Kettcar sehen sich selbst als "nicht zu verkopft, aber auch nicht zu plump" und als "klar politisch denkend". Die zwei Frontmänner der 5-köpfigen Band: Sänger Markus Wiebusch und Reimer Bustorff (rechts).

Foto: Andreas Kramkowski, www.atelier-unartig.de
Standard: Wodurch unterscheidet ihr euch von Bands wie Blumfeld oder Tocotronic?

Reimer Bustorff: Wir kommen aus einem anderen Eck, sind nie Hamburger Schule gewesen. Wir wollten immer intelligente Musik mit intelligenten Texten machen, aber das wollen andere deutschsprachige Bands auch; man gibt sich einfach Mühe. Klar will man nicht in eine Schublade gepackt werden, sondern möchte, dass Journalisten keinen Begriff für das finden, was man macht. Dadurch, dass wir nicht allzu verkopft, aber auch nicht zu plump sind, haben wir es ganz gut hingekriegt, so zu sein, wie wir sind.

Standard: Wie sieht das Publikum aus, das ihr ansprecht?

Reimer: Bei den ersten Konzerten haben wir uns gedacht, wir sprechen Leute an, die so alt sind wie wir, die auch studieren oder das Studium abgebrochen haben und so durchs Leben dümpeln wie wir. Komischerweise hat es sich anders entwickelt. Das Publikum ist in den vorderen Reihen recht jung, das fängt bei 16-Jährigen an und geht nach hinten, wo auch mal 50-Jährige stehn.

Standard: Eure Songs sind alle sehr emotional - sind sie als Balsam für die Seele gedacht?

Reimer: Also es ist sicher keiner von uns dazu da, Trost zu spenden. Wir drücken nur aus, was wir beobachten oder empfinden, und natürlich wollen wir gerne, dass die Leute sich damit identifizieren. Es gibt für uns nichts Größeres, als wenn jemand sagt: Hey, du sprichst mir aus der Seele. Aber es ist auch Fakt, dass die Texte größtenteils erfunden sind. Ich mein: Was wär das für ein Leben, wenn wir das alles erlebt hätten?

Standard: Der Song "48 Stunden" basiert aber auf realen Erlebnissen, oder?

Reimer: Ja. Ich hab 'ne Fernbeziehung gehabt, und die ist relativ bitter gescheitert. Man nimmt vieles aber auch im Umfeld wahr oder meinetwegen aus Büchern oder Filmen, und versucht, das Gefühl dabei in eigene Worte zu packen.

Standard: Ist es schwieriger für dich, mit so einem Song auf der Bühne zu stehn, wo du Teile selbst erlebt hast, als wenn es um abstrakte Inhalte geht?

Reimer: Anfangs auf jeden Fall. Alles bei "Jenseits der Bikinilinie" habe ich selbst genau so erlebt, und das ist echt die Hölle gewesen. Ich dachte: Tiefer geht's nicht. Es hat mich getroffen, den Song immer wieder zu spielen. Mittlerweile hab ich Distanz dazu.

Standard: "Volle Distanz"?

Reimer: (lacht) Ja, genau. Es geht nicht, dass man das mit jedem Lied so durchlebt - dann würde man auf der Bühne wohl bei jedem zweiten Song in Tränen ausbrechen.

Standard: Steht der Bezug zu politischen Themen bei euch bewusst im Hintergrund?

Reimer: Das ist ganz schwierig. Wir kommen ja alle aus einer politischen Musikrichtung, und in dieser Phase hatte ich das Gefühl, es gibt viele Dinge, die gesagt werden müssen. Mittlerweile ist es so, dass ich nicht mehr das Bedürfnis habe, mich politisch mitzuteilen oder den Leuten zu sagen: Da geht es lang. Jetzt ist es so, dass wir ganz klar politisch denkend sind und das durch gewisse Aktionen zeigen. Aber in unseren Songs sind wir da eher beschreibend.

Standard: So wie in "Deiche" wo's heißt: "Der Kuchen ist verteilt, Krümel werden knapp". . .

Reimer: Ja, das ist ein klar politischer Song. Aber er gibt eben keinen Hinweis, was man anders machen soll. Denn das wissen wir halt auch nicht. Aber was wir wissen, ist, dass die Ressourcen ungerecht verteilt sind und dass irgendwas nicht stimmt.

Standard: Was, denkst du, ist es, das in der Bildungspolitik derzeit schief läuft?

Reimer: Bei uns werden grad Gebühren einführt, und das ist eine Katastrophe! Das ist auch der Grund, warum ich mein Studium abgebrochen hab, denn ich wäre gerne eingeschrieben geblieben und hätte sicher fertig gemacht - aber 500 Euro im Semester zusätzlich kann ich mir nicht leisten. Dazu kommt die Frechheit, dass du als Student oft auf der Treppe sitzen musst oder die Lehrmittel eine Katastrophe sind.

Standard: Kann studentischer Protest Veränderung bewirken?

Reimer: Man merkt, dass eigentlich alle an der Uni unzufrieden sind und viele Aktionen geplant werden, die dann aber im Sande verlaufen. Es ist zu wenig Macht da, und das ist genau das Problem. Auch, dass man jetzt wieder mit Privatisierungen anfängt: Eine größere Katastrophe kann uns ja nicht passieren, als wenn du plötzlich im Hörsaal sitzt und hinter dir "Coca-Cola" steht! Das geht ja wohl überhaupt nicht! Und es kann auch nicht angehen, dass nur noch Leute studieren können, deren Eltern viel Geld haben!

Standard: Ist so ein Künstlerleben empfehlenswert?

Reimer: Hm, ich hab lang mit mir gerungen und hätte es nicht getan, wenn ich nicht das Label hätte. Im Grunde kann ich es nicht empfehlen und nur sagen: Studium fertig machen, dann weitersehen. Denn man ärgert sich sonst.

Standard: Was ist euer nächstes Ziel - 'ne neue Platte?

Reimer: Wir sind heuer noch unterwegs und werden uns 2006 zurückziehen. Ich hoffe, dass die neue Platte 2007 erscheint. Mein Ziel ist, dass es so weitergeht wie jetzt, dass es Beständigkeit gibt. Denn ich will ja kein Weltstar werden.

Standard: Machst du immer "was dein Herz dir sagt"?

Reimer: Nein, ich glaub, dafür hab ich zu viel IQ und zu wenig emotionale Intelligenz. Ich würd gerne öfters danach handeln, aber dafür bin ich zu ängstlich. Leider. (DER UNISTANDARD, Printausgabe, 4.10.2005)