Artur Wechselberger, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, warnte vor "anonymer Medizin".

Foto: APA/HANS KLAUS TECHT

Wien – Die Ärztekammer-Präsidenten aus ganz Österreich haben sich am Mittwoch vor dem Bundeskanzleramt in Wien versammelt, um gegen die im Zuge des Finanzausgleichs vereinbarten Änderungen im Gesundheitssystem zu protestieren. Sie warnten vor Kürzungen sowie dem Ende der freien Arztwahl und der wohnortnahen Versorgung. Außerdem werde das Mitspracherecht der Ärzte beschnitten, hieß es.

Die Kammer startet dagegen eine Kampagne mit dem Titel "Gesundheit! Weniger ist nicht mehr". Im Raum stehen Protestmaßnahmen bis zum österreichweiten Generalstreik, wurde am Mittwoch erneut betont. Zuvor will man allerdings die Öffentlichkeit informieren.

"Vertrauen Sie nicht der Politik. Vertrauen Sie jenen, die etwas verstehen, und das ist die Ärzteschaft", nahm der oberösterreichische Kammerpräsident Peter Niedermoser die Vertretung der Patienteninteressen für seinen Berufsstand in Beschlag. Die jüngsten 15a-Vereinbarungen seien "handstreichartig" im Ministerrat beschlossen worden. "Warum peitscht man so etwas durch? Weil man etwas zu verbergen hat."

Warnung vor "anonymer Medizin"

Die Standesvertretung beklagt die jüngst vereinbarte Deckelung beim Wachstum der Gesundheitsausgaben (es wird von jährlich plus 3,6 auf 3,2 Prozent im Jahr 2021 abgeschmolzen), aber auch, dass die regionale Strukturplanung unter Ausschluss der Ärztekammern geschehen soll. Auch das zugehörige Gesetz, das im Dezember den Nationalrat passieren soll, ist für die Kammer Anlass zum Protest.

Der Tiroler Artur Wechselberger, Präsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK), warnte vor "anonymer Medizin", der man eine patientenorientierte, individualisierte Versorgung gegenüberstellen wolle. Diese gehe nur mit freier Leistungserbringung in freien Praxen. Sein Vize Karl Forstner, Kammerchef in Salzburg, stellte sich gegen "Mängelverwaltung" im Gesundheitswesen, der Wiener Kammer-Vize Johannes Steinhart gegen "Verstaatlichung".

Der Steirer Herwig Lindner verwies auf frühere Einschnitte im System, gegen die die Kammer auch schon protestiert habe. "Aber dieser Anschlag, der 2016 und 2017 geplant ist, ist der schlimmste und gefährlichste für dieses Land." Es handle sich um eine "Brachialreform". Den in der Steiermark geplanten Umbau trage man hingegen im Grundsatz mit, sagte er zur APA. Dort werde aber auch auf die regionalen Gegebenheiten eingegangen und die Expertise der Ärzteschaft berücksichtigt.

Ministerium: Ärzte nur an eigenem Einkommen interessiert

Recht schroff hat das Gesundheitsministerium auf die Proteste der Ärztekammer reagiert. "Nicht die Politik, sondern die Ärztekammer streut Sand in die Augen der Bürger", sagte Sektionschef Clemens Martin Auer zur APA: "Denen geht es nicht um Patienten- und Bürgerinteressen, sondern ausschließlich um eigene Einkommensinteressen."

Angesichts der Kritik an angeblichen Kürzungen verwies Auer auf aktuelle Zahlen aus dem Finanzausgleich: So betrage allein der Mehraufwand für Ärzte durch die Länder in den Krankenhäusern heuer 352 Millionen Euro gegenüber dem Vorjahr. "Das ist alles Einkommenszuwachs in den Händen der Ärzte", betonte er. Von 2016 bis 2018 seien dies 1,2 Milliarden Euro. "Das sind die Fakten, um die es der Ärzteschaft geht."

