Das umstrittene Modell der Mindestsicherung in Niederösterreich.

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Sankt Pölten – Schreiduelle hat es am Donnerstagnachmittag in der Sitzung des niederösterreichischen Landtags gegeben. Als "Schande" bezeichnete die grüne Klubobfrau Helga Krismer-Huber die Reform der Mindestsicherung. Die mit absoluter Mehrheit regierende ÖVP treibe "noch mehr Menschen in die Armut" und habe den "Wettbewerb der Grauslichkeiten in Österreich gewonnen", sagte Krismer-Huber. "Der Föderalismus hat seine grauslichste Fratze gezeigt."

Die ÖVP-Abgeordneten reagierten mit lautstarken Zwischenrufen, abhalten ließen sie sich nicht: Gemeinsam mit der FPÖ und den Stronach-Abgeordneten beschlossen sie die Novelle. Diese sieht vor, die bedarfsorientierte Mindestsicherung pro Haushalt mit 1.500 Euro zu deckeln. Dabei soll jedes Einkommen eingerechnet werden. Von diesem Betrag müssen die Betroffenen auch ihre Wohnkosten decken. Ausnahmen gibt es für Personen, die Pflegegeld oder erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder dauernd arbeitsunfähig sind.

Leistungskürzung bei Verweigerung

Weiters kommt eine "BMS light" für Personen, die in den vergangenen sechs Jahren weniger als fünf Jahre ihren Hauptwohnsitz beziehungsweise rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich hatten. Die Höhe der Leistungen wird hier für eine erwachsene Person bei 572,50 Euro liegen, darin ist auch ein Integrationsbonus enthalten. Denn "BMS light"-Bezieher werden verpflichtet, Integrationsmaßnahmen wie Deutsch- oder Wertekurse zu absolvieren. Bei Verweigerung werden die Leistungen gekürzt.

Der ÖVP-Abgeordnete Anton Erber argumentierte mit den steigenden Kosten: Diese sind in Niederösterreich von 2013 bis 2015 von 47 auf 61 Millionen Euro gestiegen. Für 2016 werden laut ÖVP 85 Millionen Euro erwartet, für 2017 sind 95 Millionen budgetiert. "Wir brauchen eine neue Gerechtigkeit", sagte Erber. "Wir setzen in Niederösterreich ein Zeichen, dem Österreich folgen wird."

"Die soziale Kälte hat einige Minusgrade erreicht", kritisierte die SPÖ-Abgeordnete Christa Vladyka und pochte auf ein gemeinsames bundesweites Modell.

Jurist sieht "Verstoß gegen menschenwürdiges Leben"

Auch Experten sehen die Neuregelung, die mit Anfang 2017 in Kraft tritt, kritisch: Die 1.500-Euro-Deckelung könnte dem Gleichheitsgrundsatz der Verfassung widersprechen. Grundsätzlich halte er einen Deckel nur dann für verfassungskonform, wenn im Bedarfsfall ein höherer Aufwand etwa für Wohnraum mit Sachleistungen abgegolten wird, sagt der Arbeitsrechtler Wolfgang Mazal – im niederösterreichischen Modell ist das nicht vorgesehen.

Ähnlicher Ansicht ist der Verfassungsrechtler Theo Öhlinger, der auch die Koppelung der Mindestsicherung an die Aufenthaltsdauer für bedenklich hält: "Das widerspricht dem Begriff der Mindestsicherung: Eine Mindestsicherung unter das Maß der Mindestsicherung zu senken verstößt gegen das Recht auf ein menschenwürdiges Leben." (APA, 17.11.2016)