Silvio Berlusconi, Antiheld im neuen Film "Der Kaiman" des italienischen Filmregisseurs Nanni Moretti - und dort wiederum, als Film im Film, Hauptfigur eines geplanten Streifens eines Filmproduzenten in Geldnöten.

Foto: Sacher Film
Der Inhalt des Streifens wurde bisher streng geheim gehalten.


Niemand kannte die Handlung, niemand hatte ein Szenenfoto oder einen Ausschnitt gesehen. Dass Nanni Morettis Film dennoch schon lange vor seiner Premiere zum Wahlkampfthema wurde, lag an der Brisanz des Themas: Silvio Berlusconi. Der Film, der am heutigen Freitag in die Kinos kommt, wird im heftigsten Wahlkampf der letzten Jahrzehnte für neuen Zündstoff sorgen.

In seinem eindrucksvollen Film begnügt sich Nanni Moretti keineswegs damit, den Aufstieg Berlusconis vom Baulöwen zum Premier zu schildern. Vielmehr wartet er mit einem komplexen Werk auf, in dem sich Fiktion und Realität auf mehreren Ebenen in ununterbrochenem Wechselspiel ablösen.

Moretti erzählt die Geschichte des verschuldeten Produzenten Bruno, dessen seichte Filme niemand sehen will. Als ihm eine junge Autorin ein Drehbuch für einen Film über Berlusconi zusteckt, versucht er, das Projekt zu realisieren, stößt jedoch auf eine Menge Probleme: Das Fernsehen lehnt den Film als zu politisch ab, Michele Placido, den er als Hauptdarsteller anwirbt, sagt wieder ab, die Dreharbeiten müssen wegen Geldmangel verschoben werden.

So konstruiert Moretti einen Film im Film: die Geldscheine, die auf den Kaiman regnen, die halb nackten Tänzerinnen im neuen Studio seines Privatfernsehens, die Besuche der Finanzpolizei in seinem Unternehmen – all das spielt sich nur im Kopf des verwirrten Produzenten ab.

Auf einer dritten Ebene bringt der Regisseur authentisches Bildmaterial in den Film ein: den berühmten Auftritt im Europaparlament in Straßburg, als der Premier den deutschen Sozialdemokraten Martin Schulz als KZ-Aufseher bezeichnete, und eine Gerichtsszene, in der Berlusconi die Wahl der Weihnachtsgeschenke für die Frauen seiner Mitarbeiter schildert: "Ich habe den Kauf der Juwelen jährlich im Computer festgehalten, um zu vermeiden, dass eine von ihnen zweimal ein Halsband bekommt."

Nanni Morettis Il caimano ist weit mehr als eine Parabel vom Aufstieg eines Kleinbürgers zum mächtigsten und reichsten Mann der Republik. Es ist der anspruchsvolle Versuch, gleichzeitig ein Bild jener italienischen Gesellschaft zu zeichnen, die diesen Aufstieg ermöglicht hat. Durch Opportunismus, Beiläufigkeit und Großspurigkeit glänzt Silvio Orlando in der Rolle des Produzenten Bruno, der für seine Kinder nie Zeit hat und den die Trennung von seiner Frau Paola (Margherita Buy) in eine Neurose stürzt.

Moretti ist Berlusconi

Gegen Ende des Films wagt Moretti den überraschendsten Kunstgriff: In der einzigen Szene des Berlusconi-Films, die schließlich gedreht wird, schlüpft er selbst in die Rolle seines Feindbildes. Im Korruptionsprozess gegen ihn warnt er das Gericht eindringlich: "Ein Regierungschef kann nicht von Richtern ab^gesetzt werden, sondern nur vom Volk."

Am Ende wird klar: Berlus^coni übersteht auch eine Verurteilung unbeschadet. Der Zorn seiner aufgebrachten Anhänger wendet sich gegen die Richter. Trotz der vielen witzigen Pointen bleibt Il caimano ein düsterer Film mit pessimistischer Grundaussage. Moretti will sich zu seinem neuen Werk erst am Samstagabend im Fernsehen äußern, wenn er zum ersten Mal nach 33 Jahren ein Studio der Rai betritt. Doch dazu muss er erst das vehemente Sperrfeuer des Rechtsbündnisses gegen seinen Auftritt überwinden.

Einer hat bereits angekündigt, dass er sich Morettis Film nicht ansehen wird: Silvio Berlusconi. Doch wie gewohnt glaubt ihm das kaum jemand. (DER STANDARD, Printausgabe, 24.03.2006)