". . . wäre auf eine Bleich- behandlung zu verzichten gewesen": Egon Schieles "Mädchen Halbakt, linke Hand an die Wange gelegt", 1910, Albertina, nach der Restaurierung mittels Chloramin T.

Foto: Albertina
Thomas Trenklers Artikel über die restaurierten Schiele-Zeichnungen (27. 4.) der Albertina endet mit dem Satz "In der Fachwelt werden nun heftig Für und Wider diskutiert". Die Frage ist, was genau nun diskutiert wird und werden muss.

Debattiert wird wahrscheinlich wirklich darüber, ob man überhaupt bleichen oder retuschieren darf oder nicht. Diese Diskussionen sind schon sehr alt und oft kaum aufzulösen, weil sie Fragen der Ästhetik und die Bereitschaft zu vertretbaren Risiken betreffen. Zu beiden gibt es verständlicherweise sehr unterschiedliche Auffassungen. In der Fachwelt, zumindest unter Restauratoren, unumstritten ist aber, dass es Blätter gibt, die aufgrund ihrer eigenen Beschaffenheit bzw. der ihrer Beschreibmaterialien, nicht zu bleichen sind und dass Methoden, deren Schädlichkeit schon lange nachgewiesen werden konnte oder bei denen originale Substanz entfernt wird, nicht zur Anwendung kommen dürfen.

Ob die hier genannten Blätter "bleichbar" waren, lässt sich ohne eingehende Begutachtung nicht endgültig sagen, zumindest eine Gouache aber legt den Schluss nahe, dass auf eine Bleichbehandlung zu verzichten gewesen wäre. Fest steht, dass die beschriebene Behandlung mit Chloramin T nach internationalen Standards inakzeptabel und geradezu fahrlässig war. Judith Hofenk de Graaff (damals Centraal Laboratorium Amsterdam, heute Instituut Collectie Nederland) beschreibt bereits 1975 die Gefahr durch im Papier verbleibender Chloramin-T-Reste. In ihrem grundlegenden Artikel "Paper Bleaching - its Simple Chemistry and Working Procedures" (The Paper Conservator 2, 1977) warnt Margaret Hey explizit vor der Verwendung von Chloramin T, weil Rückstände von Chloramin T und seiner Zerfallsprodukte, gerade bei sauren Papieren, um die es sich hier handelt, nahezu nicht aus dem Papier herauszulösen sind, und sie beschreibt die äußerst aufwändige Methode, die notwendig wäre, um annähernd sicher sein zu können, alle Rückstände entfernt zu haben.

Auf dem Saugtisch, wie im Restaurierungsbericht beschrieben, dürfte dies nicht zu erreichen gewesen sein, auch bei der Verwendung eines Antichlors, in diesem Fall Natriumborhydrid. Die sehr wahrscheinlich entstandene Schädigung, abgesehen von der offensichtlichen Schädigung durch Entfernung von Papierfasern im Falzbruch, wird sich erst im Laufe von Jahren abzeichnen. Möglicherweise erst dann, wenn die Öffentlichkeit den Fall längst wieder vergessen hat.

Die Frage, die daher zum Schluss wirklich im Raum stehen bleibt und die es zu diskutieren gilt, ist, wie es künftig gelingen kann, Kulturgut, insbesondere solches von internationalem Rang, vor ungeeigneter Behandlung zu schützen. Kann es Kontrollmechanismen geben, die auch dann greifen, wenn auf die kompetente Beratung im eigenen Haus nicht geachtet wird?

Dipl. Rest. Jürgen Vervoorst , Wiener Stadt- und Landesarchiv - Referat für Bestandserhaltung und Restaurierung Mag. Christa Hofmann , Österr. Nationalbibliothek, Institut für Restaurierung Dr. Mag. Erna Pilch , Österreichisches Staatsarchiv - Restaurierung (DER STANDARD, Printausgabe, 11.05.2005)