Oberflächlich betrachtet ist der "#heimkommen"-Spot von Edeka "ganz großes Kino". Genauer hingesehen, hinterlässt er viele Fragezeichen.

EDEKA

Liebe Edeka! Der Spot "#heimkommen", den ihr am Wochenende als Einstimmung auf das nahende Weihnachtsfest geschaltet habt, hat mich sehr geärgert. Er steht für alles, wofür ich einen Teil der Branche, in der ich arbeite, verachte. Pseudomoralische Botschaften, um künstliche Relevanz zu erwirken, und ein klebrig manipulativer Grundton, der bei mir Übelkeit hinterlässt.

Ein alter Mann feiert alleine Weihnachten, seine Familie besucht ihn nicht und hat Ausreden, warum sie das nicht tut. Schnitt. Er inszeniert seinen eigenen Tod, damit endlich wieder mal die Familie zusammenkommt. Schnitt. Die Familie kommt zum Begräbnis, entdeckt den Vater nun doch lebendig, und im Anschluss feiern alle glücklich ein Fest. Schöne heile Welt. Edeka.

Tränendrüse. Bäm!

Oberflächlich betrachtet "ganz großes Kino", wie der Werber sagen würde. Mächtig auf die Tränendrüse gedrückt, so richtig die Enge im Brustkorb gefühlt, und dann "bäm, voll der Twist" mit dem überraschenden Ausgang.

Einmal genauer hingesehen, bleiben viele Fragezeichen. Gibt es einen Grund, warum es die Familie zu Weihnachten nicht nach Hause zieht, außer dem oberflächlichen Beschäftigtsein, und was hat der alte Mann dazu beigetragen?

Edeka als Familientherapeut?

Schlechtes Gewissen und dumpfe Schuldgefühle, die hier übertragen werden sollen – ist das die Intention des Spots? Ist das der Nährboden für ein erfülltes Weihnachtsfest? Im Spot sind die Rollen klar verteilt – ein lieber alter Mann und undankbare Kinder, die nicht erkennen, wie wichtig die Familie ist. Wo ist sie hin, die gute alte Zeit? Die Protagonisten dürfen sich nicht ärgern über diese üble Manipulation des Vaters, über das Versagen, in Kontakt zu treten, denn sie sind ja schuld. Da lachen also alle und freuen sich auf das Festessen.

Nur mir als Zuschauer bleibt ein imaginärer Bissen im Hals stecken. Weil ich mich frage: Welche Haltung nimmt Edeka gegenüber seinen Kunden ein? Welche Positionierung als Marke berechtigt Edeka, als nationaler Familientherapeut aufzutreten? Hat Edeka so wenig Orientierung, was die tatsächlichen Bedürfnisse und Anforderungen eines Kunden an einen Lebensmitteleinzelhändler sind? Oder hat jemand geraten: "Sie sind gar nicht Lebensmitteleinzelhändler – Sie sind jetzt im Geschäft der Familienzusammenführung"?

Die Schuldgefühle-Karte

"Ja, aber der Insight", widerspricht der Planner! "Es gibt doch tatsächlich viele einsame ältere Menschen zu Weihnachten." Der wirkliche Insight ist: Weihnachten wird von vielen als stressig und belastend wahrgenommen. Aufgrund der unreflektiert übergroßen Erwartungen, die uns oftmals Werbung suggeriert. Beziehungen, die während des Jahres in der Distanz schon oft angespannt sind, geraten im Kontext intensiver Nähe und unrealistischer Erwartungen zu Weihnachten besonders unter Druck. Und eskalieren laut vielen Studien dann erst recht.

Und so bleibt dieser Spot, was er ist: In seinem Anspruch an ein heiles Weihnachtsfest ist er kindlich, naiv und unreflektiert im besten Sinne. In seiner Absicht, eine Marke in Szene zu setzen, ist er manipulativ, übergriffig und zynisch. Wenn eine Marke versucht, der Gesellschaft kritisch den Spiegel vorzuhalten, dann sollte sie die Schuldgefühle-Karte lieber stecken lassen. (Dieter Rappold, 1.12.2015)