Zur Person

Die Journalistin und OSZE-Diplomatin hat zum Thema Medien und Krieg zwei Bücher veröffentlicht: "Kriegstrommeln", welches das Spannungsverhältnis von Krieg und Kriegsberichterstattung seit dem Ersten Weltkrieg bis heute untersucht, sowie "Serbien muss Sterbien", das sich unter anderem mit der Rolle von PR-Agenturen in der Berichterstattung über Jugoslawien beschäftigt.

Foto: derStandard.at/hager

Seit dem Zerfall Jugoslawiens beruhigt sich die angespannte Situation in der serbischen Provinz Kosovo, aber auch in der Vojvodina, kaum. Mira Beham schildert im Interview mit Christa Hager neben der Rolle der Medien während der Kriege in Jugoslawien auch die anhaltenden Spannungen in Serbien durch desillusionierte Flüchtlinge, die rechtliche Situation im Zusammenhang der Statusverhandlungen des Kosovo sowie die Rolle der internationalen Gemeinschaft. Ferner sieht sie in den Kosovo-Verhandlungen die Chance, erstmals seit Milosevic den direkten Dialog zwischen Albanern und Serben wieder aufzunehmen.

derStandard.at: Ist mit der Unabhängigkeit Montenegros die Neuordnung Südosteuropas beendet oder folgt bald das Kosovo nach?

Mira Beham: Mit der Unabhängigkeit Montenegros ist ein Prozess zu Ende gegangen, der 1991 mit der Auflösung Jugoslawiens begonnen hat und als historischer Prozess auf das Jahr vor 1918 zurückführt: Zwei ehemals souveräne Staaten sind wieder souverän geworden – Serbien und Montenegro. Das ist ein wichtiger Unterschied zum Kosovo. Es ist von seinem Status innerhalb Jugoslawiens nicht mit Montenegro vergleichbar. Innerhalb der serbischen Republik gibt es die Provinz Kosovo und die Provinz Vojvodina. Daher ist das rechtlich gesehen eine ganz andere Frage.

Die Auflösung von Serbien-Montenegro war durch einen Staatsvertrag geregelt, einen solchen gibt es über das Kosovo nicht. Die einzige rechtliche Grundlage ist die Resolution des UN-Sicherheitsrates 1244, die besagt, dass die territoriale Integrität und Souveränität – damals von Jugoslawien, jetzt von Serbien – gewahrt bleibt. Ansonsten gibt es internationales Recht, es gibt die UN-Charta, die Helsinki Beschlussakte, die die Unverletzbarkeit der Grenzen und territoriale Integrität und Souveränität von Staaten garantieren.

derStandard.at: Geht es in den Verhandlungen nur um mehr Autonomie für das Kosovo?

Beham: Die serbische Position ist, dass das Kosovo innerhalb Serbiens maximale Unabhängigkeit bekommt. Das heißt, dass die Albaner dort nicht mehr davor Angst haben müssen, jemals wieder von Serben oder von Belgrad regiert zu werden. Und dass gleichzeitig Serben und andere Nicht-Albaner, die noch dort leben oder dorthin zurückkehren möchten, auch innerhalb des Kosovo eine gewisse Autonomie bekommen.

derStandard.at: Die albanische Seite sieht dies aber anders, sie fordert Unabhängigkeit.

Beham: Seitens der Albaner heißt es oft, dass das Kosovo de Facto schon unabhängig sei und gar nichts mehr mit Belgrad zu tun habe. An dieser Haltung hat die internationale Gemeinschaft den größten Anteil. Nach dem Krieg wurde die UN- Verwaltung aufgebaut und das Kosovo wurde von Anfang an wie ein separater Staat behandelt. Das war vielleicht noch unter Milosevic verständlich, aber als er gestürzt wurde, hätte man Kontakt zu Belgrad herstellen müssen.

Das ist aber weniger die Schuld der Albaner als vielmehr die Schuld der internationalen Gemeinschaft. Sie hat die größte Verantwortung dafür, dass die Verbindungen zwischen dem Kosovo und dem Rest Serbiens gekappt worden ist. Auch hätte die internationale Gemeinschaft einen Versöhnungsprozess anregen und eine Vermittlerrolle übernehmen müssen. In diesem Bereich ist nichts gemacht worden.

