Im (allerdings argentinischen) Naturlicht wird dem Zuschauer ermöglicht, in einem beinah körperlichen Sinne zu partizipieren: Leonardo DiCaprio als vielfach vom Schicksal gebeutelter Grenzgänger zwischen zwei Welten.

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Wien – Die Schönheit des Waldes, einer sich selbst überlassenen Natur, ist nur Schimäre. Die Eroberer sind längst gelandet, sie haben den Indianerstamm der Pawnee dezimiert, den Übrigen ihr Geschäftsmodell aufgebürdet. Ein Rest kämpft weiter. Es dauert nur wenige Minuten, bis in Alejandro G. Iñárritus The Revenant die ersten Pfeile die Luft zerschneiden. Die Szene ist mit jener naturalistischen Grandeur inszeniert, die für den neuen Kriegsfilm stilbildend wurde. Chaos bricht im Lager der Pelzhändler aus. Die Kamera ermöglicht keinen Überblick, sondern irrt wie ein panisches Tier durch das Schauspiel.

Es gibt wohl keine andere Ära, die im Kino öfter romantisiert wurde, als die Landnahme des amerikanischen Kontinents. Mit The Revenant macht sich nun der mexikanische Regisseur, der zuletzt mit der Broadway-Komödie Birdman überrascht hat, daran, ein davon abweichendes kruderes Bild zu zeichnen. "Wir sind alle Wilde", steht einmal auf einem Schild, eine Art Untertitel zu einem erhängten Indianer. Schnell wird deutlich, dass Moral hier keine Frage von Überzeugungen, sondern allein von körperlichen Fähigkeiten ist.

Das Duell ist Nebensache

Das Land – wir befinden uns in den tief verschneiten Ausläufern der Rocky Mountains von 1823 – wird gerade mit der Gewalt einer überlegenen Ökonomie neu geordnet. Kein Western, sondern ein Proto-Western sei der Film, sagt der Regisseur; ein Überlebensdrama, in dem das Duell immer mehr zur Nebensache gerät.

Hugh Glass (Leonardo DiCaprio), die zentrale Figur, wird von einer Bärenmutter attackiert. Die Szene setzt tricktechnisch neue Maßstäbe. Anstatt den Angriff im Schnitt zu suggerieren, wird das Publikum in lange gehaltenen Einstellungen unmittelbar Zeuge dieser Verwüstung. Es ist ein bezeichnender Moment für den Film – aufwendig, ein wenig marktschreierisch vielleicht, aber auch bewundernswert. Immer wieder schwingt sich Iñárritu auf, mit Schauwerten zu verblüffen, die über bisherige Sehgewohnheiten hinausgehen.

Ein Restplatz von Naturmystik

The Revenant basiert lose auf Michael Punkes gleichnamigen historischen Roman. Der Regisseur und sein Koautor Mark L. Smith haben sich allerdings einige Freiheiten erlaubt. Die Wichtigste davon ist, dass sie Hugh Glass zum Grenzgänger zwischen zwei Welten stilisiert. In Erinnerungen wird er vom gewaltvollen Tod seiner Eingeborenenfrau eingeholt, ihr gemeinsamer Sohn steht an seiner Seite. Den spirituellen Rückhalt des Films findet man hier, einen Restplatz von Naturmystik, der auch an Terrence Malicks The New World denken lässt, mit dessen regulärem Stab Iñárritu nicht nur den virtuosen Kameramann Emmanuel Lubezki teilt.

Glass' Überlebenskampf wird damit überhöht: Er ist nicht nur Rächer, sondern auch Opfer, und wandelt sich zum Überbringer einer Idee, die in ihm erst allmählich heranwächst. Glass' verschlagener Kumpel Fitzgerald (Tom Hardy) tötet seinen Sohn, leugnet die Tat gegenüber dem Jungen Bridger (Will Poulter) und lässt den Schwerverwundeten zum Sterben zurück. Wie sich dieser alleine durchschlägt, wird zum Kerndrama des Films: ein hoffnungslos erscheinendes Unterfangen, wo er doch nur röchelnd auf allen Vieren kriechen kann und vollkommen auf die kargen Angebote der Natur angewiesen bleibt.

Serie an Herausforderungen

Iñárritu und Lubezki haben den Film an realen Schauplätzen (allerdings in Argentinien) und bei natürlichem Licht gedreht. Der Aufwand ist so groß wie DiCaprios körperlicher Einsatz furchtlos – durchaus auch im Sinne eines Leistungstests. Das Abenteuer wird von einer nie abreißenden Serie an Herausforderungen getragen, die alle Elemente miteinbeziehen.

Die charakteristisch fließende Kamera Lubezkis ermöglicht dem Zuschauer, in einem körperlichen Sinne zu partizipieren, ohne dass das Geschehen ganz als Illusion erscheint. Oft sind es kleine Momente, Feinheiten, die dem erstaunlichen Monster von einem Film seine größte Dringlichkeit verleihen.

Wenn die Kamera etwa einmal näher und näher an den Protagonisten rückt und sich das Objektiv durch seinen Atem beschlägt, wird das Prinzip der Anteilnahme an einer menschlichen, physischen Präsenz vielleicht am deutlichsten. Das Kino gibt sich bei Iñárritu ein Stück weit als Maschine der Überwältigung zu erkennen: Es reicht so nah an eine historische Situation heran, dass man die Körper sprechen hört. (Dominik Kamalzadeh, 4.1.2016)