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derStandard.at: Die Regierungschefs Deutschlands, Frankreichs, Belgiens und zuletzt Bundeskanzler Schüssel unter breiter Zustimmung aller Parteien haben die Einführung einer Art Tobin-Steuer begrüßt. Kritiker meinen, das sei auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass international eine solche Steuer nicht konsensfähig sei, vor allem die USA eine solche Steuer ablehnen würde und damit in der Praxis keine Aussicht auf Realisierung bestehe. Wie sehen Sie das?

Ulrike Lunacek: Kanzler Schüssel und die ÖVP haben bis zum vergangenen Sonntag jegliche Ansinnen dieser Art vehement zurückgewiesen, die Glaubwürdigkeit ist gleich Null. Nagelprobe wird sein, ob Schüssel das Thema zu einem Schwerpunkt der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft macht. Die Einführung einer Devisentransaktions-Steuer (wie sie der deutsche Ökonom Spahn 2002 vorgeschlagen hat, siehe zweite Antwort) wäre im EU-Raum sehr wohl möglich. Würde sich dann auch noch die Schweiz anschließen, wäre es faktisch unmöglich, der Steuer zu entkommen: Mit London und Zürich wären zwei der drei weltweit bedeutendsten Finanzplätze und die gesamte europäische Zeitzone erfasst. Ein Ausweichen auf einen anderen Finanzplatz würde stundenlange Wartezeit und damit weitaus höhere Kosten als die Entrichtung einer sehr geringen Steuer nach sich ziehen.

derStandard.at: Tobin ging es ja bei seiner Idee der Tobin-Steuer um die Besteuerung kurzfristiger Spekulationen, um die Steuerung von Devisenströmen, während es zum Beispiel Globalisierungskritikern wie Attac darum ging, Einnahmen zu generieren, mit deren Hilfe Umweltprojekte in Entwicklungsländern gefördert werden sollten. Bundeskanzler Schüssel wiederum sieht die potenziellen Einnahmen als Mittel zur konfliktfreieren Planung des EU-Budgets. Was ist Ihre Vorstellung?

Lunacek: Den Grünen geht es sowohl um die Finanzierung von entwicklungspolitischen Zielen (Stichwort UNO-Millenniums-Entwicklungsziele) als auch um Beiträge für EU-Projekte. Die Grünen orientieren sich in ihren Vorschlägen am Zweistufen-Modell des Frankfurter Finanzwissenschaftlers Paul Bernd Spahn: Ein Teil dieser Steuer ist eine "klassische" Tobin-Steuer, allerdings mit einem sehr niedrigen Steuersatz von etwa 0,01 bis 0,04 Prozent. Dieser Steuersatz darf vor allem den nicht-spekulativen Handel nicht behindern und soll Einnahmen lukrieren. Der andere Teil der Steuer dient speziell der Abwehr von Spekulationen. Dazu muss man einen Wechselkurs-Korridor festlegen. Kommt es wegen Spekulationen zu einer abrupten Wechselkursänderung, überschreitet der Kurs den Korridor und wird mit einer Zusatzabgabe belegt. Frankreich und Belgien haben dafür auf nationaler Ebene schon die entsprechenden Gesetzesvorkehrungen getroffen.

derStandard.at: Eine EU-Steuer würde laut VP-Staatssekretär Finz nicht die nationalen Beiträge zur Union ersetzen. Wenn sie etabliert würde, könnten aber von den Einnahmen künftige europäische Projekte finanziert werden. Wofür wäre Ihrer Meinung nach das Geld einzusetzen?

Lunacek: In den vergangenen Jahren ist eine Devisentransaktionssteuer immer in Zusammenhang mit der Notwendigkeit der verstärkten Finanzierung von Entwicklungsmaßnahmen (z.B. zur Erreichung der Millenniums-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen), diskutiert worden. Die Grünen treten für eine Aufteilung der Steuereinnahmen zu etwa gleichen Teilen ein, und zwar sowohl für Projekte der Europäischen Union im Sozial-, Beschäftigungs- und Ökologiebereich sowie für Entwicklungspolitik und -zusammenarbeit im Kontext der globalen Verantwortung der EU.

derStandard.at: Nun sei - so die Befürworter - nach dem Vorbild Frankreichs und Belgiens überparteilich für eine Tobin-Steuer auf EU- oder Euro-Ebene einzutreten. Ist das für Sie vorstellbar?

Lunacek: Ja, dies ist eine langjährige Forderung der Grünen. Wir haben gemeinsam mit der SPÖ noch vor den Äußerungen von Bundeskanzler Schüssel einen diesbezüglichen Antrag im Parlament eingebracht. Dieser Antrag enthält bereits detaillierte Angaben über den Inhalt eines solchen Gesetzes, das sich unserer Meinung nach an das Modell von Spahn anlehnen sollte.

derStandard.at: Was wäre Ihrer Meinung nach eine denkbare Größenordnung für den Steuersatz?

Lunacek: Neben dem Niedrigsteuersatz von 0,01 bis 0,04 Prozent (s.2.) soll für jede Devisentransaktion, die die definierte Schwankungsbreite des Wechselkurses überschreitet, zur Abwehr von Spekulationen ein innerhalb der EU einheitlicher Steuersatz von maximal 80 Prozent eingehoben werden. Die endgültige Höhe der beiden Steuersätze soll vom Ecofin beschlossen werden.

derStandard.at: Kritiker meinen, dass eine solche Steuer nur europa- oder sogar weltweit Sinn machen würde. Besteht die Gefahr einer Kapitalflucht oder sonstiger negativer Auswirkungen auf EU-Binnenmarkt und Währungsunion?

Lunacek: Sie macht europaweit (EU inkl. Schweiz) Sinn. Nach Spahns Zweistufenmodell sind negative Auswirkungen nicht zu erwarten, da a) der hohe Steuersatz nur für Devisenspekulationen zum Tragen käme und b) mit London und Zürich zwei der drei größten Finanzplätze beteiligt wären.

derStandard.at: SPD-Vorsitzender Müntefering hat den Begriff Heuschrecken des Finanzkapitals in die Diskussion eingebracht. Was ist dagegen einzuwenden, dass Investoren Geld möglichst gewinnbringend anlegen wollen?

Lunacek: Es geht bei der Spahn-Steuer nicht darum, dass seriöse Investoren keine Gewinne erzielen sollen, sondern dass spekulative Transaktionen, die tendenziell zur Destabilisierung von Finanzmärkten und Volkswirtschaften führen können (s. Asienkrise), verhindert werden. Diese Art der Steuer hätte – neben der Einnahmequelle – eben auch einen Lenkungseffekt zur Begrenzung negativer Auswirkungen der Globalisierung. (red)