Georg Kapsch: "Wir brauchen wieder Entscheidungsstärke."

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"Jeder, der schutzbedürftig ist, muss Aufnahme finden."

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Nach spätestens sechs Monaten müssten Flüchtlinge Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten.

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"Die Wiedereinführung von Grenzkontrollen kann ja wohl nicht unser Ziel sein."

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STANDARD: Die Politik diskutiert heftig über Obergrenzen für die Aufnahme von Flüchtlingen. Gibt es seitens der Industrie eine solche Forderung nach einer Obergrenze? Was ist Ihre Meinung?

Kapsch: Diese Forderung gibt es nicht. Meine Meinung ist klar: Jeder, der schutzbedürftig ist, muss Aufnahme finden. Man muss aber früh prüfen, wer schutzbedürftig ist und wer nicht, dazu brauchen wir diese sogenannten Fast-Track-Verfahren, wie es sie auch in anderen Ländern gibt. Wer nicht asylberechtigt ist, kann auch nicht hierbleiben. Ich glaube aber nicht, dass wir hier Obergrenzen definieren können. Wir sind aus humanitären Überlegungen verpflichtet, hilfsbedürftigen Menschen zu helfen.

STANDARD: 2015 gab es 90.000 Asylanträge in Österreich, heuer könnten es noch einmal so viele werden. Schaffen wir das?

Kapsch: Das ist eine Größenordnung, die wir gerade noch schaffen können. Es bleiben auch nicht alle da. In Summe werden wir Ende dieses Jahres wahrscheinlich 100.000 Asylberechtigte haben. Wenn wir uns die Qualifikation anschauen, gibt es je nach Land Menschen mit hoher Qualifikation, die kommen vor allem aus Syrien, Irak und Iran. Afghanistan ist ein Problem, das wissen wir auch alle. Das AMS hat hier einen guten Überblick. Wir müssen nur aufpassen, dass gerade die Hochqualifizierten nicht wieder davonlaufen. Darum ist es auch so wichtig, die Menschen schnell in Beschäftigung zu bringen.

STANDARD: Was kann Österreich unter nationalstaatlicher Sicht tun, um die Flüchtlingsbewegung besser in den Griff zu bekommen?

Kapsch: Zunächst einmal muss man an der Grenze so schnell als möglich feststellen, wer asylberechtigt ist und wer nicht, diese Verfahren müssen rasch abgewickelt werden. Die Menschen, die hierbleiben können, müssen nach Möglichkeit sofort in Qualifikationsoffensiven eingebunden werden. Nach spätestens sechs Monaten müssen sie Zugang zum Arbeitsmarkt haben.

STANDARD: Auch wenn das Asylverfahren nicht abgeschlossen ist?

Kapsch: Auch wenn das Verfahren noch läuft.

STANDARD: Wie geht man mit den unterschiedlichen Qualifikationen um? Viele Afghanen, die Asylanträge stellen, sind Analphabeten.

Kapsch: Die Antwort für alle ist: unmittelbar Deutsch lernen. Je nach Qualifikationsniveau geht es darum, die Menschen weiter zu qualifizieren. Unter den Asylwerbern sind auch relativ viele Jugendliche, die aber nicht mehr unter die Schulpflicht fallen. Die müssen auch ausgebildet werden. Das Schlimmste sind ungebildete und unausgebildete Menschen. Was sollen denn die hier tun? Das führt am Ende auch dazu, dass die Fremdenfeindlichkeit zunimmt. Wenn die Menschen aber integriert sind, und da geht es um mehr als nur die Sprache, dann wird auch die Aversion diesen Menschen gegenüber in den meisten Fällen geringer werden.

STANDARD: Gerade im ländlichen Raum gibt es oft schlicht keine Arbeitsplätze.

Kapsch: Daher geht es auch um die Frage der Mobilität – nicht nur innerhalb Österreichs, sondern innerhalb Europas. Ich gehe davon aus, dass Asylwerber zu einem viel höheren Grad bereit sind, irgendwo anders zu arbeiten. Sie wollen in Europa bleiben, egal wo.

STANDARD: Soll es einen Zwang zu Deutschkursen geben?

Kapsch: Man muss die Menschen verpflichten, Deutsch zu lernen. Es kann einfach nicht sein, dass ich in ein Land migrieren will und dann nicht bereit bin, die Sprache zu lernen. Die Sprache ist Voraussetzung für die Integration, und das muss für ganze Familie gelten, und zwar zum Nutzen der gesamten Familie, insbesondere der Frauen.

STANDARD: Haben Sie noch Vertrauen in die EU, dass diese in der Lage ist, Lösungen umzusetzen?

Kapsch: Wenn die Union in einem globalen Spiel mitspielen will, muss sie europäische Lösungen finden, nicht nur im Flüchtlingsbereich. Irgendwann muss doch die Vernunft einkehren. Sonst würde einer der wesentlichen Grundpfeiler, nämlich die Freiheit des Personenverkehrs in der Europäischen Union wieder aufgehoben werden. Es gibt bestimmte Rahmenbedingungen, unter denen Schengen ausgesetzt werden kann, aber die Wiedereinführung von Grenzkontrollen kann ja wohl nicht unser Ziel sein.

STANDARD: Die österreichische Politik bewegt sich genau dort hin, wenn man den Aussagen von Außenminister Kurz oder auch von Kanzler Faymann folgt.

Kapsch: Und das ist bedauerlich. Das ist nicht im Sinne der europäischen Bürgerinnen und Bürger.

STANDARD: Was kann Europa tun?

Kapsch: Wir müssen uns dringend Mechanismen überlegen, wie die Flüchtlinge in Europa besser verteilt werden. Ein Kontinent mit 500 Millionen Einwohnern wird ein paar Millionen verkraften. Ein Land mit acht Millionen Einwohnern wird nicht zwei Millionen Flüchtlinge verkraften. Ich glaube schon, dass man über die Finanzströme auch etwas erzwingen kann. Wer Flüchtlinge nicht aufnimmt, muss in einen zentralen Topf einzahlen. Das ist zwar nicht humanitär, aber man kauft sich frei. Aber zu sagen: "Ich leiste gar keinen Beitrag", kann nicht sein. Dass diese Flüchtlingswelle auf uns zurollt, wissen wir seit zwei Jahren. Europa hat sich darauf nicht vorbereitet, Österreich hat sich darauf nicht vorbereitet. Wir brauchen wieder Entscheidungsstärke und Tempo. Was man herausnehmen muss, sind Populismus und Polemik. Das hilft niemandem. (Michael Völker, 20.1.2016)