Die Kosovo-Verhandlungen sehe ich andrerseits jedoch als Chance. Sie sind der erste direkte Dialog zwischen Albanern und Serben aus Serbien seit Milosevic die politische Autonomie des Kosovo aufgehoben hat.

derStandard.at: Welche Rolle spielt die serbische Minderheit in den Verhandlungen?

Beham: Seit 1999, als das Kosovo unter das UN-Protektorat gestellt wurde, haben 300.000 Serben und Nicht-Albaner das Land verlassen, sind geflüchtet oder vertrieben worden, davon etwa 240.000 Serben. Von diesen sind bislang nur ca. 5.000 zurückgekehrt. Die Mehrheit wartet noch darauf, zurückkehren zu können. Die Standards der Sicherheit und Menschenrechte im Kosovo waren lange nicht so erfüllt sind, dass die Menschen zurückkehren können. Ziel der Verhandlungen ist es, durch die Dezentralisierung Bedingungen für die Rückkehr zu schaffen und nicht nur das Verbleiben derer, die noch dort sind, zu garantieren.

derStandard.at: Wie viele Serben leben noch dort?

Beham: Rund 100.000, die meisten im Norden, im Süden gibt es einige Enklaven.

derStandard.at: In der Vojvodina mehren sich serbische Übergriffe gegen die dortigen Minderheiten. Was sind die Gründe dafür?

Beham: Es gibt in Serbien noch immer eine halbe Million Flüchtlinge. Davon sind über 200.000 Binnenflüchtlinge aus dem Kosovo, 180.000 registrierte Flüchtlinge aus Kroatien und Bosnien. Fast 200.000 Flüchtlinge sind in der Zwischenzeit serbische Staatsbürger geworden und werden offiziell nicht mehr als Flüchtlinge gesehen. Unter der Flüchtlingsbevölkerung herrscht generell ein großes Maß an Frustration: Jahre nach dem Krieg ist ihr Schicksal weiter ungewiss.

Aber Spannungen zwischen der einheimischen Bevölkerung und den Flüchtlingen gibt es nicht nur in der Vojvodina, sondern auch in anderen Gebieten. Denn die ökonomische und soziale Situation ist in Serbien für alle Bevölkerungsteile grundsätzlich schwierig ist. Das Flüchtlingsproblem sorgt dabei für zusätzlichen sozialen Sprengstoff.

Dazu kommt, dass es in der Vojvodina generell eine große Zahl von Flüchtlingen gibt, die noch immer mit ungeklärtem Status und ungewisser Sicherheit leben. Es kommt zu einzelnen Übergriffen, die zum Teil aber auch hochgespielt werden. Die OSZE-Mission in Belgrad hat, was diese ethnischen Konflikte in der Vojvodina anbelangt, eine sehr zurückhaltende Einschätzung.

derStandard.at: Inwieweit spielt der serbische Nationalismus dabei eine Rolle, Konflikte weiter aufzustacheln?

Beham: Was in den vergangenen Jahren statt gefunden hat, ist eine Radikalisierung der Bevölkerung, hervorgerufen durch die Unzufriedenheit der Flüchtlinge und die Tatsache, dass sie sich ungerecht behandelt fühlen. Aber auch in anderen Teilen der Bevölkerung herrscht wegen Politik gegenüber Serbien Frustration – eine Politik, die andauernd Bedingungen stellt, die ständig Druck auf Serbien ausübt.

derStandard.at: In welchen Bereichen?

Beham: Politischer Druck, zum Beispiel im Umgang mit dem Kriegsverbrechertribunal. Den Serben wird anlastet, nicht ausreichend zusammenzuarbeiten. Die Bevölkerung, vor allem die Flüchtlinge, sehen, dass fast die gesamt serbische Führung in Den Haag sitzt, aber die Führung der anderen kriegsbeteiligten Parteien frei herumlaufen. Die Mehrheit der Serben sieht das Kriegverbrechertribunal eher als ein politisches Tribunal und versucht nicht, Gerechtigkeit walten zu lassen. Das ist ein Moment, der zu Frustrationen und Radikalisierung führt.

Auch die Suche nach Ratko Mladic ist für viele Serben nicht mehr nachvollziehbar. Viele fragen sich, wo denn die ausländischen Geheimdienste bleiben. Es wird allein auf die serbische Seite Druck ausgeübt, anstatt kooperativ zu sein. Man unterstellt, die serbische Seite könnte, aber will nicht. Ich würde sagen, sie kann nicht. Und wenn Europa ein kooperatives Verhältnis zu Belgrad haben möchte, so soll es auch in diesem Bereich helfen.

derStandard.at: Gibt es auf EU- Ebene abgesehen davon auch positive Entwicklungen?

