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Mädchen verletzen sich häufiger selbst als Burschen. Statistisch gesehen tut das jeder vierte Jugendliche bis zu seinem 18. Lebensjahr zumindest einmal.

Foto: GARO/picturedesk.com

Innsbruck – Zwei dünne Unterarme sind auf dem Foto abgebildet. Vom Handgelenk aufwärts sind sie mit Schnitten übersät. Aus manchen quillt ein Blutstropfen, andere sind bereits verkrustet. "Wenn das Leben keinen Sinn mehr hat" ist die Beschreibung der Facebook-Seite mit diesem Titelbild. "Ritzen" ist ihr Name. Sie "gefällt" fast 2.000 Personen.

Selbstverletzendes Verhalten unter Kindern und Jugendlichen nimmt zu, sagt Kathrin Sevecke, Direktorin der Innsbrucker Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Sie beobachte darüber hinaus aber einen bedenklichen Trend: Immer öfter würden Teenager Fotos ihrer Wunden über soziale Netzwerke verbreiten. Und aus Schulklassen wissen Psychologen: Autoaggression birgt Ansteckungsgefahr.

Ritzen, kratzen, schlagen

Ganz grundsätzlich kann Sevecke aber auch beruhigen: "In den meisten Fällen handelt es sich um kurze Phasen, und eine ambulante Behandlung ist ausreichend." In einer durchschnittlichen Klasse mit 25 Schülern würden sich drei bis vier Jugendliche im Laufe eines Jahres selbst verletzen, jeder vierte Heranwachsende tue das bis zu seinem 18. Lebensjahr zumindest ein Mal. An der Universitätsklinik Innsbruck wird deshalb nun eine Sprechstunde eigens für solche Fälle eingerichtet.

Die Formen der Selbstverletzung sind vielfältig: Am häufigsten sei das Anritzen der Unterarme mit spitzen Gegenständen wie Messern oder Rasierklingen. Es gebe aber auch Jugendliche, die sich selbst kratzen, Zigaretten auf der eigenen Haut ausdrücken oder mit der Faust gegen eine Wand schlagen. "Mädchen sind von Autoaggressivität deutlich häufiger betroffen", sagt Sevecke. Beginnen würden damit viele bereits im Alter von zwölf Jahren.

Eis auflegen als Ersatzhandlung

Für Betroffene bedeute die Selbstverletzung zumeist Erleichterung, den Ausweg aus einer schwierigen Situation. "Im Großen und Ganzen gibt es zwei Gründe", sagt Sevecke. "Zum einen kann eine akute seelische Belastung verantwortlich sein. Etwa die Scheidung der Eltern, eine Trennung oder schulische Probleme." Es könne aber auch eine psychische Erkrankung dahinterstecken, wie beispielsweise eine Depression oder Essstörung.

In der Behandlung erarbeite Sevecke mit den Jugendlichen eine "alternative Handlungsweise". Manche würden Sport oder Malen für sich entdecken, in anderen Fällen müsse eine direkte "Ersatzhandlung" gefunden werden: "Es kann hilfreich sein, mit starken sensorischen Reizen wie Eiswürfeln oder Chilischoten zu arbeiten." Im Ernstfall könnten die Jugendlichen dann zum Beispiel Eis auf jene Stelle legen, an der sie sich sonst geschnitten hätten.

Eltern rät Sevecke einen offenen Umgang mit dem Thema: "Man sollte die Jugendlichen darauf ansprechen und dabei unterstützen, das Problem zu erkennen." Von langem Zusehen rät sie aber ab: Nichtsuizidales selbstverletzendes Verhalten (NSSV) ist behandelbar. "Also lieber zu früh als zu spät eine Klinik aufsuchen." (Katharina Mittelstaedt, 28.1.2016)