Der jugoslawische Expräsident Milosevic (li.) beim Handshake mit Milutinovic, der nun angeklagt ist. Dabei die Gattinnen Mirjana Markovic (li.) und Olga Milutinovic.

Den Haag - Vier Monate nach dem Tod des jugoslawischen Expräsidenten Slobodan Milosevic hat vor dem UNO-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ein neuer Mammutprozess zur Aufarbeitung der Kriegsverbrechen auf dem Balkan begonnen. Auf der Anklagebank sitzen seit Montag der serbische Expräsident Milan Milutinovic und fünf weitere ranghohe Militärs und Politiker: der frühere jugoslawische Vizepremier Nikola Sainovic, Generalstabschef Dragoljub Ojdanic, der Befehlshaber der für den Kosovo zuständigen Dritten jugoslawischen Armee, Nebojsa Pavkovic, sowie der einstige Kommandant des Pristina-Korps, Vladimir Lazarevic, und der Expolizeichef im Kosovo, Sreten Lukic.

Die Angeklagten müssen sich unter anderem wegen der Vertreibung von rund 800.000 Kosovo-Albanern verantworten. Außerdem wird ihnen die Ermordung hunderter Menschen, darunter Frauen und Kinder, vorgeworfen. In der Anklage werden ihnen auch sexuelle Übergriffe und die Zerstörung von Heiligtümern der Kosovo-Albaner zur Last gelegt. In der Anklageschrift heißt es, die serbischen Truppen hätten systematisch Dörfer beschossen, Häuser und Höfe niedergebrannt, Moscheen zerstört, Zivilpersonen getötet und Frauen misshandelt.

Als Beispiel für das grausame Vorgehen wird das Dorf Bela Crkva angeführt. Dort hätten sich die Männer und älteren Jungen vor den Soldaten ausziehen müssen, dann seien ihnen die Wertsachen gestohlen worden. Sie hätten sich anschließend in einem Bachbett aufstellen müssen, in dem sie niedergeschossen worden seien. Allein bei dieser Aktion seien 65 Menschen ums Leben gebracht worden.

"Die Beweise werden zeigen, dass die sechs Angeklagten Mittäter von Slobodan Milosevic bei einem verbrecherischen Unternehmen waren", sagte Ankläger Thomas Hannis zu Beginn der Verhandlung. Die Anklage trug am Montag vor allem einen Abriss über die historische Bedeutung des Kosovo und serbische Versuche vor, die dortige Zusammensetzung der Bevölkerung zu verändern. Alle Angeklagten plädierten auf nicht schuldig.

Schlüsselprozess

Der Prozess gilt nach dem Tod Milosevics als Schlüsselverfahren bei der juristischen Aufarbeitung der Verbrechen während des Kosovo-Krieges. Viele Beweise ähneln jenen, die im Milosevic-Prozess vorgebracht wurden. Vor dem UNO-Tribunal werden im Zeugenstand auch erneut viele Personen erscheinen, die im Prozess gegen Milosevic aussagten. Einer von ihnen dürfte auch der NATO-Exoberbefehlshaber in Europa, US-General Wesley Clark, sein.

Der Milosevic-Vertraute Milutinovic, von 1998 bis 2002 serbischer Präsident, ist der prominenteste der Angeklagten. Der Prozess soll innerhalb von zehn Monaten abgeschlossen werden. Damit sollen Fehler vermieden werden, die im Marathon-Verfahren gegen Milosevic gemacht wurden, das nach dessen Tod eingestellt wurde. (AP, APA, AFP/DER STANDARD, Printausgabe, 11.7.2006)