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Foto: AP /Bayreuther Festspiele, Jochen Quast
Wiederaufnahme von Christoph Schlingensiefs Version des "Parsifal" bei den Bayreuther Festspielen: Der deutsche Regisseur hat sich verstärkt der Figuren angenommen. Er erntete Begeisterung wie Entrüstung.


Einmal ist natürlich nicht keinmal in Bayreuth. Aber dass Christoph Schlingensief an den Ort seiner Operndefloration zurückkehren würde, um sich abermals mit Wagners Parsifal ins Grüne Hügelbett zu legen, gehörte zu jenen Aussichten, die in Bayreuth nicht nur spannungsaufladend wirken. Vielmehr bedeuten sie auch Fairness dem inszenierenden Akteur gegenüber, indem man ihm die Möglichkeit gibt, in womöglich entspannterer Atmosphäre an etwas weiterzufeilen, was ohnedies nie wirklich abgeschlossen scheint.

Sieht man die vor Bildideen überbordende Bühne, die als Labyrinth der Assoziationen und Symbole erscheint und auch noch zum Objekt der filmischen Übermalung wird, kann man sich vorstellen, dass Schlingensief gerne wiederkam - vor allem, um die Materialien seiner ins Opernkorsett gepressten Fantasie zu verdichten. Denn noch mehr Neuheiten würde das sich unentwegt drehende, detailvolle Bühnenbild mit Zaun, Stacheldraht, angedeutetem Palast, den vielen Treppen, kleinen Häuschen und dem Friedhof der Künste (mit Mona Lisa und Warhols Suppendose) nicht vertragen.

Paradoxerweise ist es allerdings zu einer Vermehrung, diesmal der Figuren, gekommen, welche die Klarheit erhöht. Zu dem älteren und dem jüngeren Pärchen, die sich als Leitmotiv durch den Abend ziehen, zu der afrikanischen "Urmama" kamen nun die Verdopplungen von Kundry und Parsifal.

Man nimmt es als Zeichen dafür, dass sich Schlingensief verstärkt mit den Figuren auseinander gesetzt hat. Besonders im zweiten Akt verdichtet sich die Beziehung zwischen Kundry (solide: Michelle de Young) und Parsifal (etwas unausgewogen: Alfons Eberz), wird in einer Art Sigmund-Freud-Zimmer eine Therapiesitzung mit anschließender Kundry-Beichte abgehalten, bevor Klingsor (passabel: John Wegner) gleichsam mit einem Raumschiff irgendwohin befördert wird. Auch Amfortas (unscheinbar: Alexander Marco-Buhrmester), dessen Wunde Parsifal - nun Brillen tragend - nachfühlt, ist im zweiten Akt zugegen.

Man müsste zehn Augen haben, um alles mitzubekommen. Aber an den zentralen Stellen herrscht Transparenz. Die Gralsgesellschaft ist eine Art globaler Ökumene, auch ein Club der Krieger dieser Welt. Der Erlösungsgedanke ist hier Welteigentum, eine Sehnsucht, die sich schon in uralten Fruchtbarkeitsritualen widerspiegelt.

Ein solches ist im ersten Akt zu sehen, wenn sich Amfortas unter Qualen auf eine Statue legt, in deren Unterleib sich die Ritter blutige Hände holen und mit diesen auf dem weißen Gewand des reinen Toren ihre Handabdrücke hinterlassen. Das ist insofern ein starker Moment, als Parsifal hier ganz nahe an jenem Ziel ist, das er erst im dritten Akt erreichen soll. Umso stärker wirkt die Enttäuschung von Gurnemanz (Robert Holl mit kultiviert geführter Stimme).

Doch es wird hier keine Erlösung geben. Und wenn doch, dann nur im Tod. Nachdem ein Hase filmisch in Zeitraffer verwest ist und alle zu Boden gefallen sind, geht Parsifal mit dem Hirtenstab seinen Weg ins Licht - alles andere als ein neuer König, der seines Amtes walten will.

Dass dies alles schnell durchgezogen wird, liegt an den spannungsstarken Ereignissen im Orchestergraben. Pierre Boulez konzentriert die musikalische Struktur. Sie verfügt über Innenspannung, wird in ihrer kontrapunktischen Vielfalt erfasst und entfaltet sich klangauratisch.

Boulez ist das souveräne Kraftzentrum dieser Inszenierung, das sehr wohl eine Verschmelzung zwischen Szene und Musik bewirkt und in den filmischen Augenblicken nicht zulässt, dass der magische Klang zum reinen Soundtrack schrumpft.

Nach dem Parsifal ist vor dem Parsifal . Es heißt, Wolfgang Wagner habe Schlingensief nach der Generalprobe umarmt und ihm einen Vertrag für das kommende Jahr angeboten. Er wird jedenfalls wiederkommen, allerdings ohne Boulez. Als Nachfolger wird Daniele Gatti kolportiert. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 1.8.2005)