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Die Begeisterung unter Erdoğan-Anhängern in Istanbul kannte nach seinem Wahlsieg am Sonntagabend kaum Grenzen. Aber auch in Österreich jubelten viele Türken.

Foto: AP/Gurel

Wien – In der Nacht auf Montag zogen zweihundert Türken mit Fahnen und Sprechchören über den Wiener Reumannplatz und feierten den Wahlsieg ihres Präsidenten: Tayyip Erdoğan. Zwei Tage zuvor in Ottakring: Serbische Fußballfans randalieren, schmeißen mit Flaschen und Pyrotechnik, nachdem ein Schweizer WM-Spieler mit kosovarischen Wurzeln im Torjubel die Gegner mit einer proalbanischen Geste provoziert hatte. Dieser offen zur Schau getragene Nationalismus und Sympathien für ausländische Autokraten irritieren rechts wie auch links des politischen Spektrums.

Als bekannt wurde, dass sich eine Mehrheit der Deutschtürken für Erdoğan ausgesprochen hat, erklärte Cem Özdemir, früherer deutscher Grünen-Chef, es handle sich um eine "Ablehnung unserer liberalen Demokratie". Wie viel ausländischen Patriotismus müssen Staaten wie Österreich und Deutschland aushalten? Was hat eine liberale Gesellschaft zu akzeptieren, wo muss man Grenzen ziehen?

FPÖ empfiehlt Verlassen Österreichs

Die Freiheitlichen hatten schnell eine Antwort gefunden. Gleich Montagvormittag verschickte der blaue Klubchef Johann Gudenus eine Aussendung mit klarer Botschaft: "Alle, die nun bei der türkischen Präsidentenwahl Tayyip Erdoğan gewählt haben, sind in der Türkei ganz klar besser aufgehoben als in Österreich", schreibt er. Mehr als 70 Prozent der in Österreich lebenden Türken haben dem schon bisher amtierenden Staatschef ihre Stimme geschenkt. In der Türkei bekam Erdoğan rund 53 Prozent. FPÖ-Vizechef Gudenus wertet dieses Ergebnis als Bestätigung dafür, "dass die Integration tausender Türken in unserem Land kläglich gescheitert ist". Lässt sich das wirklich so pauschal zusammenfassen?

Cengiz Günay, Politologe und Vizedirektor des Österreichischen Instituts für Internationale Politik, hat zwei Erklärungen für die große Anhängerschaft Erdoğans und seiner Partei, der AKP, in Österreich parat. Die erste relativiert das hiesige Ergebnis durch demografische Fakten: "Die meisten Menschen, die eingewandert sind, sind aus Gegenden in Zentral- und Ostanatolien, wo die AKP sehr stark ist. In Yozgat, wo 80 Prozent der türkeistämmigen Personen in Wien herkommen, gibt es ähnliche Ergebnisse wie bei den Wahlen in Wien", sagt Günay.

Imageschaden für Türken

Der zweite Grund sei hausgemacht: "Der österreichische Diskurs wird von den Menschen als sehr antiislamisch, antitürkisch empfunden. Türke zu sein wird in Österreich ständig thematisiert", erklärt der Politologe. Auch die Moscheenschließungen und die "Law-and-order-Attitüde" der türkis-blauen Regierung würden Erdoğan eher nutzen als schaden.

Ähnlich sieht das der ÖVP-Nationalratsabgeordnete Efgani Dönmez: "Man muss da nicht um den heißen Brei herumreden, mit den angekündigten Moscheeschließungen wurde Erdoğan Wahlkampfhilfe geleistet", kritisiert der Integrationsexperte der Türkisen. "Und Erdoğan hat das Geschenk aus Wien dankend angenommen." Dönmez, der selbst türkische Wurzeln hat, erlebe aktuell einen "massiven Imageschaden für alle in Österreich lebenden Türken".

Überbordende Politik aus Herkunftsländern

Auch in Bezug auf die serbischen Unruhestifter in Ottakring stellt der Abgeordnete fest: "Wir haben ein Problem mit überbordender Politik aus den Herkunftsländern unserer Migranten – und dagegen muss man vorgehen." Wer sich gegenüber Österreich nicht loyal verhalte, dürfe auch keine Staatsbürgerschaft bekommen, findet Dönmez. "Da müssen die verschiedenen Behörden besser zusammenarbeiten."

Die rote Abgeordnete Nurten Yilmaz ist da gelassener. Eine gesunde Demokratie dürfe ruhig Selbstbewusstsein an den Tag legen, findet sie: "Ein paar feiernde Erdoğan-Fans sind noch keine Gefahr für die Republik", ist die Sozialdemokratin überzeugt. Auch Auslandsösterreicher würden konservativer wählen als die Gesamtbevölkerung. Yilmaz irritiere viel mehr das Vorgehen der Regierung: "Menschen pauschal das Gefühl zu geben, sie passen hier nicht her, das ist gefährlich."

Verbote bewirken Gegenteil

Alev Korun, ehemals Menschenrechtssprecherin der Grünen, erklärt, dass sie gewiss auch keine Freude habe, wenn Erdoğan-Fans auf Wiens Straßen feiern – sie möchte aber gleichermaßen vor den Freiheitlichen warnen: "Es ist eine demokratiepolitische Frage, wie man damit umgeht, wenn Parteien und ihre Anhänger öffentlich ihre Ablehnung von Minderheiten und Rassismus leben. Das tut die FPÖ aber auch."

Cengiz Günay hat Verständnis, dass ausländischer Nationalismus hierzulande "verstört" und schwer nachvollziehbar sei. Er sagt aber auch: "Man kann, glaube ich, kaum etwas dagegen machen." Mit Verboten erziele man nämlich meist den gegenteiligen Effekt. (Katharina Mittelstaedt, Manuela Honsig-Erlenburg, 25.6.2018)