Elisabeth Rolzhauser ist Leiterin im ÖGB-Beratungszentrum und Expertin für atypische Beschäftigungs- verhältnisse.

foto: oegb
derStandard.at: Bei den Reformwünschen an den ÖGB wurde in den letzten Tagen immer wieder eine bessere Vertretung von "atypischen Beschäftigten" genannt. Was macht der ÖGB derzeit für diese Gruppe?

Rolzhauser: Seit November 2001 gibt es die Flexpower-Beratung (Erstberatung auch für Nichtmitglieder) und die Flexpower-Versicherung nur für Mitglieder (www.oegb.at/flexpower) für freie DienstnehmerInnen und Neue Selbständige. Auf unserer Homepage gibt es zudem ausführliche Information zu den rechtlichen Bestimmungen, unter anderem die Broschüre "Bist du a-typisch?" zum kostenlosen Download.

Das klingt vielleicht trivial, ist aber wichtig - denn wir erleben es oft in der Beratung, dass freie DienstnehmerInnen und Neue Selbstständige nicht wissen, welche Bestimmungen für sie gelten (in Bezug auf die Sozialversicherung, Steuerrecht,...).

Die GPA hat mit der Interessensgemeinschaft work@flex seit einigen Jahren ein "neues" Strukturelement - Mitbestimmungsmöglichkeit innerhalb der Gewerkschaft in allen Ebenen - www.interesse.at/flex - und damit positive Erfahrungen.

derStandard.at: Wie viele "atypische" Mitglieder hat der ÖGB?

Rolzhauser: Ich kann Ihnen leider keine Mitgliederzahl dazu nennen, da in unserer Mitgliederevidenz keine Kennzeichnung - "atypische Beschäftigung" - dazu vorliegt.

Viele atypisch Beschäftigten haben zusätzlich noch mit anderen Problemen zu kämpfen (z.B.: nicht in den Betrieb eingebunden, keine gesetzliche Interessenvertretung, keine Zuständigkeit des Betriebsrates,....), sodass die Gewerkschaft die - womöglich einzige - Interessenvertretung ist. Mitglieder haben viele Vorteile von der Rechtsberatung bis hin zur Rechtsvertretung, Versicherungsleistungen, Informationen, Unterstützungen, etc.

derStandard.at: Auf der ÖGB-Homepage gibt es Daten und Analysen zu atypisch Beschäftigten, die aus dem Jahr 2002 stammen. Was ist seither passiert?

Rolzhauser: Wir beraten jährlich mehr als 1.000 freie DienstnehmerInnen und WerkvertragnehmerInnen in der Flexpower-Beratung.

Wir organisieren Veranstaltungen, Aktivitäten, etc. für atypisch Beschäftigte. Eine Veranstaltung in Kürze - 18. Mai 2006 "bist du A-tüpisch?".

Informations- und Erfahrungsaustausch, Verhandlungen bei Gesetzesinitiativen (so ist mit August 2004 verpflichtend ein Dienstzettel für freie DienstnehmerInnen eingeführt worden), es gab Verhandlungen zur Einbeziehung in die Arbeitslosenversicherung, die aber bislang zu keinem Ergebnis geführt haben, weil die Regierung nicht zu einem verpflichtenden Einbezug bereit ist, ExpertInnengespräche zur Verbesserung der rechtlichen Situation, Forderungen an die Bundesregierung und einiges mehr.

derStandard.at: Was waren die Gründe dafür, dass man sich von Seiten des ÖGB nicht schon vor der aktuellen Krise mehr um diese stetig anwachsende Beschäftigungsgruppe gekümmert hat?

Rolzhauser: Richtig ist, dass von Seiten der Gewerkschaft relativ spät auf die Entwicklungen der Atypisierung eingegangen wurde und Akzente gesetzt wurden. Dennoch gibt es seit Jahren innerhalb des ÖGB Aktivitäten dazu.

