen. Die Situation ist hier sicherlich sehr unterschiedlich. Es kommt auch darauf an, ob jemand verheiratet ist oder nicht.

derStandard.at: Teilen Sie die Befürchtung, dass bei vielen Soldaten der nötige Respekt gegenüber den Kongolanern fehlen wird?

Loquai: Ich bin sicher, dass die Vorgesetzten auf allen Ebenen dafür sorgen werden, dass die Soldaten diszipliniert sind und dass sie keine chauvinistischen Maßnahmen gegenüber der Bevölkerung ergreifen werden.

derStandard.at: Sind europäische Soldaten die besseren Soldaten? Gerade in den Darstellungen der Medien?

Loquai: Ich nehme an, dass die Bundeswehr Journalisten einlädt, wenn der Einsatz begonnen hat. Und sie werden dann sicherlich nur das sehen, was die Bundeswehr will. So wird man die Berichte dann auch lesen müssen.

Auf der anderen Seite ist es aber auch wichtig, dass die Bevölkerung Informationen bekommt. Denn es gäbe auch die Möglichkeit der Informationsverbreitung durch Presseverlautbarungen des Verteidigungsministeriums oder der Bundesregierung. Aber ich bevorzuge eigenständige Berichte in den Medien.

derStandard.at: Sind weitere Einsätze in Afrika angedacht, z.B. in Darfur, wie der deutsche Verteidigungsminister Jung bereits angedeutet hat?

Loquai: Man soll nicht jetzt weiter spekulieren, wo es weitergeht. Zumal es bereits einzelne Soldaten in dieser Region gibt, als Beobachter in einer kleinen Mission. Ob es zu einem größeren Einsatz kommt, hängt von verschiedenen Faktoren ab: will das die Regierung überhaupt, geben die Vereinten Nationen ein Mandat, und gibt es begründeten Aussicht auf Erfolg. Wenn die Aussichten auf Erfolg minimal sind, dann darf ich dorthin keine Soldaten schicken.