Wien – Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) absolviert am Mittwoch einen Besuch in Madrid, wo er am Nachmittag König Felipe VI. und am Abend seinen sozialistischen Amtskollegen Pedro Sánchez trifft. Hauptthemen sind laut Bundeskanzleramt "die bilateralen Beziehungen" und "die Migrationskrise" sowie der EU-Sondergipfel in Salzburg im September und das Wiener EU-Afrika Forum im Dezember.

Kurz stellte im Vorfeld außer Zweifel, dass er in der spanischen Hauptstadt im Palacio de la Zarzuela bei König Felipe und im Palacio de la Moncloa bei Premier Sánchez mit der Migrationsthematik seine Leibagenda zur Sprache bringen wird. "In den vergangenen Jahren hat Spanien seine Grenzen erfolgreich geschützt und ich gehe davon aus, dass Spanien diesen Kurs konsequent fortsetzen wird."

Spanien will Unterstützung

Dabei brauche Spanien die Unterstützung der EU. "Wichtig ist eine europäische Lösung mit einem nachhaltigen Systemwechsel", unterstrich der Bundeskanzler. Wie bereits beim Europäischen Rat Ende Juni in Brüssel beschlossen worden sei, gehe es nun vordringlich "um eine Verstärkung des Außengrenzschutzes und um eine engere Zusammenarbeit mit Drittstaaten, wie etwa im Fall Spaniens mit Marokko."

"Eine wichtige Komponente ist auch die Hilfe vor Ort", bekräftigte Kurz seine Position. "Das betrifft nicht nur die klassische Hilfe vor Ort, sondern muss weit darüber hinaus gehen, vor allem was die langfristige wirtschaftliche Kooperation in Zukunftsbereichen angeht." Der Terminus "Hilfe vor Ort" wurde von Kurz als Außenminister und Bundeskanzler seit September 2015, als der Flüchtlingsstrom nach Europa seinen Höhepunkt erreichte, bereits häufig ins Spiel gebracht.

Österreichs mangelnder Beitrag

Kritiker wie die Caritas meinen aber, Österreich selbst habe bisher für den geforderten "Systemwechsel" wenig bis gar nichts beigetragen. Nun will Kurz die Herausforderungen "in Partnerschaft" bewältigen und "eine zeitgemäße, faire und nachhaltige EU-Strategie für Afrika" entwickeln. "Wir müssen dort vor allem die wirtschaftliche Entwicklung unterstützen, um Arbeitsplätze und Perspektiven zu schaffen."

Auch wenn Sanchez und Kurz bezüglich der Notwendigkeit eines effizienten Schutzes der EU-Außengrenze und einer besseren Unterstützung für Afrika wohl kaum größere Meinungsverschiedenheit haben dürften, haben der 46-jährige sozialistische Premier Spaniens und der 32-jährige Chef der rechtskonservativen ÖVP-FPÖ-Koalition in Österreich in der Migrations- und Flüchtlingsthematik durchaus unterschiedliche Ansätze.

Spanien primäres Fluchtziel

Spanien hat sich in den vergangenen Monaten laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zum primären Ziel afrikanischer Migranten entwickelt. Dennoch fährt die seit 2. Juni amtierende Minderheitsregierung von Sanchez einen weniger restriktiven Kurs gegenüber Migranten und Flüchtlingen als die konservative Vorgängerregierung von Ex-Premier Mariano Rajoy, der wegen einer Korruptionsaffäre seiner Volkspartei (PP) Ende Mai mit einem erfolgreichen Misstrauensvotum gestürzt worden war.

In diesem Zusammenhang war es durchaus brisant, dass Kurz vor dem Besuch bei Sánchez in der vergangenen Woche im Zuge eines Meetings der Europäischen Volkspartei (EVP) in Wien mit dem neuen Chef der spanischen Konservativen zusammentraf. Pablo Casado übte scharfe Kritik an Sánchez. Dieser betreibe in der Flüchtlingsfrage eine "äußerst verantwortungslose Politik", weil sie eine Sogwirkung auslöse. "Seit Pedro Sánchez an der Regierung ist, haben sich die Ankünfte von Migranten auf spanischem Territorium verdreifacht", bemängelte der PP-Chef.

"Spanischer Sebastian Kurz"

Casado wird medial auch als "spanischer Sebastian Kurz" bezeichnet. Erstens ist er mit seinen 37 Jahren ebenfalls ein recht junger Politiker, zweitens erwarten politische Beobachter, dass er die Volkspartei (PP) nach rechts rücken könnte, um Sánchez' Sozialisten (PSOE) mit einem deutlich schärferen Antimigrationskurs zu bekämpfen und auszuhebeln.

Auch Kurz stellte vor seiner Spanien-Reise in einem Interview mit der konservativen Tageszeitung ABC seine Haltung im Migrationsthema außer Frage. "Es muss klar sein, dass die Grenzen Europas für illegale Einwanderung geschlossen sind. Jeder muss kooperieren. Die EU hat keine Alternative zur Beendigung des illegalen Handels mit Migranten", wurde Kurz zitiert.

