Wo zwickt es im Gesundheitssystem? IHS-Experte Thomas Czypionka weiß einige Baustellen, die Ärzte wollen weiter protestieren.

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Wien – Wie sehr die Ärzte im Zuge des Finanzausgleichs entmachtet werden sollen, darüber gibt es unterschiedliche Sichtweisen. Die Standesvertretung fühlt sich aus der Planung der Gesundheitsversorgung hinausgedrängt, doch nicht alle Länderkammern wollen deswegen streiken. Während Wien einen einwöchigen Generalstreik plant, Niederösterreich das Volksbegehren SOS Medizin startet und die Steiermark und Oberösterreich mit der Aufkündigung des Gesamtvertrags drohen, ist für Salzburg, Tirol, Vorarlberg und das Burgenland vorerst kein Arbeitskampf angedacht. Auch wenn sie die Kritik teilen, wollen sie nur umfassend informieren.

Thomas Czypionka, Gesundheitsökonom am Institut für Höhere Studien (IHS), sieht in der neuen Vereinbarung sehr wohl eine Machtverschiebung zugunsten von Bund, Ländern und Sozialversicherungen. Hier wurde der Weg der Gesundheitsreform fortgesetzt, indem die Kompetenzen von der Österreichischen Gesundheitslomission , wo auch die Ärztekammer vertreten ist, Richtung Bundeszielsteuerungskommission, die sich nur aus den genannten Geldgebern zusammensetzt, verlagert wurden. Denn die Gesundheitskonferenz hat nun nur noch beratende Funktion. Für Czypionka eine strategische Frage: "Die Planung ohne Vetoplayer Ärztekammer birgt aber das Risiko, dass die Umsetzung schwieriger wird, wenn sie gegen Entscheidungen mobilisieren", sagt er zum STANDARD.

"Kein Grund, Feuer zu schreien"

Wird der Widerstand der Standesvertretung in der Planung zugelassen, sei es zwar anstrengender, aber bei einer Realisierung wären alle an Bord. Doch dagegen spricht für den Experten, dass "in den vergangenen acht Jahren nichts weitergegangen ist".

Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (SPÖ) sieht das anders. Auf STANDARD-Nachfrage präzisiert sie, dass der regionale Strukturplan nur in die langfristige Versorgung eingreift. "Die Primärversorgung ist nicht aus dem ärztlichen Stellenplan ausgegliedert", sagt sie. Ihr Beispiel: Ist für eine Region eine Primärversorgungseinheit geplant, werden zunächst die ortsansässigen Ärzte gefragt, ob sie sich in einem Zentrum oder Netzwerk zusammenschließen wollen. Geht das nicht, werden Mediziner gesucht, die dazu bereit seien. "Die Verträge der bestehenden Ärzte werden nicht verlängert, sie laufen aus", ergänzt sie. Sie betont, dadurch einen "Kuhhandel zwischen Kammer und Sozialversicherung" zu verhindern.

Für Patientenanwalt Gerald Bachinger ist das "kein Grund, Feuer zu schreien", wie das bei der Kammer der Fall sei. Die Proteste seien überzogen, durch die neue Vereinbarung sei hervorgestrichen worden, dass Teile der Gesundheitsversorgung hinterfragt werden müssen und sich der Bund "nicht mehr von den Ärzten auf der Nase herumtanzen" lasse. Die vereinbarte Verbindlichkeit schaffe ein genaueres Aufgabenprofil. "Dadurch wird der niedergelassene Bereich neu aufgestellt", ergänzt der Patientenanwalt im STANDARD-Gespräch.

Kritik an Berechnungen

Der Gesamtbefund für den Finanzausgleich fällt aus Expertensicht bescheiden aus. Doch Czypionka räumt auch ein: "Das Ministerium hat nicht die Macht, die anderen Player zu bewegen, Oberhauser kämpft nur mit dem Machbaren." Der Experte hätte sich eine gemeinsame Finanzierung des ambulanten Bereichs gewünscht, Pläne habe es im Zuge der langen Verhandlungen genügend gegeben, das Ergebnis sei enttäuschend. Scharfe Kritik übt er auch am Kostendämpfungspfad. Das bis 2016 gesetzte Ziel sei nur deshalb erreicht worden, weil die Inflation niedrig war. Auch dieses Mal wurden die Ausgabenziele nicht inflationsbereinigt ausgewiesen. Dass die Gesundheitsausgaben steigen werden, zeigt die Bevölkerungsprognose der Statistik Austria, wonach die Zahl der über 65-Jährigen bis 2030 um mehr als ein Drittel steigen wird. (Marie-Theres Egyed, 17.11.2016)