Verabschiedung in Nickelsdorf im November: 51 österreichische Soldaten unterstützen derzeit die ungarischen Behörden "im Rahmen humanitärer Hilfestellung" an der serbischen Grenze.

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Frage: In der von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ausgerufenen Debatte über eine Union der verschiedenen Geschwindigkeiten spricht sich Kanzler Christian Kern (SPÖ) gegen eine Beteiligung Österreichs an einer EU-Armee aus. Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) macht sich für eine europäische Krisenreaktionstruppe stark. Spricht Österreich bei der Sicherheitspolitik nun gar mit gespaltener Zunge?

Antwort: Auch wenn die Koalitionäre zu dem Komplex andere Aspekte betonen, die Unterschiede zwischen Rot und Schwarz sind eher semantischer Natur. Befragt bezüglich einer EU-Armee erklärte Kanzler Kern, der hier die Neutralität hochhält, dass es keine österreichischen Soldaten "unter fremden Kommanden" geben werde. Auf Nachfrage betont man auch im Außenamt von Minister Kurz, dass ein EU-Verteidigungsbündnis in weiter Ferne liege. Tatsächlich würde eine EU-Armee derzeit wohl Doppelstrukturen schaffen, da die meisten EU-Staaten auch der Nato angehören.

Frage: Warum engagiert sich Kurz dann für eine Krisenreaktionstruppe?

Antwort: Angesichts anhaltender Flüchtlingskrise und ständiger Terrorgefahr will der Außenminister eine Vertiefung der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik forcieren – und auch im Katastrophenfall könnte Österreich aus seiner Sicht personell oder logistisch anderen Staaten zu Hilfe eilen. Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) redet hier – ganz ähnlich – schon länger einem "rasch verfügbaren zivil-militärisch-polizeilichen Mechanismus" das Wort, jedoch "ohne Beitrags- und Beistandsautomatismen". Diese Woche starten die Ressorts auf Expertenebene Gespräche, um Vorschläge für eine weiterentwickelte EU-Sicherheitsarchitektur zu erarbeiten.

Frage: Wie geht das mit der Neutralität zusammen?

Antwort: Als mögliche Einsatzgebiete sehen Kurz wie auch Doskozil etwa bei neuerlich erhöhtem Flüchtlingsandrang den gemeinsamen Schutz der EU-Außengrenze vor oder die Unterstützung eines EU-Mitglieds im Terrorfall, also Einsätze auf dem Territorium der Union. Mit dem 2008 paktierten Vertrag von Lissabon hat Österreich der "Solidaritätsklausel" für solche Fälle zugestimmt. Allerdings gewährleistet die "irische Klausel", dass die Republik dabei – wie auch Irland, Finnland und Schweden – nicht unbedingt militärische Hilfe aufbieten muss.

Frage: Ist das für die Nation neutralitätstechnisch nicht alles eine Gratwanderung?

Antwort: Nein, denn als EU-Mitglied mit "besonderem Charakter" in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik darf Österreich quasi weiterhin auf seine Neutralität pochen – ein höheres Engagement bei einem Worst-Case-Szenario jedoch wäre möglich und ist also eine rein politische Frage. Aktuell sind auf Doskozils Betreiben bereits mehrere Dutzend heimische Soldaten an der ungarisch-serbischen Grenze, um Budapest bei der Sicherung der EU-Außengrenze zu unterstützen. Im Zuge der Terroranschläge von Paris stellte Wien der französischen Armee Flugstunden mit der Hercules zur Verfügung. Die "Kernneutralität" – kein Beitreten zu einem Militärbündnis, keine Stationierung fremder Truppen, keine Beteiligung an Kriegen – bleibt damit als immerwährendes Dogma aber erhalten – und keine Regierungspartei rüttelt derzeit daran.

Frage: Warum schickt man im Krisenfall nicht die EU-Battlegroups los?

Antwort: Die Kampftruppen der EU sind derzeit für schnelle exterritoriale Einsätze, also für Krisenregionen gedacht – und diese sollen möglichst durch ein UN-Mandat legitimiert sein. Seit ihrem Bestehen 2004 kamen die EU-Battlegroups allerdings kein einiges Mal zum Einsatz – und auch hier dürfte Österreich von Fall zu Fall entscheiden, ob man sich an einer Mission beteiligt. Kurz kann sich jedoch vorstellen, dass eine "EU-Krisenreaktionstruppe" die bisher inaktiven Battlegroups ersetzt.

Frage: Wie viele heimische Soldaten sind an Auslandsmissionen beteiligt?

Antwort: Aktuell sind mehr als tausend Militärs weltweit im Einsatz – davon rund 200 unter UN-Mandat und weitere 820 konkret auf dem Balkan wie im Kosovo oder in Bosnien. Denn trotz Neutralitätsgesetzes macht sich die Republik schon seit Ende der Neunziger, seit dem Vertrag von Amsterdam, auch im Rahmen von EU-Missionen mit UN-Mandat stark. Diese Einsätze sind durch die "Petersberger Aufgaben" gedeckt, die die Möglichkeit zur Teilnahme an friedenserhaltenden und friedensschaffenden Maßnahmen vorsehen.

Frage: Warum hat die EU schon ein Militärhauptquartier beschlossen?

Antwort: Konkret soll sich das Zentrum zunächst nur um die Koordinierung bei Trainingsmissionen kümmern. Derartige Einsätze unterhält die Union bereits in Somalia, in Zentralafrika und in Mali. EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini will den Schritt aber nicht als Vorleistung für eine EU-Armee verstanden wissen. Bis zum Gipfel im Juni sollen weitere Vorschläge für eine engere Verteidigungszusammenarbeit folgen. (Nina Weißensteiner, 13.3.2017)