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EU-Energiekommissar Andris Piebalgs hat zwar Vertrauen in Russland, will sich aber nicht einem Monopolisten ausliefern. Die Gaspipeline "Nabucco"soll Abhilfe schaffen.

Foto: reuters/Vincent Kessler
STANDARD: Sie nehmen an der "Nabucco-Tagung" der Energieminister von Ungarn, Bulgarien, Rumänien, der Türkei und Österreich in Wien teil, in der es um die neue Erdgas-Pipeline geht, die ab 2011 Erdgas aus dem zentralasiatischen Raum über die Türkei nach Europa bringen soll. Wie wichtig ist das Projekt für die Energieversorgung der EU ?

Piebalgs: Nabucco ist extrem wichtig. Für die Gasversorgung ist es überhaupt das wichtigste Projekt in der EU. Derzeit importieren wir 50 Prozent unseres Verbrauchs. 25 Prozent bekommen wir aus Russland, aus Norwegen kommen 14 Prozent und elf Prozent kommen aus Algerien. Wir sehen gleichzeitig zwei Tendenzen: Zum einen werden die Vorräte in der Nordsee knapp, und zwar viel schneller, als wir das erwartet haben, und zweitens brauchen wir wegen dem Klimawandel mehr Gas: Beim gleichen Energiewert hat Gas 30 Prozent weniger Emissionen als Öl und 45 Prozent weniger als Kohle. Das heißt also: Wir brauchen mehr und mehr Gas, aber unsere eigene Produktion wird immer weniger.

STANDARD: Womit wir bei Russland und seiner in letzter Zeit eher unberechenbaren Energiepolitik wären.

Piebalgs: Es gibt zwei Problemfelder, die wir beachten und entschärfen müssen. Erstens: Wenn es Lieferschwierigkeiten gäbe, wer ist am Ende des Tages verwundbarer: der Lieferant oder der Verbraucher? Ich würde sagen, der Verbraucher. Der Lieferant kann immer sagen, ich habe technische Probleme. Und zweitens ist natürlich der Preis eine entscheidende Frage. Monopole führen immer zu höheren Preisen. Immer. Und man liefert sich den Monopolen ja auch aus. Gas als Energiequelle macht zuerst hohe Investitionen notwendig. Wenn ich dann erst einmal ein teures Gaskraftwerk gebaut habe, weiß mein Lieferant genau, dass ich nicht mehr so schnell auf Kohle oder Öl umsteigen kann.

STANDARD: Diversifikation beim Gas ist aber nicht so einfach.

Piebalgs: Genau. Die großen Gasvorräte finden sich im Kaspischen Meer, in Kasachstan, Aserbeidschan, Turkmenistan sowie in weiterer Zukunft vielleicht im Iran und Irak. Und hier ist die Nabucco-Pipeline für uns der einzige Transportkorridor. Andere Möglichkeiten gibt es nicht. Es ist aber nicht einfach, zu einer Einigung zu kommen. Nabucco ist essentiell wichtig für die Versorgungssicherheit der Europäischen Union. Die Versorgungssicherheit steht am Spiel. Sollte das Projekt scheitern, müssen wir unsere Energiepolitik völlig überdenken und uns fragen, welche Rolle Gas in der EU spielen soll.

STANDARD: Wie vertrauenswürdig ist der russische Monopolist Gasprom? Konzernchef Alexej Miller sagte, Gasprom werde sich eher nach Asien orientieren, wenn sich sein Unternehmen nicht in den EU-Endverbrauchermarkt einkaufen dürfe. Auf der anderen Seite ist es EU-Unternehmen aber unmöglich, sich in Russland an Gasfeldern oder gar der Gasprom zu beteiligen.

Piebalgs: Das waren sicher keine hilfreichen Bemerkungen. Dieses Kapitel ist geschlossen.

STANDARD: Können wir die Kiotoziele in der Europäischen Union noch immer erreichen? Einige Länder wie Österreich liegen weit hinter ihren Plänen.

Piebalgs: Die EU als Ganzes kann die Ziele sicher noch erreichen. Das eine oder andere Land hingegen wird die Ziele möglicherweise verfehlen. Die EU darf mit den Kiotozielen nicht scheitern, denn unsere Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel.

STANDARD: Österreich müsste in den kommenden vier Jahren seine CO2-Emissionen um fast ein Drittel kürzen, um Kioto noch zu erreichen. Ist das noch realistisch?

Piebalgs: Da sollten Sie meinen Freund Minister Bartenstein oder Ihren Bundeskanzler fragen. Ich kann nur sagen, ich vertraue, dass die Mitgliedsländer wissen, was sie unterschrieben haben und wozu sie verpflichtet sind. Es ist schlecht, ja völlig inakzeptabel, wenn ein Land seine Verpflichtungen nicht einhält. Was sollen wir denn dann in den Verhandlungen mit den USA und China sagen, wenn wir unsere eigene Glaubwürdigkeit verloren haben?

STANDARD: Kernkraft würde die EU unabhängiger von Energieimporten machen und die Treibhausgas-Emissionen verringern. Sollte es in der EU mehr Atomkraftwerke geben?

Piebalgs: Die Frage, ob man Kernenergie einsetzt oder nicht, ist politisch sehr sensitiv und sollte von den nationalen Staaten beantwortet werden. Derzeit macht der Anteil von Kernkraft an unserem Energiemix 30 Prozent aus. Die Fragen der Endlagerung des Mülls und die politische Zustimmung muss geklärt sein. Ich werde mich in diese nationalen Debatten nicht einmischen. Außerdem ist das Ja zur Atomkraft eine Langzeit-Entscheidung für einen Zeitraum von zumindest 100 Jahren. Man kann nicht ein Atomkraftwerk heute eröffnen und morgen wieder schließen.

STANDARD: Sind 30 Prozent Atomstrom in der EU genug?

Piebalgs: Ja. Das ist ganz sicher genug. (Michael Moravec, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26.6.2006)