STUDIE
Selbstbehalte treffen vor allem sozial Schwache
Von einer Arztgebühr pro Konsultation wären besonders Frauen und Senioren betroffen. Das hat eine Abschätzung durch die Ökonomin Maria Hofmarcher (Health System Intelligence) ergeben.
Zum Thema Zuzahlungen und Selbstbehalte im Gesundheitswesen findet sich im Regierungsprogramm von ÖVP und FPÖ folgender Passus: "Evaluierung aller bestehenden Selbstbehalte im Gesundheitssystem mit Untersuchung auf Lenkungswirkung und Neukonzipierung von ökonomischen Anreizen im Gesundheitswesen."
Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) erklärte zu dem Thema zuletzt, sie wolle den Abbau von Selbstbehalten prüfen. Studien legten nämlich nahe, dass die bestehenden Zuzahlungen nicht sinnvoll steuernd seien.
Für die Wiener Gesundheitsexpertin Maria Hofmarcher könnte das Thema der Selbstbehalte aber in Zukunft auf anderem Weg wieder hochkommen. "Neben den Rezeptgebühren für die Versicherten aller Krankenkassen und bei Heilbehelfen gibt es ja Selbstbehalte beim Arztbesuch zum Beispiel bei der Sozialversicherungsanstalt der Selbstständigen und anderen, sogenannten kleinen Krankenkassen. Im Zuge der geplanten Zusammenlegung von Krankenversicherungen könnte die Frage von solchen Selbstbehalten wieder auftauchen."
Hofmarcher und ihre Kollegin Zuzana Molnarova haben daher die Effekte "der Einführung einer Arztgebühr pro Arztbesuch" auf ihre Auswirkungen auf demografische und sozioökonomische Gruppen abgeschätzt. Ihr Urteil: "Finger weg: Selbstbehalte für alle diskriminieren Frauen und Risikogruppen." Die grundsätzliche Abschätzung orientiert sich am Status quo. "Wenn man die 2015 von den Versicherten der kleinen Krankenkassen bezahlten Selbstbehalte auf die Betriebskrankenkassen und die Gebietskrankenkassen überträgt, käme man auf eine Belastung der GKK-Versicherten von zusätzlich etwa 520 Millionen Euro", sagte Hofmarcher der APA.
Würden Selbstbehalte für Kinder miteinbezogen werden, dann würde sich der geschätzte Betrag auf etwa 670 Millionen Euro erhöhen. Die Expertinnen analysierten die möglichen Folgen neu eingeführter Selbstbehalte über zwei Modelle: Im ersten gingen sie von einer verordneten Zuzahlung von fünf Euro pro Arztbesuch aus, im zweiten Szenario von fünf Euro bei der Konsultation eines Hausarztes und von zehn Euro bei einem Facharzt.
Hier zeigte sich laut den Ökonominnen eine starke (a)soziale Komponente eines solchen Systems. "Frauen gehen in Österreich um 27 Prozent häufiger zum Allgemeinmediziner als Männer und um 38 Prozent öfter zum Facharzt. Sie würden also um 32 Prozent mehr Selbsthalte zahlen", erklärte Hofmarcher.
Ähnlich würde es Menschen über 75 treffen: Bei doppelt so vielen Arztbesuchen als in der Altersgruppe zwischen 15 und 30 Jahren. Das würde um 2,4 Mal mehr Zuzahlungen für sie bedeuten verglichen mit jungen Männern. Ganz ähnliche Veränderungen zeigten sich bei der Zugehörigkeit zu verschiedenen Bildungs- und Gehaltsgruppen. "Menschen mit geringer Bildung gehen um 30 bis 40 Prozent öfter zum Arzt.
In Kombination mit den Unterschieden beim verfügbaren Einkommen wirken also Selbsthalte hoch asymmetrisch." Frauen mit Pflichtschulausbildung würden demnach 2,7 Mal mehr von ihrem Verdienst für Selbstbehalte zahlen müssen als Männer mit Hochschulbildung.
Zwischen den Frauen in der untersten Einkommensgruppe und den Männern in der höchsten Einkommensgruppe in Österreich würde der Anteil von bezahlten Selbstbehalten am verfügbaren Verdienst sogar um den Faktor 5,5 auseinanderklaffen.
Ein Kostenbeitrag von fünf Euro pro Arztbesuch würde laut den Berechnungen Frauen im Jahr mit 62 Euro belasten (bei niedrigerem Einkommen), Männer mit um die 47 Euro. Bei Menschen in der Altersgruppe zwischen 15 und 30 Jahren wären es bei den Männern etwa 32 Euro, bei den Frauen etwa 44 Euro. In der Altersgruppe über 60 Jahre kämen beide Geschlechter auf zusätzlich rund 70 Euro und Jahr."
Für ganz Österreich gesehen würden solche Maßnahmen noch zusätzliche Belastungen für die Bevölkerung bedeuten. Hofmarcher: "Bereits bestehende Kostenbeteiligungen und Selbstzahlungen machten in Österreich im Jahr 2014 18 Prozent der Gesundheitsausgaben aus." (APA)