Wien – Er weiß, dass er zu spät ist. Einmal taucht er noch mit einem Bein fest an, dann überschlägt es ihn fast die drei Stufen nach unten in den Gebetsraum. Roller zusammenklappen, Schultasche in die Ecke schleudern, Schuhe aus! Himmel, das hätte der Zweitklässler fast vergessen. Der Imam, ein seit zwei Wochen amtlich beschiedener Salafist, singt schon die ersten Verse. Lächelt dabei freundlich. Der kleine Junge zupft aus seinem Turnbeutel ein langes grünes Kleid, das er hastig überwirft, es ist etwas eng, weiße Strickmütze auf den Kopf, hinsetzen. Puh. Etwa hundert Männer zwischen sechs und sechzig haben sich in dem kargen Raum zum Gebet versammelt, Freitag, 13.45 Uhr, in einer der von der Regierung geschlossenen Moscheen.

Sicherheit und Ordnung gefährdet

Dem As-Sunnah-Gebetshaus in Mariahilf wird vom Kultusamt vorgeworfen, dass es die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Österreich gefährde. ÖVP und Freiheitliche hatten angekündigt, sieben Moscheen zu schließen; wie der STANDARD berichtet hat, sind derzeit alle in Betrieb, aber die Einrichtung im sechsten Bezirk sticht heraus: Sie ist die einzige, der die Behörde konkret und offiziell radikalislamische Tendenzen attestiert. Vom Imam der Moschee wurden über die Onlinedienste Youtube und Soundcloud Tonaufnahmen verbreitet, in denen er klare Worte spricht: "Der Islam wird einmal die ganze Welt regieren." Und auch: "Wichtigstes Ziel in unserem Leben sollte die Rückkehr beziehungsweise Errichtung des ,Islamischen Staates' sein."

Auch einige Kinder sind unter den rund hundert Muslimen beim Freitagsgebet in Wien-Mariahilf.
Foto: Christian Fischer

Der blaue Mariahilfer Bezirksparteiobmann und Gemeinderat Leo Kohlbauer wurde schon vor einiger Zeit von Bürgern auf die Moschee aufmerksam gemacht, erzählt er. Komische Leute würden sich dort herumtreiben, hätten die sich beschwert. Der FPÖler recherchierte, ist auf die Aufnahmen gestoßen und ließ sie aus dem Arabischen übersetzen. Vor gut zwei Monaten hat er das gesammelte Material der Staatsanwaltschaft übergeben. "Es wird ermittelt, auch der Verfassungsschutz beobachtet die Einrichtung", sagt er.

Zikry Gabal steht neben dem beschuldigten Imam und versucht zu erklären. Der gebürtige Ägypter spricht gutes Deutsch, hat große, freundliche Augen, trägt Jeans, rosa Hemd, Sakko, einen graumelierten Bart. Die Aufnahmen seien vor mehr als zwanzig Jahren in einer Moschee in Jordanien gemacht worden, das war eine andere Zeit, sagt Gabal. Er stehe hinter dem Imam. Lege für Ahmed Elkhashab sogar die Hand ins Feuer: Der sei nicht radikal. Respektiere hiesige Gesetze. Und Politik habe hier in der Moschee nichts verloren. Wirklich.

Zikry Gabal, Vorsitzender der Arabischen Kultusgemeinde, verteidigt seinen Imam: Es handle sich um Übersetzungsfehler.
Foto: Christian Fischer

Die Verzweiflung kann Gabal schwer überspielen. Das Kultusamt hat die Arabische Kultusgemeinde per Bescheid aufgelöst, Gabal ist ihr Vorsitzender. Er fühlt sich persönlich verpflichtet, dass die Moscheen des Vereins nicht geschlossen werden. Trotz des Bescheids, der genau das verbietet, hält er die Gebetshäuser offen. Er sieht sich als Opfer einer Politinszenierung. Aber: "Ich vertraue auf den Rechtsstaat." Seine Bescheidbeschwerde liegt schon beim Verwaltungsgericht.

Begründet wird die Auflösung der Kultusgemeinde einerseits mit den Tonbandaufnahmen, auf denen Imam Elkhashab spricht, andererseits mit Formalfehlern, die der Chef der Islamischen Glaubensgemeinschaft, Ibrahim Olgun, gemeldet hatte: Die Arabische Kultusgemeinde betreibe zu wenige Moscheen, um statutarisch Kultusgemeinde zu sein, und sie habe ihre Finanzunterlagen nicht übermittelt – Dinge, die sich klären lassen.

Dem Imam Ahmed Elkhashab wirft das Kultusamt vor, salafistische Reden gehalten zu haben.
Foto: Christian Fischer

Aber es gibt da auch noch ein Youtube-Video aus dem Jahr 2017, das inzwischen gelöscht wurde, von dem der FPÖ-Mann Kohlbauer aber Screenshots angefertigt hat: Ein schwarzer Hintergrund, das grüne Logo der As-Sunnah-Moschee und die verschriftlichte deutsche Übersetzung der Tonaufnahme sind dort zu sehen. "Wo leben wir? In Österreich. Österreich ist wo? In Europa. Und Europa ist ein Land des Kufr", steht da. Des Kufr, also des Unglaubens. An einer anderen Stelle zitiert der Imam "den Propheten": Eine Frau dürfe nicht ohne männlichen Vorstand verreisen, sage der.

Kichern im Gebetshaus

Übersetzungsfehler, sagt Gabal. Ein junger Mann habe das ins Internet gestellt, falsch übersetzt und missinterpretiert. Er würde der Polizei jederzeit sagen, um wen es sich da handelt, versichert Gabal. Er wolle doch selbst keine radikalen Muslime im Land haben. Er schüttelt traurig den Kopf.

Der Imam spricht radebrechend Deutsch, aber lacht viel. "Touristen sind wir, nicht Terroristen, Verwechslung", unterbricht er die Stille. Die Gläubigen, die nach dem Freitagsgebet noch dageblieben sind, kichern. Grüner Teppichboden, weiße Wände, eine Uhr, es schweißelt. Die Männer, die hier beten, sind großteils Araber, manche sind aus Tschetschenien. Einige Burschen tragen Baseballkappen, andere Bart und ein langes Gewand, viele sind Österreicher.

Die Arabische Kultusgemeinde will ihre Moscheen offen halten, bis der Verwaltungsgerichtshof entschieden hat.
Foto: Christian Fischer

Und die Frauen? Das Freitagsgebet sei für sie bloß freiwillig, da komme fast nie eine, erklärt Gabal. Am Wochenende seien aber auch viele Frauen und Kinder im Haus. Das bestätigt auch eine Nachbarin, die draußen mit Einkäufen an der Moschee vorbeigeht. "Radikales wär mir jetzt noch nie aufgefallen, aber laut zugehen tut es dort schon oft", seufzt sie.

Der betroffene Imam lebt seit vielen Jahren in Wien, davor war er in Jordanien, und Ägypten tätig. Er habe drei Töchter, eine Frau, wohne im Gemeindebau in Liesing. "Ich liebe Österreich", sagt er und grinst einen Gast in der Moschee breit an. "Ich liebe auch dich." Lautes Gelächter bricht aus. Viele Gläubige halten sich sogar den Bauch. (Katharina Mittelstaedt, 23.6.2018)