Bewertung nach Branchen

Grafik: Der Standard

Bewertung nach Ländern

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Strategieberater Booz A. Hamilton wandte sich via Internet an Mit­arbeiter aller Branchen um den Zustand ihres Unter­nehmens zu beschreiben


Die Resonanz war überraschend hoch: Eigentlich habe man nach einer Möglichkeit gesucht, aktuelle Indikatoren in Unternehmensorganisationen zu finden, um die eigenen Expertisen näher an den Kunden führen zu können - und dafür das Internet schlichtweg getestet, so Helmut F. Meier, Senior Vice President, Senior Partner und Chef des Wiener Büros von Booz Allen Hamilton im Gespräch mit dem KARRIERENSTANDARD. Im Dezember 2003 wurde dazu aufgerufen, unter www.orgdna.com anhand 19 Fragen zu den strategisch relevanten Säulen Struktur, Entscheidungsfindung, Motivatoren und Informationsprozesse den Zustand des eigenen Unternehmens zu beschreiben. 30.000 Mitarbeiter quer durch alle Ebenen und Branchen loggten sich ein. Zusätzlich wurden 20.000 Mitarbeiter u. a. aus dem Verwaltungs- und Non-Profit-Bereich bis November 2005 befragt.

Vorsicht sei bei der Interpretation der Daten geboten: "Für diese Umfrage wurden keine Samples definiert", sagt Meier. Denn: "To have a say is not to have a vote", sagt er. Vielmehr sei "A Global Check-Up: Diagnosing the Health of Today's Organizations" als Indikator zu werten, dennoch als Darstellung einer Selbsteinschätzung zweifellos wertvoll.

"Erschütternd"

Je nach Zusammenstellung oben genannter vier Säulen habe man sieben Unternehmensprofile definiert, die sich in der Bewertung und in Abstufungen zwischen "gesund und gut" bis "ungesund und ineffizient organisiert" bewegen siehe Organisationstypen).

Die destillierten Aussagen zur Selbsteinschätzung des Unternehmens, so Meier, seien eigentlich "erschütternd". Die meisten Befragten beschrieben ihren Arbeitsbereich als von Grund auf ineffizient organisiert. Überhaupt wurden die meisten Organisationen als ungesund beschrieben. Die Fähigkeit, strategische wie operative Entscheidungen umzusetzen, sei laut Ergebnissen bei 54 Prozent der Firmen gar nicht vorhanden. Aber auch das liege im Auge des Betrachters.

Schiefe Optik

Insgesamt sehen 54 Prozent der Senior Manager ihre Firmen als organisationsstark an, während nur 33 Prozent des mittleren Managements davon überzeugt sind und nur 30 Prozent der übrigen Mitarbeiter. Führungskräfte tendieren, so die Untersuchung, dazu, die Situation positiver einzuschätzen, als sie tatsächlich sei. Für eine realistischere Sicht auf den Status quo seien sie zu weit vom operativen Geschäft entfernt. Interessant sei die Größe der Kluft zwischen den unterschiedlichen Ebenen, so Meier. Die meisten Unternehmen seien laut Studie "passiv-aggressiv": Organisationen, in denen zwar viel Gutes geredet, aber wenig bis gar nichts davon umgesetzt werde.

Weltweit bezeichnen nur 31 Prozent der Befragten die Organisationsstruktur ihrer Firma als gesund. "Das sind jene", so Meier, "die schnell auf Marktveränderungen reagieren können, rasch Entscheidungen treffen und diese auch umsetzen." Diese Unternehmen seien nicht ohne Grund fast doppelt so profitabel wie die ungesunden. In gesunden Organisationen seien die Verantwortlichkeiten einfach genau definiert. Die Ergebnisse der Untersuchung bestätigen das: 78 Prozent der Mitarbeiter gesunder Firmen gaben an, dass in ihrem Unternehmen jeder wisse, wofür er verantwortlich sei. Nur 23 waren es in schlecht organisierten Firmen. Dort nämlich gehe man zu 77 Prozent davon aus, dass Entscheidungen lediglich auf Basis grober Annahmen getroffen werden.

China weit vor USA

Die Ergebnisse des Ländervergleiches, die, so Meier, mehr durch die Zufälligkeit der Befragung getrieben und demnach mit Bedacht zu betrachten seien, beziehen sich mehr auf die Stimmungen der einzelnen wirtschaftlich mehr oder weniger aufstrebenden Nationen. "China so weit vorne", sagt Meier, "überrascht mich überhaupt nicht." Gegenläufig zum Welttrend nämlich geben dort 54 Prozent an, dass ihr Unternehmen gesund sei. "Die Dynamik in China komme von privater Seite, wenn Sie so wollen, ist es ,wilder Kapitalismus'. Dort herrscht Aufbruchstimmung", sagt er.

US-Firmen seien in ihrer Struktur zu starr, sagt Meier. Und auch wenn er sich als US-Fan sehe - man komme schnell und auf kurzem Weg zu Verantwortung -, seien die Firmen dort doch sehr hierarchisch geführt. Das führe bei größeren Strukturen zur Zunahme an "Jasagern", sagt er. Man müsse beide Seiten sehen. Eine Hire-and-Fire-Strategie, wie sie in Amerika zuweilen an der Tagesordnung stehe, biete nur kurzfristige Flexibilität. Dass europäische Unternehmen im Vergleich in ihrer Selbstbewertung besser abschneiden, führt Meier auch darauf zurück, das in Europa weniger "bossie", mehr partizipativ geführt werde. Japan, einst Vorzeigeland, liegt weit abgeschlagen an letzter Stelle: zu starre Strukturen und Hierarchien und eine für Japan ungewohnte Individualisierung der Arbeitswelten, so die Experten.

Im Branchenvergleich, so die Experten, schlagen sich etwa am Beispiel der Energiewirtschaft vor allem die Folgen langjähriger Regulierungen negativ zu Buche. Mangels Marktdrucks wurden große, behäbige Verwaltungsapparate gefördert und so wenig zur Optimierung von Prozessen beigetragen. Ganz anders die meist kleiner strukturierte Immo-Branche: Sie schnitt mit 45 Prozent am besten ab. (DER STANDARD, Printausgabe 10./11.12.2005)