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Roaming dürfte teuer bleiben - oder die Netzneutralität geopfert werden

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In Brüsseler Hinterzimmern wird heftig diskutiert, Verhandlungsrunden ziehen sich bis spät in die Nacht, alle Seiten sind frustriert über die Pattsituation: Nein, es geht nicht um Griechenlands Staatsschulden. Zurzeit sorgt der digitale Binnenmarkt für rauchende Köpfe bei Verhandlern. Denn bei zwei der wichtigsten Themen - dem Aus für Roaminggebühren und der Netzneutralität - sind die Fronten zwischen EU-Parlament, Kommission und nationale Regierungen endgültig verhärtet. Schuld daran sind fehlgeschlagene Strategien, Drohgebärden und knallharte Geschäftsinteressen.

Freier Datenverkehr

Die Geschichte beginnt im Herbst 2013. Die damalige Digitalkommissarin Neelie Kroes will sich einen Traum erfüllen: Überall in der EU sollen Bürger zum gleichen Preis telefonieren und im Netz surfen dürfen. In der Ära abgeschaffter Passkontrollen und freien Warenverkehrs ist es nicht nur eine fatale Optik, wenn sich die Telefonrechnung nach dem Urlaub verfünffacht. Auch Geschäftsreisende klagen über die Roaminggebühren, mit denen die Mobilfunker Geld verdienen.

Poker

Da die EU-Wahl 2014 bevorsteht und Kroes ihren Abgang plant, setzt sie alles auf eine Karte. Sie überzeugt die Abgeordneten des EU-Parlaments und begeht dann einen aus Sicht vieler Aktivisten fatalen Fehler: Telekomkonzernen wird in geheimen Gesprächen angeboten, durch "weiche Regeln" zur Netzneutralität für das Roaming-Aus entschädigt zu werden. Das bedeutet, dass die Unternehmen künftig für Spezialdienste zusätzliche Gebühren verlangen könnten. So verknüpft Kroes zwei wichtige Themenfelder miteinander, ohne mit dem Widerstand von Netzaktivisten und EU-Abgeordneten zu rechnen.

In einer spannungsgeladenen Sitzung beschließt das EU-Parlament im April 2014 sowohl eine starke Netzneutralität als auch ein schnelles Aus für Roaminggebühren. Die Telekomkonzerne rotieren, Kroes tritt ab.

Telekombranche lobbyiert bei Regierungen

Doch vor der Gesetzwerdung stehen noch einige Etappen bevor: Das Gesetz gelangt nun in den "Trilog", wo EU-Kommission, Abgeordnete und EU-Rat - also Vertreter nationaler Regierungen - sich einigen müssen. Nun versucht die Telekombranche, ihren Einfluss über die nationalen Regierungen geltend zu machen. Ein Roaming-Aus müsste an die Kunden weitergegeben werden, heißt es. Außerdem fehle dann Geld für den Ausbau der Infrastruktur. Und siehe da: Plötzlich vertreten die Regierungen im Trilog einen harten Kurs, wollen Roaminggebühren nach einer geringen Anzahl von Freiminuten wieder zulassen - und versuchen sogar, die Netzneutralität aufzuweichen.

Gesetz umdrehen

"Unsere Regierungen versuchen das Gesetz umzudrehen", sagt Aktivist Thomas Lohninger, der mit der Initiative SaveTheInternet.eu für Netzneutralität mobilmacht. Der EU-Abgeordnete Paul Rübig (ÖVP) schießt per Presseaussendung gegen den Infrastrukturminister Alois Stöger. "Aus undurchsichtigen Gründen" blockiere dieser ein Roaming-Aus, so Rübig. Aus dem Infrastrukturministerium heißt es, man wolle eine "Einschleifregelung" und die Kunden vor Mehrkosten bewahren.Beim EU-Telekomrat am Freitag in Luxemburg sei dies auch diskutiert worden. Es gehe um eine "faire Regelung", deswegen seien flankierende Maßnahmen nötig. Die Belastungen bei einem Wegfall dürften nicht auf die Mehrheit der Konsumenten abgewälzt werden.

Keine Verteuerung für alle

"Wir brauchen nicht eine Verteuerung der Grundgebühr für alle, da mache ich nicht mit", so Stöger. Er gab zu bedenken, dass "wir die Masse der Konsumenten im Auge behalten müssen, und nicht jene, die außergewöhnlich hohe Kosten für Auslandsgespräche haben, das sind meistens Großkunden". Offenbar hätten sich auch im EU-Parlament die Interessen der Großkunden durchgesetzt. Die Drohungen der Telekomkonzerne dürften also gewirkt haben. Noch dazu sind in mehreren Staaten Regierungen an Mobilfunkunternehmen beteiligt - Beispiele sind etwa die Deutsche Telekom oder Telefónica in Spanien.

Internet "endet nicht am Neusiedler See"

Mit einer Aufweichung der Netzneutralität könnten diese Firmen mit staatlicher Beteiligung auch am Erfolg der US-Konzerne wie Google und Netflix mitschneiden. Dabei warnen Politiker wie der sozialdemokratische EU-Abgeordnete Josef Weidenholzer davor, dass eine Abschaffung der Netzneutralität Innovation hemme, da sich Start-ups keine "Spezialdienste" leisen könnten. Das Infrastrukturministerium ist "grundsätzlich" für Netzneutralität. Aber da das "Internet nicht am Neusiedler See endet", soll eine europäische Lösung her. (Fabian Schmid, 12.6.2015)