Riesengürteltiere, die vor etwa zwei Millionen bis 10.000 Jahren lebten, waren ungefähr so groß wie ein VW Käfer.

Foto: Peter Schouten

Der nächste, heute noch lebende Verwandte ist ein Gürtelmull, also eher die Größenordnung eines Spielzeugautos.

Foto: Daderot / Wikimedia

Montpellier/Wien – Wer mit einer Zeitmaschine 10.000 Jahre in die Vergangenheit reisen und den Vorfahren in Südamerika einen Familienbesuch abstatten würde, könnte beeindruckende Megafauna beobachten: Heute lebende, relativ kleine Lebewesen wie Faultiere oder Gürteltiere hatten damals riesige Verwandte. Während sich Riesenfaultiere in kaum einem Baum hätten halten können und stattdessen auf dem Boden lebten, erinnerten Riesengürteltiere optisch an Panzer. Ihr bis zu vier Meter langer und eineinhalb Meter hoher Körper wurde an den meisten Stellen durch verknöcherte Hautschuppen geschützt, was dafür sorgte, dass die Pflanzenfresser bis zu zwei Tonnen auf die Waage brachten.

Mindestens genauso imposant fällt der keulenförmige Schwanz aus, der bei einer der größten Arten, Doedicurus, vermutlich mit Stacheln besetzt war. Er könnte in schwungvoller Seitwärtsbewegung als Waffe eingesetzt worden sein, gegen flinke Säbelzahnkatzen werden die trägen Tiere damit allerdings wenig ausgerichtet haben können. Stattdessen mutmaßen Forscher, dass sich männliche Artgenossen damit gegenseitig auf dem Panzer geschlagen haben, womöglich im Kampf um Weibchen. Indizien dafür sind verheilte Frakturen der Panzerknochen mit einem Durchmesser von etwa 35 Zentimetern.

Umpositionierung im Stammbaum

Die Entwicklungsgeschichte dieser Nebengelenktiere, die auch entfernt mit Faultieren und Ameisenbären verwandt sind, hat sich nun mit der Arbeit einer internationalen Forschungsgruppe weiter aufgeklärt. Bekannt war, dass sich Gürteltiere vor etwa 55 Millionen Jahren entwickelten. Die Familie der Glyptodonten, zu denen Riesengürteltiere gehören, spaltete sich vor mindestens 35 Millionen Jahren ab. Weil Glyptodonten im Vergleich zu heute lebenden Gürteltieren einen starren Rückenpanzer ohne Gelenke besaßen, ging man bisher jedoch davon aus, dass sich ihre Stammeslinie schon sehr früh trennte.

Dass das wahrscheinlich nicht stimmt, fand Frédéric Delsuc von der Universität Montpellier durch eine neue DNA-Gewinnungstechnik heraus. Mit seinen Kollegen untersuchte er die Überreste eines vor rund 12.000 Jahren gestorbenen Riesengürteltiers der Art Doedicurus. Der Erstautor der Studie beschreibt die Methode so: "Wir haben RNA-Moleküle produziert, mit denen wir Fragmente der Erbsubstanz aus dem Panzerfossil herausfischen konnten. Nach der Sequenzierung konnten wir die mitochondriale DNA fast vollständig rekonstruieren und mit der heute lebender Gürteltiere vergleichen."

Riesen und Zwerge

Demnach stellen die Glyptodonten keine Schwesterfamilie zu den heutigen Gürteltieren dar, sondern sollten als Untergruppe mit dem Namen Glyptodontinae kategorisiert werden – eine radikale Umpositionierung. Der letzte gemeinsame Vorfahre von heute noch lebenden Gürteltieren und Glyptodonten hat vermutlich nur sechs Kilogramm gewogen, schreiben die Wissenschafter im Fachblatt "Current Biology". Nach Zwischenformen mit einem Körpergewicht von 80 Kilogramm haben sich erst vor zweieinhalb Millionen Jahren die Riesengürteltiere entwickelt und waren Teil der Pleistozän-Megafauna der Neuen Welt.

Bis zu ihrem Aussterben vor 12.000 bis 10.000 Jahren am Ende der letzten Eiszeit waren sie auch Zeitgenossen der ersten südamerikanischen Ureinwohner. Ob es an den Menschen lag oder an der klimatischen Abkühlung, dass die Panzertiere sich nicht mehr durchsetzen konnten, ist ungewiss.

Die nächsten, heute noch lebenden Verwandten der Riesengürteltiere sind nach der Neuordnung des Stammbaums die nur 15 Zentimeter kurzen Gürtelmulle, die im Englischen den Namen "Pink fairy armadillo" tragen und die man optisch als "Zwerghamster mit Rückenpanzer" beschreiben kann. Das mag seltsam erscheinen, aber ein ausgefallener Verwandter findet sich schließlich in beinahe jeder Familie. (sic, 22.2.2016)