Bei den Lesern sind sie beliebt wie wenige andere Formate auf derStandard.at: Liveticker aus politisch brisanten Strafprozessen. Weniger erfreut ist die Richterschaft: Sie äußerte bei der Richterwoche 2015 in Kitzbühel Kritik am Vordringen des Liveberichts in die Verhandlungssäle.

Kein Fußball

"Das Recht auf Öffentlichkeit des Verfahrens wird missbraucht, um ein Event zu veranstalten", kritisiert eine Richterin. Beim Livebericht stehe die Krawattenfarbe des Angeklagten im Vordergrund, nicht die Strafsache selbst. Ein Gerichtsverfahren sei kein Fußballspiel, heißt es – in Anspielung darauf, dass auch auf derStandard.at der Livebericht seine Wurzeln in der Sportberichterstattung hat.

Auch juristische Argumente gibt es bei der Diskussion in Kitzbühel, an der auch die Verfasserin dieser Zeilen teilgenommen hat. Das Gesetz verbiete Videos und Filmaufnahmen vom laufenden Verfahren, und das aus gutem Grund: Zeugen und Angeklagte werden davor geschützt, vors Licht der Öffentlichkeit gezerrt zu werden. Durch Liveticker werde dieses Verbot umgangen, heißt es.

Zudem biete die Echtzeit-Berichterstattung späteren Zeugen die Möglichkeit, sich über frühere Zeugenaussage ein Bild zu machen – und ihre eigene Einvernahme ans bereits Gesagte anzupassen. Genau das verbiete aber die Strafprozessordnung: Laut Gesetz dürfen später geladene Zeugen nicht im Verhandlungssaal sitzen, um selber zuzuhören. Der Liveticker ermögliche es ihnen, teilzunehmen, ohne körperlich anwesend sein zu müssen – also eine Umgehung dieser Bestimmung.

Keine Hoheit mehr

All diese Argumente werden jedoch dadurch relativiert, dass der Liveticker nicht das einzige Medium ist, das Details aus der Verhandlung nach außen trägt: Redaktionen haben die Hoheit über die Informationsverbreitung längst verloren, den Gerichtsverhandlungen wohnen Interessierte aus allen möglichen Bereichen bei, die ebenfalls aus dem Prozess twittern und ihre Eindrücke auf Facebook teilen.

Justiz profitiert

Er habe noch nie erlebt, dass Liveberichte ein Verfahren ungünstig beeinflusst hätten, sagt ein Richter, der nicht nachvollziehen kann, warum die Diskussion über Liveticker in der Richterschaft für so viel Emotionen sorgt. Das Tickern zu unterbinden erfordere einen hohen Aufwand: Man müsse allen Prozessbeobachtern ihre Smartphones abnehmen – und könne immer noch nicht kontrollieren, wie detailliert die Blogposts der Prozessbeobachter sind, die in der Verhandlung akribisch mitschreiben und danach ihre Zusammenfassung posten. Die Justiz, so dieser Richter, profitiere sogar vom Prozesstickern: je mehr Transparenz, desto höher die Qualität der Entscheidungen.

Am Rande der Diskussion bringt ein junger Richter das Unbehagen vieler Kollegen auf den Punkt: Ständig in der Auslage zu stehen und sich in Postings prügeln zu lassen sei nicht Teil des Jobprofils – niemand habe ihn und seine Kollegen auf dieses Ausgeliefertsein vorbereitet. Zudem könne die Justiz dem nichts entgegensetzen: Jedes Gericht hat zwar seine Mediensprecher, doch die sind mit Ressourcen äußerst sparsam ausgestattet. Selbst wenn Gerichte in Onlineforen, die es ja auch abseits der Liveticker gibt, mitdiskutieren wollten, um etwa Vorwürfe der Befangenheit zu entkräften: Es fehlen, wie so oft, Personal und Zeit. (Maria Sterkl, 6.5.2015)