Ein befürchteter Machtverlust kann aus Sicht des Sektionschefs nicht die Motivation für den Aufschrei der Mediziner sein, denn beide Bund-Länder-Vereinbarungen und das noch zu beschließende Begleitgesetz "atmen den Geist von mehr niedergelassener Versorgung". Außerdem schmälere keine Zeile im Gesetz die Möglichkeit zur Gesamtvertragsgestaltung der Kammer.

Den ins Auge gefassten Ärzte-Generalstreik wollte Auer ebenso wenig kommentieren wie mögliche Gesamtvertragskündigungen. Die Ärztevertreter müssten sich selbst überlegen, ob sie sich damit nicht mehr schadeten als nützten, merkte er an.

Oberhauser: "auf dem Boden der Tatsachen bleiben"

Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (SPÖ) appellierte bei der Nationalratsdebatte am Mittwoch, die Patienten nicht zu verunsichern. Beiden Seiten – Ärztekammer und Sozialversicherung – müsse man ins Stammbuch schreiben, dass sie "Propaganda und Populismus zurücknehmen" sollten, wandte sich Oberhauser gegen eine "schwarze Show, die Patienten verunsichert". Diskutiert werden könne und solle, auch durchaus "hart, aber fair", appellierte die Ministerin, "auf dem Boden der Tatsachen und Wahrheit zu bleiben".

Die befürchtete "Apokalypse" werde mit den vor Beschlussfassung stehenden Reformen nicht eintreten, versicherte Oberhauser. Das Gesundheitswesen werde nicht völlig privatisiert, weder in der Stadt Wien noch mit der 15a-Vereinbarung: Es würden nicht alle Spitäler Wiens und die Arztpraxen von Privaten übernommen, "das ist völlig überzogen und falsch". Es liege nicht im Interesse von Bund, Ländern und der Sozialversicherung, privaten Investoren Tür und Tor zu öffnen.

Im Zusammenhang mit dem Hausärztemangel äußerte sich Oberhauser kritisch über die Studienplatzbeschränkung: Damit werde das Medizinstudium elitär gemacht – und wer ein solch elitäres Studium absolviere, wolle nicht mehr Hausarzt werden.

Mystery-Shopper und schlechte Bezahlung

Die Sorge vor Unterversorgung im niedergelassenen Bereich deponierten viele Redner in der Debatte. Niedrige Entlohnung, überbordende Bürokratie und auch die Mystery-Shopper seien schuld daran, dass immer weniger Ärzte einen Kassenvertrag wollten, merkte Dagmar Belakowitsch-Jenewein (FPÖ) an. ÖVP-Gesundheitssprecher Erwin Rasinger verwies vor allem auf die weit schlechtere Bezahlung der Hausärzte – verteidigte aber auch das österreichische Gesundheitssystem, das in vielen Bereichen "deutlich vorne" liege.

Um die Versorgung – auch am Land – sicherzustellen und die gewünschten längeren Öffnungszeiten bieten zu können, wolle man Primärversorgungseinheiten einrichten, betonte Erwin Spindelberger (SPÖ). Wenn die Ärztekammer diese ablehne, verhindere sie eine bessere Versorgung der Patienten, kritisierte er "einzelne Funktionäre", die "grob fahrlässig" mit "Streikdrohungen durch das Land ziehen".

Verständnis für die Kritik der Kammer zeigte die Grüne Gesundheitssprecherin Eva Mückstein. Die 15a-Vereinbarung sei hinter verschlossenen Türen ausverhandelt worden, was herausgekommen sei sei "zutiefst verantwortungslos", ignoriere den eigentlichen Reformbedarf, wichtige sozialpartnerschaftliche Kriterien seien "am Altar einer Machtpolitik geopfert worden". Es gelte, Einzelpraxen zu fördern – und nicht durch Konkurrenz unter Druck zu setzen.

Seitens der Neos kritisierte Gerald Loacker, dass die Finanzierungsströme zwischen den einzelnen Sozialversicherungsträgern nicht transparent und nicht nachvollziehbar seien. (APA, 23.11.2016)