Integration schwierig

Österreich habe als kleines Land 160.000 Asylbewerber aufgenommen. Er habe aber immer gesagt, dass deren Integration außerordentlich schwierig sei, zeichnete der Bundeskanzler ein eher düsteres Bild: "Weil sie Menschen sind, die aus einem anderen kulturellen Umfeld kommen als wir, und weil ihre Ausbildung in der Regel sehr schlecht ist." Der unkontrollierte Zufluss an Migranten habe in Österreich jedenfalls für so viel Unsicherheit erzeugt, dass es "Generationen dauern wird, das zu bewältigen."

Kurz wird seine Konsultationen vor dem informellen EU-Gipfeltreffen in Salzburg am Sonntag in Berlin mit Bundeskanzlerin Angela Merkel fortsetzen. Am Montag steht dann ein Treffen mit Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron in Paris auf dem Programm.

Rücktritt Gesundheitsministerin

Sanchez sieht sich derzeit mit regierungsinternen und innenpolitischen Turbulenzen konfrontiert. Am späten Dienstagabend trat Gesundheitsministerin Carmen Monton wegen mutmaßlicher Unregelmäßigkeiten beim Erwerb eines Masterabschlusses im Jahr 2011 zurück. Sie soll Teile der Masterarbeit von Online-Foren kopiert haben.

Die 42-jährige Medizinerin versicherte zwar, sie habe ein "ruhiges Gewissen" und sich "keine Unregelmäßigkeiten zuschulden kommen lassen", sie stelle ihr Amt jedoch zur Verfügung. Sanchez nominierte daraufhin Maria Luisa Carcedo Roces als Nachfolgerin von Monton. Die 65-Jährige hatte bisher das Amt der Hochkommissarin für den Kampf gegen Kinderarmut innegehabt.

Masterabschluss

Die Affäre um Montons Masterabschluss an der angesehenen Madrider Universität König Juan Carlos hatte das Nachrichtenportal "eldiario.es" am Montag ins Rollen gebracht. Mit der 42-Jährigen kam Sanchez bereits das zweite Kabinettsmitglied abhanden. Am 13. Juni hatte Kultur- und Sportminister Maxim Huerta wegen des Vorwurfs des Steuerbetrugs seinen Hut genommen. Der Schriftsteller wurde durch Kulturmanager Jose Guirao ersetzt.

Am Dienstag gab auch die katalanische Unabhängigkeitsbewegung ein deutliches Lebenszeichen von sich. In Barcelona ging rund eine Million Menschen für die Unabhängigkeit der autonomen Provinz im Nordosten Spaniens auf die Straße. Am Nationalfeiertag der Katalanen ("Diada") waren zahlreiche Kataloniens rot-gelbe Fahnen zu sehen, Kundgebungsteilnehmer trugen T-Shirts mit der Aufschrift "Lasst uns eine Republik aufbauen".

Unabhängigkeit Kataloniens

Die auf Polizeischätzungen basierende große Zahl an Demonstranten war laut Agenturberichten einem Aufruf von Regionalpräsident Quim Torra gefolgt, dem Nachfolger von Carles Puigdemont. Der zwischenzeitlich in Deutschland festgenommene Puigdemont hatte vor gut einem Jahr ein Referendum über die Abspaltung Kataloniens organisiert, im Oktober 2017 die Unabhängigkeit Kataloniens ausgerufen und war dann von der damaligen Zentralregierung unter der Führung von Rajoy (Partido Popular/PP) in Madrid abgesetzt worden. Puigdemont floh daraufhin nach Belgien, wohin er Ende Juli aus Deutschland wieder zurückkehrte.

Sanchez lehnt eine Unabhängigkeit Kataloniens zwar ebenfalls ab, zeigt aber deutlich mehr Dialogbereitschaft als Rajoy. So schließt er Verhandlungen über eine Verfassungsänderung nicht aus, sträubt sich im Gegensatz zu den spanischen Konservativen auch nicht grundsätzlich dagegen, dass sich die Katalanen künftig als eigene "Nation" bezeichnen könnten.

Spanien gespalten

Rund ein Jahr nach dem von Puigdemont angesetzten Referendum sind die Katalanen in der Frage der Unabhängigkeit indes tief gespalten. Einer Umfrage vom Juli zufolge sind fast 47 Prozent der Katalanen für und knapp 46 Prozent gegen eine Abspaltung von Spanien. Die Opposition der separatistischen Koalitionsregierung in Barcelona warf den Organisatoren der Kundgebung vor, den Nationalfeiertag für ihre Zwecke zu missbrauchen. Der Tag geht auf den 11. September 1714 zurück, als Barcelona im Spanischen Erbfolgekrieg erobert wurde. (APA, 12.9.2018)