"Wir haben den Berlusconi-Status überschritten und befinden uns im Chavez-Stadium", spielt der grüne Stiftungsrat Pius Strobl auf die restriktive Medienpolitik in Italien und Venezuela an und spricht von einer "Unglaublichkeit". Strobl will eine Sondersitzung im Stiftungsrat einberufen, er braucht die Zustimmung von zwölf der 35 Stiftungsräte, was einem Drittel entspricht.
"Einzigartig"
Bisher war es nur dem über Parteigrenzen stehenden Bundespräsidenten vorbehalten, sich zu wenigen wichtigen Anlässen direkt an die Bevölkerung zu wenden. "Dieses Ereignis ist einzigartig", beteuert indes der ORF.
Das ORF-Gesetz sehe dergleichen nicht vor, meint Strobl. Es erlaube "Aufrufe" von Behörden nur "in Krisen-und Katastrophenfällen." Beides sei hier klar nicht der Fall, beanstandet Strobl.
In einem offenen Brief will Strobl nun von ORF-Chefredakteur Werner Mück wissen, welche Schritte die anderen Parlamentsparteien unternehmen müssten, "damit Reden ihrer Parteiobmänner zur 'Lage der Nation' ebenfalls ausgestrahlt werden".
Schüssel-Festspiele
Mück gerät zusehends unter Druck, die SPÖ stößt ins selbe Horn: Mück sei "Intendant für Schüssel-Festspiele auf der ORF-Bühne", kritisierte Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos. Generaldirektorin Linder stellt sich hinter ihren Chefredakteur: "Er hat mein volles Vertrauen." Die Kanzler-Rede im ORF kommentierte sie vorerst nicht. Das tat der Redakteursrat: Nichts gefährde "die Existenzgrundlagen des ORF mehr, als der Eindruck staatsnah und parteipolitischen Wünschen gegenüber willfährig zu sein".
Scharfe Worte fand Grünen-Chef Alexander Van der Bellen Mittwoch im Nationalrat, der ORF übertrug live: ORF-Manager würden sich zunehmend "nicht an journalistischen Qualitätskriterien, sondern an bestimmten parteipolitischen Gesichtspunkten" orientieren.
"Kein Übereinkommen"