Beispiele: ÖGB-Frauen haben für die sozialrechtliche Absicherung der geringfügigen Beschäftigten Jahre lang gekämpft, 1998 gab es einen ersten Schritt mit der Möglichkeit der Selbstversicherung. Mit der Einbeziehung der freien Dienstverträge und Werkverträge in das Sozialrecht wurde 1996 begonnen, Verbesserungen werden von uns weiter gefordert (insbesondere in der Kranken- und Arbeitslosenversicherung). 2001 wurde die Flexpower-Beratung als Projekt gestartet, seit Jänner 2006 gibt es in allen Gewerkschaften ExpertInnen für freie DienstnehmerInnen und Neue Selbstständige. Relativ neu ist auch, dass das Gleichbehandlungsgesetz auf arbeitnehmerInnenähnliche Personen anzuwenden ist.

derStandard.at: Waren die atypisch Beschäftigten, die in der Regel keine TopverdienerInnen sind, zu wenig lukrativ für den finanzschwachen von Mitgliedsbeiträgen abhängigen ÖGB?

Rolzhauser: Jedes Mitglied ist uns sehr wichtig. Auch atypisch Beschäftigte verdienen sehr unterschiedlich, wie alle anderen DienstnehmerInnen auch.

Wir haben in den letzten Jahren sehr viele Erfahrungen gesammelt und Kontakte mit den Betroffenen gehabt, die wir nicht missen möchten. Auch atypisch Beschäftigte haben ein Anrecht auf Solidarität und eine starke Interessenvertretung.

derStandard.at: Welches langfristige Ziel verfolgt der ÖGB bei den atypischen Beschäftigten?

Rolzhauser: Noch attraktiver für sie zu werden. Eine schlagkräftige und organisationsstarke Interessenvertretung zu sein.

derStandard.at: Sollen alle typisch werden?

Rolzhauser: Aus unserer Sicht bedarf es einer Neudefinition des ArbeitnehmerInnen-Begriffes, es soll ausschließlich auf die wirtschaftliche Abhängigkeit abgestellt werden. Damit könnte eine klare Trennung zwischen ArbeitnehmerInnen und Selbständigen geschaffen werden.

derStandard.at: Wie will man von Seiten des ÖGB verhindern, dass "atypische" Mitglieder verloren gehen, sobald sie typisch geworden sind?

Rolzhauser: Das ist eine Frage der Mitgliedererhaltung, die sich generell stellt. Wir bemühen uns sehr, alle Mitglieder zu erhalten und neue zu gewinnen.

derStandard.at: Welche besonderen Ziele gibt es für atypisch beschäftigte Frauen?

Rolzhauser: Die geforderten Verbesserungen im Arbeits- und Sozialrecht sind für Frauen besonders wichtig (das ist Einbezug in die Arbeitslosenversicherung und Erhalt von Krankengeld, Einbezug in das Arbeitsrecht und damit Schaffung von kollektivvertraglichen Mindesthonoraren, Abfertigung, Weihnachts- und Urlaubsgeld,...). Ergänzend dazu ist natürlich noch die Verbesserung des Wochengeldes nötig und die Ausweitung des Mutterschutzgesetzes auf freie Dienstnehmerinnen.

Auch für geringfügig Beschäftigte fordern wir Verbesserungen in Form der vollen sozialrechtlichen Absicherung – derzeit sind geringfügig Beschäftigte ja nur unfallversichert und können sich freiwillig für die Kranken- und Pensionsversicherung entscheiden. Wir wollen, dass alle Beschäftigten ab einer Bagatellgrenze von ca. 50 Euro im Monat voll sozialversichert sind.

derStandard.at: Gibt es bei der Vertretung der atypisch Beschäftigten eine Konkurrenz-Situation zwischen Arbeiterkammer und ÖGB?

Rolzhauser: Die Arbeiterkammer ist für freie DienstnehmerInnen und Neue Selbständige/WerkvertragsnehmerInnen nicht zuständig. Für zweitere auch die Wirtschaftskammer nicht. Daher haben gerade diese beiden Beschäftigtengruppen keine gesetzliche Interessensvertretung, eine freiwillige - nämlich den ÖGB und die Gewerkschaften - schon.

Ein Beispiel für die Unterstützung von atypisch Beschäftigten durch die Gewerkschaft, das vielen noch in Erinnerung ist: der Veloce Streik .