Beham: Unter Österreichs Ratsvorsitz fand eine Prioritätensetzung in Bezug auf den Balkan statt. Zudem ist das österreichisch-serbische Verhältnis momentan sehr gut, besonders auf wirtschaftlicher und politischer Ebene. Von daher gesehen hat Österreich einen Impuls gesetzt. Dann gibt es natürlich die andere Seite der Zusammenarbeit der EU mit Belgrad, die wegen der Zusammenarbeit mit Den Haag getrübt ist.

Was das Kosovo selbst anbelangt, so wird die EU als jemand gesehen, der dort die Aufgaben der UNMIK übernimmt und diesen Teil Serbiens unter ihr Protektorat nehmen wird.

derStandard.at: Inwieweit spielen bei den Statusverhandlungen Rohstoffe eine Rolle? Kosovo verfügt ja über die zweitgrößten Braunkohlereserven Europas und über viel Kupfer.

Beham: Die Privatisierungen in Kosovo sind unter der UNMIK auf eine Art und Weise abgewickelt worden, die sowohl in Belgrad als auch unter den Serben in Kosovo zu Protesten geführt hat. Sie waren zum Teil sehr undurchsichtig: man weiß nicht, wer, was, wann und wie bekommen hat. Serbien hat bei den Verhandlungen über das Kosovo eine Revision dieses Privatisierungsprozesses gefordert, zu der es wahrscheinlich nicht kommen wird. Aber es hat auf jeden Fall seine Nicht-Akzeptanz angemeldet.

derStandard.at: Sie haben sich tiefgehend mit der Stereotypisierung von Serben in den westlichen Medien auseinandergesetzt. Die Serben seien Blockierer und Unterdrücker, heitßt es meist. Gibt es hier eine Kontinuität?

Beham: Grundsätzlich ist es schwierig, negative Images in positive umzukehren. Das liegt natürlich auch daran, dass man heute noch immer die Bilder der 90er Jahre im Kopf hat, weil in der Zwischenzeit der Balkan aus dem Brennpunkt der Weltpresse verschwunden ist. In den 90er bekamen die Serben das Image von Schlächtern und Kriegsverbrechern. Man begegnet als Serbin im Westen heute immer noch diesen Vorurteilen. Sie sitzen tief.

derStandard.at: Gehen die Wurzeln dieser Stereotypisierung nicht noch weiter zurück?

Beham: Für mich war es eine frappierende Erkenntnis, Zeitungsberichte aus dem Ersten Weltkrieg und aus den 90er Jahren zu vergleichen. Was Stereotypen und Etikettierungen anbelangt, waren sie zum Teil austauschbar. Diese Klischees haben sich teils bis heute gehalten, teils sind sie neu belebt oder auch neu geschaffen worden.

derStandard.at: Was hat sich, Medien und Krieg betreffend, seit Ihren Analysen über Jugoslawien diesbezüglich verändert?

Beham: Die wenigen Veränderungen sind technologischer Natur, aber das hat an der Berichterstattung der Medien nicht viel geändert. Wenn man jene nach den Merkmalen Feindbildkonstruktion oder Dehumanisierung des Gegners analysiert, sind alle nach wie vor voll wirksam und in ähnlicher Weise wie in den Jugoslawienkriegen und davor zu finden.

derStandard.at: Geht man von ihrer These aus, dass Medien Weichensteller und Wegbegleiter von Kriegen sind, woher kann man dann die Informationen nehmen, wenn man ein halbwegs klares Bild sucht?

Beham: Wenn man sich die Informationen der einen und der anderen Kriegpartei einholt, kann man sich ein ungefähres Bild machen. Wichtig ist eine Berichterstattung, die sich in keine Feindbildkonstruktion, in keine Kriegslogik hineinziehen und alle Seiten, auch anders Denkende, gleichermaßen zu Wort kommen lässt. Man muss viele verschiedene Meinungen zulassen können. Rein technisch gesehen bietet das Internet eine gute Möglichkeit, aber es bedarf eines "pro-aktiven" Zugangs: man muss sich hinsetzen und nach Infos suchen und wissen, wie man damit umgeht. Alles in allem ist die Suche nach einem klaren Bild leider eine sehr schwierige.